Das Tor der sieben Sünden. Hans Günter Hess

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Das Tor der sieben Sünden - Hans Günter Hess

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Es musste wohl Madame Dubois’ Schlaf- oder Ankleidezimmer sein, das dahinter lag. Sie tauchte meist um diese Zeit auf, öffnete beide Flügel und wenn die Vorhänge zurückgezogen waren, sah er sie in dem Raum umherwandeln. Manchmal schlüpfte sie in ein anderes Kleid. Dabei bemerkte er, wie sie sich nach dem Umziehen im Spiegel betrachtete. Mitunter rannte sie auch in Unterwäsche herum. Ein Anblick, den Sarly besonders liebte. Seit einigen Wochen fühlte er eine leise Sehnsucht, die sich immer dann einstellte, wenn er sie erblickte. Jetzt rüttelte sie plötzlich an seinem Gewissen und trübte seine Gedanken. Dass er noch vor ein paar Stunden bei Madeleine gewesen war, empfand er für einen Augenblick als Betrug an ihr, aber wie gesagt, nur einen Augenblick. Sofort machten sich andere Gedanken breit, die Lüsternheit und Gier nach ihrem schönen Körper entfachten. Doch mit dem Schließen der Vorhänge verblasste diese Vision. Sarly beschloss, sich ins Stroh zu legen und noch eine Weile zu schlafen. Vorher verschloss er die Luke.

      Clochard blieb in seiner Sehnsucht beständiger. Er liebte Fifi, wenn auch nur in Gedanken. Falls er nicht gerade unter großem Hunger litt, belauerte er sie am Zaun. Um ihr nahe zu sein, schlich er stets durch das Tor in der Mauer. Dazu musste er nur ein paar Meter laufen und wurde obendrein von niemandem entdeckt, der ihn hätte verjagen können. Morgen, so seine Absicht, würde er wieder die angepisste Stelle aufsuchen. Vielleicht hatte Fifi seinen Lockduft geschnuppert und ihrerseits durch Anpinkeln der Stelle ein Zeichen gesetzt, dass er willkommen sei. Noch pennte er voller Hoffnung vor Sarlys Hütte. Dort gab es ja auch eine Aufgabe, er musste ihn bewachen und warnen, wenn Gefahr drohte.

      Lautes Knattern durchschnitt die Morgenluft. Pelziger Gestank und Rauch zogen von der Nordseite in Sarlys Schlaflager. Maître Dubois startete mal wieder zu einer Geschäftsreise. Er besaß seit kurzem eine Petroleumdroschke, auf die er sehr stolz schien, denn so ein Wunderding besaß nur er. Oft lenkte er selber, doch heute beschäftigte er einen Chauffeur. Der musste den Motor ankurbeln, aber der bockte und ging mehrmals aus. Maître Dubois stand aufgeputzt in Knickerbockern aus englischem Tuch und feinen Lederstiefeln breitbeinig hinter dem Gefährt und schimpfte mit der Hausangestellten, die Koffer und andere Gepäckstücke herbeischaffen musste. Dann verjagte er sie, und der Wagenlenker wurde beauftragt, alles hinten auf dem Gepäckträger mit Lederriemen zu verzurren. Dubois stieg ein, als das Vehikel endlich ratternd die Umgebung mit einer stinkenden Wolke vernebelte. Seine Kabine ließ er selbstgefällig vom Fahrer schließen, der selber schutzlos gegen Wind und Wetter vorn hinter dem Steuer Platz nahm, nur durch eine Ledermütze und Brille vor dem Ärgsten bewahrt. Ihn dirigierte der Maitre hochnäsig von hinten mit dem Gehstock. Auf ein bestimmtes Zeichen musste der Mann auf einen riesigen Ball drücken, um dem Signalhorn einen grässlichen Ton zu entlocken, der sogar das Schnaufen des Motors in den Schatten stellte. So tat er aller Welt, aber insbesondere Madame Dubois, kund, dass er startbereit sei. Sie musste ihm dann einen Abschiedsgruß zuwinken, was sie mit großer Freude inszenierte, denn jetzt konnte sie endlich ihren geheimen Wünschen ungehindert nachgehen.

      Auf diesen Augenblick hatte auch Sarly gewartet. Angewidert vom Gestank der Abgase, öffnete er erst jetzt die Luke, steckte seine Nase heraus und erfreute sich an der frischen Morgenluft. Er hatte noch keine Lust auf sein Bad. Etwas Schöneres, Lustvolles stand ihm bevor und das wollte er genießen. Madame Dubois, sie hieß Charlotte mit Vornamen, stand nach der Verabschiedung ihres Gatten noch immer an dem weit geöffneten Fenster, nur im übergezogenen Morgenrock. Ihr Name war ihm nicht entgangen. Gönnerisch versprach ihr meist der verreisende Ehemann:

      „Charlotte, mein Liebes, wenn ich zurückkomme, erhältst du ein wunderschönes Geschenk, du wirst dich sehr freuen.“

      Einmal brachte er Fifi mit. Ob sie sich darüber gefreut hatte, wusste Sarly nicht. Aber wahrscheinlich liebte sie den Hund, denn sie behandelte ihn wie ein verzogenes Kind.

      Er blickte weiter gespannt auf das Fenster. Sie ging jetzt hin und her und legte sich Kleider zurecht. Dann verschwand sie und kam in Unterwäsche zurück. Er hätte sie zwar lieber ohne gesehen, aber dieser Genuss blieb ihm bisher versagt, also begnügte er sich mit diesem Anblick. So sah sie fast noch verführerischer aus. In seiner Fantasie entwickelte sich eine Vorstellung, wie es denn wäre, sie so zu nehmen. Aber der Wunschtraum bekam einen Dämpfer, sie streifte ihr erstes Kleid über. Das passierte dreimal nacheinander, dann schloss sich der Bühnenvorhang und die Ursache seines Hirngespinstes entfloh. Trotzdem erregte ihn diese kleine Schau so sehr, dass nur ein kaltes Bad sein erhitztes Gemüt bremsen konnte. Er sprang ins Wasser, wusch prustend und schnaufend seinen nackten Körper mit Madeleins Seife. Ein Geschenk. Ihr billiges Parfüm roch selbst nach dem Trocknen noch ziemlich aufdringlich. Ähnliche Düfte wehten oft genug, wenn der Wind günstig stand, auch von der Nordseite herüber. Sarly deutete dies als ein Markenzeichen der vornehmen Damenwelt. So verfiel er in den Wahn, Charlotte nicht wie ein stinkender Uhu gegenüber zu treten, falls er ihr mal begegnen oder vor ihr stehen sollte. Wie immer setzte er sich nach dem Bad unbekleidet in die Luke und sang. Heute wählte er Lieder, mit weniger ordinären Texten und verbot Clochard zu jaulen. Ständig das geschlossene Fenster im Auge, hoffte er, der Vorhang würde sich einen Spalt weit öffnen, aber er hoffte vergebens. Enttäuscht verließ er seinen Hochsitz, zog sich an und machte sich davon. Er hatte allerlei Besorgungen zu erledigen, in erster Linie für Madeleine, die nirgendwo in der Ortschaft etwas bekam, selbst wenn sie den doppelten Preis geboten hätte. Sie galt unter den Einheimischen als die ärgste Sünderin, die niemand brauchte, die man lieber krepieren ließ als etwas mit ihr zu teilen. Dass sie noch da war, dafür gab es einen ganz anderen Grund, nämlich einen, der ihr das Recht zusprach, in ihrer Kate zu leben und auch dort ihre Dienste anzubieten. Wie es einst dazu kam, wird an anderer Stelle berichtet.

      Zunächst stapfte Sarly zum Bäcker. In seinem Laden gab es auch andere Dinge, die man auf dem Lande brauchte. Die Leute wichen zurück, als Sarly eintrat. Wie immer rümpften sie ihre Nasen und tuschelten. Er steuerte unbeeindruckt den Ladentisch an, hinter dem sich eine alte, misstrauische und zahnlose Alte verbarrikadiert hatte und verlangte drei Baguettes, ein halbes Pfund Butter, eine Kanne Öl, einen Sack Zwiebeln und ein Dutzend Talglichter. Das Weib musterte ihn argwöhnisch und zögerte. Sarlys strapazierte Geduld geriet in Wallung.

      „Willst du mir nichts geben, du alter zahnloser Drachen?“,

      fuhr er sie erbost an.

      „Du Lumpenkerl, dir schreibe ich nichts an, du bekommst nicht ein Jota, wenn du nicht zahlen kannst“,

      erwiderte sie genauso giftig.

      „Du kriegst dein Geld, du habgieriges Mondkalb“,

      und er zeigte ihr mehrere Fünf-Franc-Scheine. Das faltige Bäckersfraugesicht spannte sich plötzlich und wechselte von Misstrauen zu Habgier, als sie die Geldscheine sah.

      „Hat dir wohl die Hure zugesteckt?“,

      fragte sie jetzt mit einer Spur von Freundlichkeit, denn Geld klingelte nicht so oft in ihrer Kasse.

      „Kann dir egal sein, Alte, gib mir, was ich verlange und sage deinen Preis.“

      Beflissen holte sie jetzt das Gewünschte und schätzte dabei heimlich Sarlys Barschaft heimlich ab, denn sie wusste, dass er nicht rechnen konnte.

      „Elf Francs bekomme ich von dir.“

      Er spürte den Betrug und raffte instinktiv seine Einkäufe zusammen.

      „Du bekommst keinen Centime, wenn du deinen lausigen Preis nicht herunter rechnest!“

      Das Weib stutzte. Woher wusste er, dass sie zweieinhalb Francs aufgeschlagen hatte? Da er ihr keine Wahl ließ, denn Sarly wollte schon gehen, begann sie zu keifen:

      „He, ihr Leute, der Dreckskerl will nicht bezahlen, helft mir doch!“

      Niemand rührte sich, denn die Bäckersfrau hatte schon alle betrogen,

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