Das Tor der sieben Sünden. Hans Günter Hess
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Nur widerwillig ging sie auf sein Angebot ein. Triumphierend verließ er den Laden. Er wusste, sie würde versuchen, ihn erneut zu betrügen. Aber er brauchte sie nicht unbedingt, denn er kannte genügend Tricks, sich woanders zu versorgen, auch ohne Geld.
Fröhlich steuerte er die Schlachterei des Fleischhauers an. Im Hinterhof lag ein Haufen Knochen und andere stinkende Abfälle, mit denen er Clochard eine Freude machen konnte. Eine dralle Vierzigerin brachte gerade frische Schlachtreste, als er auftauchte. Die Frau des Fleischhauers erwies sich weniger abweisend.
„Hast du einen guten Happen für meinen Hund, Marie?“
„Nimm dir Knochen von dem Haufen, da hat dein Hund was zum Beißen.“
„Heute bist du aber knauserig, Marie, Schönste aller Schönen.“
Diese seltene Schmeichelei hörten die meisten Frauen gern und machten sie gefügig. Auch Marie bildete keine Ausnahme.
„Warte!“,
befahl sie und verschwand. Kurze Zeit später tauchte sie wieder mit einem Eimer auf. Sie stellte sich kokettierend vor ihn hin.
„Na, wie ist es? Gefalle ich dir?“
Er kniff sie in den Hintern.
„Wenn du überall so griffig bist, könntest du mir schon gefallen.“
In diesem Moment schrie ihr Mann:
„Marie, wo bleibst du?“
Hastig schob sie ihm den Eimer zu und zischte:
„Bring ihn morgen wieder!“
Dann rannte sie weg. Sarly hatte, was er wollte. Voll bepackt machte er sich auf, um bei Madeleine ihren Teil abzuliefern.
Sie empfing ihn lachend.
„Na, hast du was bekommen, du Tagedieb?“
Stolz präsentierte er seine Ausbeute. Die Schweineleber teilte er mit ihr, sie gab ihm dafür ein Baguette und eine Handvoll Zwiebeln.
„War der Schnüffler bei dir?“,
erkundigte er sich, mehr, um etwas zu reden. Neugierde war ihm zuwider.
„Ja, er war da. Und denke mal, was er gemacht hat?“
Sarly blieb seiner Devise treu, nicht zu fragen. Er zuckte nur mit den Schultern. Madeleine würde reden, auch ohne seine Neugier.
Er habe, so begann sie, überall an ihr geschnüffelt, sogar unter ihren Rock hätte er seine Nase gesteckt. Danach sei er wütend geworden. Es wäre nicht sein Parfüm, habe er behauptet. Sie hätte ihn aber vom Gegenteil überzeugen können, denn auf der Seife stand ja ganz groß sein Firmenname. Zwar beleidigt hätte er seinen Irrtum eingestanden, aber immer noch darauf bestanden, ein Fremdgeruch wäre in seiner Duftmischung. Sie hätte den Fisch als Grund ins Feld geführt, aber der Schnüffler bestritt ihre Version. Er habe ihr vorgeworfen, ein anderer Mann hätte sie flach gelegt, denn sie würde nach seinem Schweiß stinken. Jetzt sei aber sie ihrerseits zornig geworden. Ihm könne es egal sein, schließlich wären Männer ihr Geschäft, und sie wollte ihn fortschicken, so ihre Antwort. Da wurde er sanft. Er wünschte, dass sie sich ausziehen sollte. Danach rieb er sie am ganzen Körper mit einem neuen Duftstoff ein. Er war so beseelt, dass er ganz vergaß sie zu nehmen. Als er ging, warf er ihr zwanzig Franc auf die Pritsche und das Fläschchen Duftöl dazu.
„Wenn ich wieder komme, meine kleine Hure, dann möchte ich, dass du so duftest wie eben“,
rief er ihr zum Abschied zu. Sarly wusste nun, dass zukünftig, wenn der Schnüffler kommen wollte, ihn Madeleine keinen Platz mehr auf der Pritsche einräumen würde. Sie war viel zu viel Geschäftsfrau, um sich einen solch fetten Fang wie den Schnüffler entgehen zu lassen.
„Nun, Madeleine, jetzt weiß ich, was ich zu tun habe. Wenn es ein gutes Geschäft wird, lasse ich dich an diesem Tag in Ruhe, aber du musst mir etwas abgeben. Schließlich muss ich auch leben.“
Er sagte das so selbstverständlich, dass man glauben konnte, sie wäre ihm verpflichtet. Sie nahm es hin. Irgendwie stimmt es sogar. Er besorgte ihr ja täglich etwas zu essen.
Sarly warf die halbe Leber zurück in den Eimer und trollte sich. Madeleine hätte zwar selber von der Fleischhauerfrau etwas bekommen, aber die musste auf ihre Kundschaft Rücksicht nehmen. Das gestand sie ihm einmal, als er ihren Busen berührte. Von einem fremden Mann betatscht zu werden, fand sie sehr aufregend. Sie könnte sich auch mehr vorstellen, ließ sie durchblicken, aber ihr misstrauischer Mann wäre allgegenwärtig und ließe sie kaum aus den Augen. Ihr Geschäft hatten sie erst vor zwei Jahren eröffnet und es lief gut, wenn man die Regeln einhielt. So war es üblich, ja fast unumstößlich, dass man die feinen Fleischwaren, die Schinken sowie Filets von Schwein und Rind an die Nordseite der Mauer lieferte. Die von dort brauchten also nichts zu holen. Betram, ein vierschrötiger Fleischergeselle, fuhr mit seinem Handkarren die Häuser ab und übergab die Bestellungen. Das machte er zweimal wöchentlich. Meist nahmen ihm irgendwelche Bedienstete die Ware ab, manchmal aber auch die Herrschaft persönlich. Dazu gehörte die Gattin des Oberbezirksrichters.
Soviel hatte Sarly herausgefunden:
Die Knochen, den Speck, die Innereien und die billige Grützwurst blieben der Südseite vorbehalten. Die, die es sich leisten konnten, gingen dann in den Laden, der von der pausbäckigen Tochter des Inhabers geführt wurde. Drinnen roch es unangenehm, denn die blutigen Kaldaunen lagen meist mehrere Tage, der Wärme und den Fliegen ausgesetzt, herum und verbreiteten einen übel riechenden Gestank.
An all des dachte Sarly, als er sich auf den Weg zu seiner Kate machte. Clochard empfing ihn mit Gebell. Seine Spürnase hatte ihn nicht betrogen. Heute würde er reichlich zu fressen bekommen, danach verfügte er über einen ganzen Tag Zeit für Fifi.
Sarly untersuchte zunächst den Inhalt des Eimers. Die Leber war frisch, die konnte er roh zum Baguette verputzen. Dann entdeckte er eine Grützwurst, sie hing wohl eben noch im Rauch und roch verführerisch. Er baumelte sie an die Decke, denn die hielt sich einige Tage. Der Rest des Eimers bestand aus einem Gemisch von Abfällen und Knochen. Clochard bekam die Hälfte, das Andere ließ er für den nächsten Tag zurück. Wenn er später noch einige Äpfel und Kartoffeln stehlen würde, überlegte er, hatte er für die nächsten Tage genug zum Sattwerden. Dann blieb auch Zeit für andere Dinge.
Im Winter, wenn es hier nichts zum Beißen gab, verzog er sich meist in die Stadt, dort hatte er reichlich, aber es war auch gefährlicher wegen der zahlreichen Konkurrenten. Aber noch dauerte es bis dahin, und die fetten Tage standen erst bevor.
Jetzt tat er das, was er immer machte, wenn er über eine unverhoffte Gabe aus dem Schlachthaus verfügte. Er würzte die Leber mit Salz, schälte zwei Zwiebeln und verschlang alles zusammen mit dem Baguette. Den Roten hatte er bereits gesoffen, deshalb trank er Bachwasser. Satt und träge stieg er danach in sein Schlaflager. Den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, richtete er jetzt den Blick zur Terrasse von Charlottes Haus. Bei der Sonnenwärme hoffte er, sie würde sich in ihren Liegestuhl begeben. Sein Wunschtraum erfüllte sich nicht. Statt ihr entdeckte er ein Kind des Holzfällers Flaubert. Davon gab es bereits neune. Es war eins von den Mädchen und mochte etwa zehn Jahre alt sein. In ihrer ärmlichen Kleidung streifte sie am Gestrüpp der Mauer entlang. In ihrem Arm hielt sie einen Gegenstand. Kurz vor dem Tor blieb sie stehen, schaute ängstlich