Das Tor der sieben Sünden. Hans Günter Hess

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Das Tor der sieben Sünden - Hans Günter Hess

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ins Blickfeld. Erneut inspizierte sie ihre Umgebung und rief etwas. Dann wartete und wartete sie, aber es passierte nichts. Besonders eine Richtung schien sie zu interessieren, in die sie auch ständig schaute. Aber sie wurde wohl enttäuscht und verließ deshalb die Stelle. Kurz vor dem Tor machte sie erneut kehrt und rannte zurück. So ging das einige Male, bis sie schließlich aufgab.

      Sarly fühlte Mitleid und wollte ihr helfen, aber die Trägheit nach dem reichlichen Mahl hielt ihn zurück. Das Mädchen trabte gerade übellaunig und mit verheultem Gesicht in der Nähe seiner Kate vorüber. Sie schleuderte wütend etwas hin und her, das sich beim näher kommen als Lumpenpuppe erwies. Wer weiß, was sie auf der Nordseite damit wollte, überlegte Sarly. Es zählte als Sünde, wenn die Kinder der vornehmen Leute mit Kindern der südlich gelegenen sprachen oder gar spielten. In den Augen der Ehrbaren galten sie als verlogen, schmutzig, habgierig und ungebildet. Sich mit ihnen einzulassen oder gar anzufreunden wäre einer unverzeihlichen Leichtfertigkeit gleichgekommen und hätte einen Eklat ausgelöst.

      Dabei entsprach die Familie des Holzfällers Flaubert allen anderem als diesem Klischee. Ihr einziger Makel lag wohl in der Armut. Der Vater stand beim Königlichen Oberforstmeister Bresson in Diensten. Sein Sohn Fabien half ihm seit fünf Jahren im Wald. Zu einem stattlichen jungen Burschen herangereift, gehörte er mit seinen zwanzig Jahren zu dem Ältesten der neun Kinder. Madame Flaubert trug bereits das zehnte unter ihrem Herzen. Die Familie führte ein redliches Leben. Die Mutter besorgte das Haus und bestellte mit den größeren Kindern einen kleinen Gemüsegarten. Zwei Ziegen komplettierten das bescheidene Dasein. Sonntags erschien die gesamte Familie regelmäßig auf der Kirchenempore, betete und sang inbrünstig die frommen Lieder. Die Worte des Patre empfanden sie als Erbauung und die Einteilung der Menschen nach dem Prinzip des Geldbesitzes als gottgegeben. Es störte sie nicht, dass sie oben auf dem Rang und die Reichen unten im Altarraum saßen.

      Fabien plagten seit einiger Zeit ganz andere Gedanken. Er hockte etwas abseits und konnte so unten im Altarraum ein Mädchen beobachten, das er mit verklärten Augen verfolgte. Nur einmal kreuzten sich kurz ihre Blicke, doch das lag Wochen zurück. Sie hatte gelächelt. Von diesem Zeitpunkt an konnte er an nichts anderes denken. Gotteslob, der Gesang, die Predigt, alles war ihm egal, seine Aufmerksamkeit galt nur ihr, der Göttlichen. Sie, die züchtig neben ihrer Mutter saß, einen weißen Sommerhut trug, der von einem blauen Band unterm Hals gehalten wurde, sie verkörperte das Wesen, das ihn interessierte.

      Nach dem Kirchgang rügte ihn sein Vater. Ihm waren die schmachtenden Blicke des Sohnes nicht entgangen. Es zieme sich nicht und sei eine Sünde für einen Jungen in seinem Alter, nach Mädchen zu schauen, warf er ihm vor, noch dazu, wenn es sich um eine vornehme Dame handele. Fabien, der ehrlich und gottesfürchtig aufwuchs, widersprach nicht, denn so stand es ja auch in den zehn Geboten, die in aller Strenge von seiner Familie eingehalten wurden. Und doch spürte er eine leichte Auflehnung. Warum sollte er in seinem Alter kein Mädchen lieben? Und wo stand, dass ein junger Holzfäller keins von der Nordseite lieben durfte? Manchmal las er in der Bibel, das einzige Buch im Hause Flaubert, aber nirgends fand er eine Geschichte, die ihm das verbot. Menschen, die eine solche Liebe als Sünde bezeichneten, kamen dort nicht vor, jedenfalls nicht in den Geschichten, die er kannte. Überhaupt spürte er seit geraumer Zeit ein Verlangen, das sich immer dann einstellte, wenn er an das Mädchen dachte. Aber niemand, weder sein Vater noch seine Mutter, hatten ihm auf seine Fragen eine Antwort gegeben. Sie ließen ihn mit seinem Problem allein. Selbst wenn er eine bekommen hätte, seine Nöte wären geblieben. Über einen Beischlaf wusste er so gut wie nichts, den übten seine Eltern nur zum Zwecke der Fortpflanzung aus, was an der Zahl der Kinder gemessen, nicht allzu oft vorkam. Also blieb Fabien nichts anderes übrig, als in seiner misslichen Lage nach einer anderen Lösung zu suchen.

      Das Mädchen, das er verehrte, hieß Vivien Richelieu und war die Tochter des Oberbezirksrichters Bernard Richelieu und seiner Gattin Rosalie. Letztere stammte aus einflussreichem Hause und hatte ihren Mann mit Hilfe ihrer Familie in dieses Amt lanciert. Vom Wesen herrisch und selbstsüchtig, duldete sie in ihrem Hause keinen Widerspruch. Als Absolventin einer höheren Mädchenschule beherrschte sie auch das Klavierspiel und den Gesang, aber meist nur unvollkommen. Sie sah das anders. Diejenigen, die sie mit ihren angeblich künstlerischen Gaben beglückte, ertrugen es mehr aus Anstand als mit Genuss, denn so schlecht, wie sie Klavier spielte, so schlecht sang sie auch oft genug Sie aber merkte nichts davon. Hochmut und Einbildung vernebelten ihre Realitätswahrnehmung. Stets erwartete sie widerspruchsloses Ertragen und Beifall.

      Ihre neunjährige Tochter Dorette litt darunter am schlimmsten. Sie wurde von ihr täglich mindestens zwei Stunden lang mit Klavierübungen und Vorsingen malträtiert. Schon mehrfach ergriff sie deswegen heulend die Flucht. In solchen Fällen kam ihr Gatte, der Obergerichtsrat Richelieu, zum Einsatz. Er musste der Tochter klar machen, welche Folgen der Ungehorsam nach sich ziehen konnte. Dazu las er ihr Paragraphen des Gesetzbuches vor, die sie trotzig mit verschlossenem Gesicht anhörte. Sie verstand zwar kein Wort von dem juristischen Kauderwelsch, ließ aber danach stets wieder fügsam und mit Geduld die Tortur der Mutter über sich ergehen.

      Irgendwann begegneten Dorette und das gleichaltrige Mädchen des Holzfällers einander und freundeten sich an. Das lief natürlich gegen alle Regeln des Standesdünkels, dem ihre Eltern mit Fleiß huldigten. Der Verstoß der eigenen Tochter glich schon fast dem Sündenfall im Paradies, und musste von Madame Richelieu mit allen Mittel verhindert werden. Über geeignete Mittel glaubte sie zu verfügen.

      Sie selbst ließ sich von jedermann mit Madame Obergerichtsrat anreden. Jene, die es wagten, den angemaßten Titel wegzulassen, rückte sie gnadenlos in die Ecke ihrer Missgunst. Dazu gehörte auch Sarly, der sie nur ein einziges Mal mit Rosalie angesprochen hatte. Sie hätte ihn gesetzlich belangt, doch leider fand ihr Gatte keinen Paragraphen, der das erlaubte. Aber sie hasste ihn deswegen aus tiefstem Herzen und sann nach Möglichkeiten, ihn aus ihrer Umgebung zu verbannen. Der lachte natürlich über die Borniertheit der Dame, ging ihr aber aus dem Weg, was ihm leicht fiel, denn er hielt sich zumeist auf der Südseite der Mauer auf.

      Maître Richelieu verkörperte ein Mannsbild mit einem gefestigten Weltbild. Er teilte die Menschheit ein nach denen, die dienen und denen, die bedient werden mussten ein. Die Wenigen dazwischen überließ er seinen Amtskollegen, der sollte sich damit herum ärgern. Seine Urteile als Richter am Königlichen Bezirksgericht waren folgerichtig von diesem Weltbild geprägt. Handelte es sich um einen armen Schlucker, der sich durch seine Dienste mühselig den Lebensunterhalt verdiente, warf er ihm vor, dies nachlässig und ohne Freude getan zu haben. Er verdonnerte ihn meist zu noch mehr Pflichten für denselben kargen Lohn oder ließ ihn durch Kürzen seiner ohnehin schmalen Einkünfte bestrafen.

      Die Hochgestellten, die Geld, Macht oder politischen Einfluss besaßen, die sich bedienen ließen, kamen seinen in Urteilen weit besser weg. Ihre menschlichen Fehlleistungen und ihre kriminellen Machenschaften redete er stets klein, so dass sie mit milden oder ganz ohne Strafen davon kamen.

      Nur in einer Sache ging er hart gegen alle Seiten vor. Nämlich dann, wenn es sich um Majestätsbeleidigung oder Angriffe auf die königliche Familie handelte. Seine Gattin, eine entfernte Verwandte des Königshauses, hatte schließlich dafür gesorgt, dass er den Posten am Bezirksgericht begleiten durfte, auf den er sich sehr viel einbildete. Um seine Amtswürde zu präsentieren, ließ er sich nicht nur von allen grüßen, auch sein Äußeres unterwarf er diesem Anspruch. Zu den extravaganten Auffälligkeiten zählten auch sein steifer Zylinderhut und ein Stock mit silbernem Knauf. Den trug er wie eine drohende Stichwaffe, immer unter den Arm geklemmt und mit der Spitze nach vorn, mit sich herum. Den Hut zog er nur vor vornehmen Damen, bei seinen Vorgesetzten und Mitgliedern des Königshauses. Menschen, die dienten oder sonst dem gemeinen Volk zugeordnet waren, übersah er hochmütig, selbst wenn sie auf das Freundlichste grüßten.

      Zu Hause dagegen mutierte er zum Pantoffelhelden. Die Bediensteten des Hauses verschwiegen aus reiner Angst das, was sie erlebten, und doch gab es Gerüchte. So wurde von verschiedenen Schlafzimmern gemunkelt, die das Ehepaar benutze. Auch ihr Liebesleben wurde hinter vorgehaltener Hand ausgetratscht. Es hieß,

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