Das Tor der sieben Sünden. Hans Günter Hess

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Das Tor der sieben Sünden - Hans Günter Hess

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ausgeschmückt, es entstanden die wildesten Geschichten. Was wirklich passierte, blieb allein das Geheimnis von Madame und Maître Richelieu. Aber auch die teilten sie nicht alle, es gab welche, die jeder für sich behielt. Davon wird noch später zu reden sein.

      Vivien, die achtzehnjährige Tochter, besuchte bislang ein Lyzeum in der Bezirkshauptstadt. Zwei Jahre musste sie dort verbringen, um einen standesgemäßen Abschluss zu erwerben. Sie wohnte bis auf wenige Wochenenden und Feiertage in einem Internat. Dort teilte sie ihr Zimmer mit zwei weiteren Mädchen aus vornehmen Familien. Trotz der strengen Internatsregeln und einer noch strengeren Gouvernante wurde sie beizeiten von ihren Mitbewohnerinnen an die Laster des Lebens herangeführt. Sie lernte Tabakrauch, Likör und andere berauschende Dinge kennen, die zwar verboten, aber immer wohlfeil waren. Oft zogen sich die Mädchen gegenseitig aus, um zu erkunden, welche Freuden von ihren Körpern wahrgenommen wurden. Sie sparten dabei nicht mit Worten, die eigentlich nur Sarly, der Verachtete, benutzte. Jedes Mal, wenn sie ein neues und besonders ordinäres aufgegabelten, lachten sie in unanständigster Weise und begleiteten es mit eindeutigen obszönen Gesten. Eines der Mädchen brüstete sich mit einem reichen und älteren Freund. Unter dem Vorwand, er sei ein Verwandter des Hauses und Taufpate der Mademoiselle durfte sie mit ihm das Internat verlassen. Er ging mit ihr zur Heiligen Messe, hieß es offiziell. In Wirklichkeit fuhr er mit ihr in ein abgelegenes Sommerhaus. Sie erzählte danach, welche Freuden sie mit ihm erleben durfte. Neugierig lockten Vivien und das andere Mädchen jede Einzelheit aus ihr heraus, selbst die geringste intime Handlung musste sie ausmalend schildern. Obendrein stattete er sie ständig mit Unmengen an Geld aus. So verwunderte es nicht, dass die Beiden neidisch und auch gleichzeitig lüstern wurden. Erst als sich bei ihr eine Schwangerschaft ankündigte, kam eine gewisse Ernüchterung. Der reiche Freund schickte sie zu einer Engelsmacherin. Was danach kam, blieb im Dunkeln, das Mädchen kehrte nie wieder ins Internat zurück.

      Die Gouvernante wurde nach diesem Vorfall noch strenger und unerträglicher, aber die Sehnsucht nach einem süßen Leben konnte sie nicht verbieten, die blieb den Mädchen. Vivien brachte sie nach ihrer Ausbildung mit nach Hause. Bereits die wenigen Wochen nach ihrer Heimkehr nutzte ihre vom Ehrgeiz geplagte Mutter dazu, um aus ihr eine Sängerin zu machen. Von den geheimen Wünschen der Tochter ahnte sie nichts. Solcherlei Gedanken hielt sie für absurd. Deshalb gewährte sie ihr auch mehr Luft zum Atmen, vielmehr als der jüngeren Schwester Dorette.

      Durch absichtliches Falschsingen konnte Vivien ihre gestrenge Mama und Lehrerin schon recht bald überzeugen, dass sie kein Talent zur Sängerin besaß. Selbige beschränkte deshalb die Übungen auf ein Mindestmaß und gab ihr die Möglichkeit, mittels einer Staffelei draußen in der freien Natur die Kunst des Malens zu probieren. Vivien täuschte durch die bescheidene Gabe, mit Pinsel und Farbe irgendwas auf die Leinwand zu tupfen, das einer Blume ähnelte. Zudem benötigte sie für diese Kleckserei kaum Zeit. Meisten hielt sie Ausschau nach einem gleichaltrigen Jungen. Aber auf der Nordseite gab es keinen. Schließlich war es ihr egal, ob arm oder reich, gebildet oder von niederem Stande. In ihren Gedanken existierte nur ein junger Bursche, der all das mit ihr anstellte, was sie bereits theoretisch in Erfahrung gebracht hatte. Diesen jungen Mann hatte sie vor einiger Zeit in der Kirche kurz mit den Augen gestreift. Der saß artig in der Nähe seiner Familie oben auf der Empore und hieß Fabien. Dieser momentartige aber sehr intensive Blickkontakt reichte ihr, um ihn zum Objekt all ihrer Sehnsüchte und Wünsche zu machen. Sie begann ihn zu suchen.

      Fabien war außer sonntags nur im Wald anzutreffen. Das Holz, das er mit seinem Vater schlug, musste nach Nutzen sortiert werden. Ihm oblag die Zuständigkeit für das Brennholz, das er nicht nur in handliche Stücke zu sägen, sondern auch an die Kundschaft auszuliefern hatte.

      Viviens Suche draußen in der freien Natur brachte kein Ergebnis. Wie so oft, spielte der Zufall eine viel bessere und vor allem erfolgreiche Lösung.

      Fabien musste eine Fuhre Brennholz in das Haus ihrer Eltern liefern. Schweißtriefend kam er mit dem voll beladenen Handkarren im Hinterhof an.

      Vivien stand mit ihrer Staffelei im Garten und mimte eine Apfel malende Künstlerin. In Wirklichkeit suchte sie die Nähe Fabiens, den sie schon in der Ferne entdeckt hatte. Sie ließ ihn keine Sekunde während des Holzabladens aus den Augen. Vor allem sein nackter Oberkörper erregte ihre Aufmerksamkeit. Fabien erwies sich nicht nur als muskulös gebaut, er besaß auch ein hübsches Gesicht und bestach durch einfache, aber gute Manieren. Das reizte sie. Als er seinen Lohn von der Köchin entgegen nahm, wagte sie einen Vorstoß. Forsch und anmaßend trat sie ihm in den Weg und zischte:

      „Ich will mich mit dir treffen.“

      Ihren Wunsch trug sie so fordernd vor, dass er nur artig „Ja.“ stammelte. Zu einer anderen Erwiderung fehlten ihm die Worte. Vivien, die ins Haus eilte und ihn von dort weiter beobachtete, bemerkte jetzt, dass er weder nach Ort und Zeit fragte. Sie, die von Kindheit an das Regime ihrer Mutter ertragen musste, hatte sich folgerichtig auch deren Manieren und Umgangsformen angewöhnt. Bestimmte Vokabeln gab es deshalb in ihrer Alltagssprache nicht, dazu gehörten ‚bitte’, ‚danke’, ‚möchte’. Diese Worte mussten gegenüber dem Personal und den Leuten auf der anderen Seite der Mauer vermieden werden, so hatte es ihr die Frau Mama eingebläut. Umso besser beherrschte sie dagegen die Redewendungen ‚ich will’, ‚du musst’ oder ‚du sollst’. Jetzt, wo sie über Fabiens Antwort nachdachte, fiel ihr das erste Mal auf, warum er nur so reagieren konnte. Auch ihm war eingeschärft worden, alle Anweisungen der Herrschaften dienstbeflissen und ohne Neugier zu befolgen. So kam es, dass die Beiden auseinander gingen, ohne zu wissen, wo und wann das Treffen stattfinden sollte.

      Fabiens kurze Lähmung seiner Gedanken löste sich mit dem Verlassen des Hofes. Lächelnd folgte er seinem Weg. Dass Vivien ihn ansprach, galt schon als ein Ereignis für sich, aber dass sie ihn treffen wollte, verstand er überhaupt nicht. Wenn man sie zusammen sehen würde, konnte das unabsehbare Folgen haben, sowohl für sie als auch für ihn. Also musste die Begegnung heimlich und an einem versteckten Ort stattfinden. Ihm drängte sich eine Idee auf.

      Als Zwölfjähriger schlüpfte er öfter durch das Tor in der Mauer. Ihn interessierte damals die andere Seite mit ihren ganzen Veränderungen. Die Villa des Großhändlers Dubois wurde gerade gebaut. Man duldete dort niemanden von der Südseite und schon gar keine Kinder. Er hatte sich deshalb im Gestrüpp nahe der Pforte ein Versteck aus Zweigen und Moos eingerichtet. Von dort konnte er alles sehen, ohne entdeckt zu werden. Daran erinnerte er sich jetzt. Hier würde er Vivien treffen, da vermutete sie keiner und er konnte endlich mit ihr reden, ihr seine Zuneigung gestehen. Doch diese bevorstehende Begegnung erzeugte nicht nur ein euphorisches Kribbeln, es flößte ihm auch Angst ein. Was wollte sie eigentlich von ihm? Sollte er ihr einen Dienst erweisen, von dem ihre Eltern nichts wissen durften? Würde sie überhaupt seine Gefühle erwidern oder ihn auslachen?

      Sein Innenleben schlug Purzelbäume. Von überschwänglicher Freude bis hin zur Furcht, dass sie ihn verachten würde, mischte sich alles, worauf er keine Antwort wusste. Schließlich ermutigte er sich selbst, ein Treffen zu arrangieren. Wenn es daneben ging, hatte er nichts verloren außer einer Illusion. Klappte es aber, dann würde er reich beschenkt. Es erhielt dann etwas, dass seltener war als ein Goldklumpen im Bachbett und fast einem Wunder Gottes glich. Seine Frömmigkeit versöhnte ihn eher mit Letzteren. Bei nächster Gelegenheit wollte er ihr den Ort und die Zeit für ein Treffen mitteilen.

      Die nächste Fuhre Holz lieferte er im Pfarrhaus ab. Wie immer empfing ihn dort Berbe, die Haushälterin. Sie besorgte nicht nur Haus, Hof und Garten des Patre, sondern spielte auch die altersschwache Orgel der Kirche, die sie meist mit krächzender Stimme gesanglich begleitete. Fabien trug das Holz in einen Verschlag. Die Wärme und die Arbeit machten Durst. Berbe war gutmütig und hatte ihm schon manchen Bissen zugesteckt, deshalb bat er um einen Schluck Wasser. Sie half vielen Menschen, besonders aber den Armen, obwohl sie auf der nördlichen Seite im Pfarrhaus wohnte.

      Als Fabien die letzten Scheite eingestapelt hatte, rief sie ihn in die Küche, goss sie ihm aus einem Steinkrug gesüßtes Essigwasser in ein Glas

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