Abgeflogen. Aurel Levy

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Abgeflogen - Aurel Levy

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ihr durchgegangen. Für gewöhnlich kam ich mit ihrer Impulsivität ganz gut zurecht, aber in manchen Situationen war an Carola nicht ranzukommen.

      Schade, ich hätte ihr zumindest noch ein Frohes Fest gewünscht. Ich würde ihr aus Japan eine SMS schreiben. Bis nach meiner Tour würde sie sich beruhigt haben. Wenn sich der erste Sturm gelegt hatte, würde ihr klar werden, dass ich nichts dafürkonnte.

      Ich schaltete das Autoradio an.

      Mir gingen Carolas Worte nicht aus dem Kopf: »Wann immer es um was geht, dann zieht mein toller Freund den Schwanz ein.« Das hatte sie gesagt.

      In diesem Satz steckte sehr viel von dem, was unsere Beziehung ausmachte. Es lief nicht rund.

      Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mein Handy verkrampft festhielt. Ich seufzte und legte es zu dem Umschlag auf dem Beifahrersitz.

      Nichts an dem Umschlag war ungewöhnlich. Ein stinknormaler, weißer DIN A 4 Umschlag. Nichts deutete daraufhin, dass dieser Brief mein Leben ändern sollte. Bis auf den Absender vielleicht: Notariat Bender und Smoltaczek. So wie es meine Oma vor ihrem Tod angekündigt hatte.

      Manchmal frage ich mich, wie sich die Dinge entwickelt hätten, hätte ich die Zeit gehabt, den Brief gleich zu öffnen. Wenn ich nicht weggeflogen wäre. Nina nicht kennengelernt hätte. Schwer zu sagen. Manchen Sachen sieht man ihre Bedeutung nicht an.

      KAPITEL 3

      Ein Briefing ist eine komische Sache. Besonders dann, wenn man als Letzter erscheint. Zwölf Menschen hocken auf Stühlen ringsherum an den Wänden und schauen dich an. Manche mögen das nicht. Sie kommen möglichst früh, um dem zu entgehen. Für mich stellte sich diese Option nicht. Weder heute noch sonst. Ich hatte meistens Probleme damit, überhaupt rechtzeitig zu erscheinen, so dass ich fast immer die Tür hinter mir schloss.

      Artig begann ich meine Begrüßungsrunde. Beginnend mit der P2 wiederholte ich gebetsmühlenartig »Topsi, hallo« und hatte den Namen desjenigen, dem ich mich soeben vorgestellt hatte, schon wieder vergessen, als ich die nächste Hand schüttelte. Mit Namen bin ich schlecht. Gesichter kann ich mir locker merken, aber Namen sind für mich dermaßen flüchtig, dass Carola mich oft fragt, ob ich mich nicht bereits auf der Zielgeraden zur Frühdemenz befinde.

      Zwei Dinge waren mir bereits am ersten Tag meines Grundlehrgangs aufgefallen: Die German Imperial Airlines war die Firma des Händeschüttelns und der Abkürzungen. An beides hatte ich mich schneller gewöhnt, als ich dachte. Am hilflosen Blick meiner Freunde erkannte ich, dass ich ihnen wieder zu viele Buchstaben und Zahlenkombinationen um die Ohren gehauen hatte.

      Der oder die P2, P steht für Purser, zu deutsch verantwortlicher Flugbegleiter, hebt sich durch die 2 vom P1 ab, ebenfalls ein Purser, aber eine Stufe niedriger. Ihre Aufgabe ist es, den Flugbegleitern gehörig den Marsch zu blasen. Der P2 ist der Offizier, der seinen Feldwebel, den P1, wissen lässt, was er seinen Soldaten, also uns Flugbegleitern, mitzuteilen hat. Manchmal tut er das auch auf direktem Wege. Unsere P2 hieß Ingeborg Meyer-Küthke, stammte aus Bamberg und war eine echte Dame.

      »So, ihr Lieben, nachdem wir jetzt komplett sind. Eins vorweg. Wollt oder besser müsst ihr alle nach Tokio, oder hat sich jemand verirrt?« Schweigen und Kopfschütteln. »Gut, dann legen wir los, bevor gleich die Cockpit kommt. Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin die Inge.«

      Das Briefing lief ab, wie Briefings so ablaufen. Zuerst wurden die Arbeitspositionen verteilt. Da ich als Dienstjüngster sowieso das nehmen musste, was übrig blieb, konnte ich mich entspannt zurücklehnen. Plötzlich fiel mir der Umschlag wieder ein. Er ruhte noch immer unangetastet in meinem Pilotenkoffer. Ich würde also frühestens während meiner Pause dazukommen, ihn zu öffnen. Meine Großmutter hatte zu ihren Lebzeiten nicht nur einmal erwähnt, dass Dr. Smoltaczek sich um das Erbe kümmern würde, wenn sie »einmal nicht mehr sei.« Und jetzt war es so weit. Ich hatte an jenem Tag noch mit ihr telefoniert. Sie klang quietschfidel und schien sich zu freuen, dass ich sie besuchen kam. Wie jeden Donnerstag. Zwei Stunden später war sie tot. Ihre Nachbarin, die ihr die Tageszeitung bringen wollte, hatte sich noch gewundert, dass sie nicht aufmachte. Sie ist mit dem Ersatzschlüssel rein. Meine Oma saß in ihrem geliebten Sessel. Den Kopf zur Seite geneigt, die Augen geschlossen. Nichts an ihr deutete darauf hin, dass sie nicht mehr lebte. Selbst die Fernsehzeitung lag noch auf ihrem Schoß. Als ob sie gerade eingeschlafen sei. So war es vermutlich auch. Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass ...

      »Okay, Horst, dann bleibt für dich die 4R, ja?« Inge sah mich über ihre rahmenlose Brille hinweg an.

      Ich nickte lächelnd. »Ja, klar, gerne.«

      Es muss bescheuert geklungen haben. Die Hälfte der Crew lachte.

      »Na, dann sind ja ganz offensichtlich alle happy.« Sie blickte in die Runde. »Wie sieht's mit medizinischen Vorkenntnissen aus? Ist jemand vorbelastet? Ex-Sanitäter oder Krankenschwester?«

      Es dauerte einen Augenblick, bis sich die Kollegin neben mir zu Wort meldete. »Ich war mal Hebamme. Das ist zwar schon über zehn Jahre her, aber wenn es nicht gerade eine Steißlage ist, kriegen wir das schon hin. Fahrradfahren und Kinder zur Welt bringen verlernt man angeblich nicht.«

      »Sehr schön, gut zu wissen.« Inge nickte Helga freundlich zu. »Sonst noch jemand?« Nach einer Pause fuhr sie fort. »Wir haben heute nämlich laut meinen Unterlagen keinen Arzt an Bord. Das muss zwar nichts heißen, aber eventuell müssen wir uns im Fall des Falles selbst helfen. Lasst uns ganz kurz zusammen durchsprechen, wie wir vorgehen. Angenommen, wir kommen zu einem Gast, der zusammengekauert in seinem Sitz hockt. Was machen wir zuallererst?«

      Keine 15 Minuten später nahm ich in der hintersten Reihe des Busses Platz, der die Crew zum Flugzeug bringen würde. Ich hatte mein Telefon in der Hand und überlegte, ob ich Carola nochmal anrufen sollte. Sie würde sich bestimmt nicht melden, soviel war klar. Ich bin der deutlich Harmoniebedürftigere von uns beiden und kann es nicht ausstehen, im Streit auseinanderzugehen. Es blieb ein fader Nachgeschmack. Auf der anderen Seite: Was hätte ich ihr sagen sollen? Dass es mir leid täte, sie alleinzulassen? Um eine bescheuerte Antwort einzukassieren?

      Das Beste wäre gewesen, ihr einfach Frohe Weihnachten zu wünschen und ihr zu sagen, dass ich sie liebhatte.

      KAPITEL 4

      Seit unserem Start in München waren zwanzig Minuten vergangen. Während Sarah, Nina, Miriam und ich die Getränkewägen aufbauten, kümmerte sich Attila um die heißen Essen. Dem Geruch nach würde unser Sprüchlein heute lauten: »Would you like chicken or pasta?«

      Wir standen in der hinteren Flugzeugküche, nur durch eine Wand von der Passierkabine getrennt. Der Fahrtwind, das Rauschen der Klimaanlage und das turbinenartige Pfeifen der Umluftöfen vereinigten sich zu einem Geräuschpegel, der sich wie ein schützender Kokon um alles Gesprochene legt.

      »Sag mal, Topsi, woher kommt eigentlich Topsi? Auf der Crewliste heißt du Horst-Herbert.« Sarah sah mich fragend an. Mit ihren hervortretenden Augen und dem blassen Teint erinnerte sie mich an meine Englischlehrerin. Rotblonde Haare und das Klischee wäre perfekt.

      »Horst-Herbert, ja. Ich weiß schon, ist nicht der Brüller. Den Spitznamen Topsi hab ich von meinem Onkel. Der kam eines Tages zu Besuch. Da war ich ungefähr zwei und er meinte zu mir: Na, Tropi, du bist aber ganz schön groß geworden. Und ich hab dann geantwortet: Ich bin nich der Topsi, ich bin der Orsti. Meine Eltern fanden das so witzig, dass sie bei Topsi geblieben sind.«

      »Und

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