Abgeflogen. Aurel Levy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Abgeflogen - Aurel Levy страница 8
»Eigentlich sind es ja mehrere«, kam von der rechten Seite. Kai warf einen genervten Blick in Alarichs Richtung, der seine Wirkung nicht verfehlte.
»Also, der Sender schickt einen Funkstrahl los. Das kann man sich wie einen Faden vorstellen, der an der Landebahn befestigt ist und in den Himmel ragt. Unser Autopilot erkennt diesen Faden und hangelt sich wie an einer Schnur entlang in Richtung Runway. Das klappt sogar, wenn wir nichts mehr sehen.« Kai hielt mir seine Zeichnung hin.
»Hey, Kai, du hättest Lehrer werden sollen. Wenn mir mein Physiklehrer die Dinge so erklärt hätte, dann hätte ich sie vielleicht sogar kapiert.«
Kai winkte ab. »Bloß nicht. Schule war null mein Ding. Ich war froh, als ich draußen war.«
»Ging mir auch so«, stimmte ich ihm bei.
Eine Weile herrschte Schweigen. Bis auf das monotone Rauschen des Fahrtwindes. Irgendwie hört sich dieses Rauschen im Cockpit anders an als im restlichen Flieger. Es mag an den optischen Eindrücken liegen, aber für mich hat es ein bisschen was von »Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise ...«
Gut, vielleicht habe ich als Kind zu viel ferngesehen.
»Das ist ein Klasse-Platz hier vorne!«, platzte ich raus. »Nicht so eng und drückend und voller Passagiere wie bei uns hinten.«
Es dauerte einen Moment, dann drehte sich Alarich zu mir um und sagte mit ernster Miene: »Da sag ich nur: Augen auf bei der Berufswahl!«
Ich lächelte. Dann erst begriff ich. Alarich verzog keine Miene. Mein Lächeln erstarb.
»Und was ist dein Plan B?«
»Wie, Plan B?« Ich verstand nicht.
»Na ja, du wirst das hier doch nicht ewig machen wollen, Saft ausschenken?«
»Äh, nee, natürlich nicht.« Ich fühlte mich überrumpelt. Und gleichzeitig herabgesetzt. Dann hörte ich mich sagen: »Ich fange nächstes Jahr an, Jura zu studieren – zum Sommersemester.«
»Rechtsverdreherei ist gut. Damit hast du alle Optionen. Nicht wie da hinten. Das ist kein Beruf für einen Mann. Im besten Fall ein Job.«
»Wieso das denn?«, meldete sich Kai zu Wort.
»Das kann ich dir sagen: Erstens fehlt die gesellschaftliche Akzeptanz. Stewardess hört sich interessant an, aber Steward klingt nach schwulem Traumschiffkellner. Zweitens fehlt der Anspruch. Das ist mit Mitte zwanzig lustig, aber spätestens in der Midlifecrisis fragst du dich, ob das alles ist, was du im Leben erreicht hast. Und drittens ist es ein klassischer Frauenberuf.«
»So ein Quatsch! Dann ist das, was wir hier vorne machen, ein reiner Männerberuf. Wenn alle so denken würden wie du, gäb's keine Frauen im Cockpit.«
»Was wäre daran so schlimm? Es zwingt sie ja niemand ...«
In diesem Moment klingelte es. Helga stand in der Tür.
»Und, hat's geschmeckt?«
»Fantastisch. Die beste Weihnachtsgans seit langem.«
»Das freut mich.« Sie deutete mit einer Handbewegung an, ihr das Essenstablett anzureichen. Gleichzeitig beugte sie sich zu mir herab und flüsterte: »Ich könnte mir vorstellen, dass Attila Sehnsucht nach dir hat. Vielleicht gehst du wieder nach hinten und hilfst ihm mit dem Safttablett.«
Ich hatte den Wink verstanden. Rasch verabschiedete ich mich von den Jungs. Ich war froh, Alarich zu entkommen. Erinnerte er mich doch sehr an Old Seizinger. Warum hatte ich ihm das mit dem Jurastudium erzählt? War das wirklich Plan B? Hatte ich überhaupt einen Plan A? Und wie konnte es sein, dass ein Kollege, den ich im Grunde gar nicht kannte, mich zu solchen Äußerungen trieb?
Als ich in unsere Galley zurückkam, hatte ich mich auf einen wütenden Attila eingestellt, der mir einen Anschiss verpasste, weil ich gemütlich gequatscht und gegessen hatte, während er hundertzwanzig durstigen Passagieren Orangensaft anbieten musste.
Aber Attila tat etwas Eigenartiges. Sein Körper befand sich in der Horizontalen, keine zwanzig Zentimeter über dem Boden. Geschmeidig drückte er sich im Liegestütz hoch und runter. Seine Hände steckten in dünnen, fingerlosen Handschuhen. Dort, wo er sich auf dem Boden abstützte, hatte er weiße Stoffservietten ausgelegt. Er blickte kurz auf, als er mich bemerkte, und zählte weiter: »... vierundvierzig, fünfundvierzig ...«
»Kommst du zurecht oder kann ich helfen?«
»Ohne mich zu beachten, fuhr er fort: »... neunundvierzig, fünfzig!«
Dann richtete er sich auf. Bedächtig zog er sich die Handschuhe aus. Der Kerl stand stets ein wenig breitbeiniger da, als ein normaler Mann. Ich verkniff mir ein Poser, als Attila sagte:
»Hey, Mann, du musst im Training bleiben, gerade hier an Bord. Wir fliegen mit tausend Stundenkilometern in der Gegend rum. Da nimmt die Schwerelosigkeit zu. Dein Körper reagiert sofort und beginnt mit dem Muskelabbau. Das geht ruck-zuck! Anstatt sich mit Bordessen zu belasten, sollten die Kollegen lieber Workout machen.«
»Und das machst du auf jedem Flug?« Nachdem weit und breit keine Spur eines Safttabletts zu entdecken war, begann ich, einen Turm aus Plastikbechern auf zwei Tabletts zu verteilen.
»Klar, Alter! Fit bleiben. Bewegung und viel Wasser trinken. Mens sana in corpore sane. Altes türkisches Sprichwort.«
Ich musste lachen. »Und ich dachte bislang, das wäre Latein.«
»Hey, Mann, du kapierst das nicht. Das glauben alle. Dabei waren die Römer damals das, was heute die Amis sind. Voll die Imperialisten. Die haben ihre ganze Kultur den Griechen geklaut und die hatten zu neunzig Prozent türkische Wurzeln.«
Konnte ich mir schon nicht vorstellen, dass die Schwerelosigkeit hier an Bord zunahm, schienen mir diese Ausführungen ein ausgesprochen türkisch-bayrischer Weg, die Welt zu erklären.
Attila schien meinen Blick richtig zu deuten: »Alles nachweisbar! Kannst du nachlesen. Auf jeden Fall musst du deinen Körper in Schuss halten. Da stehen die Bunnys drauf. Es gibt nichts, was Frauen so scharf macht wie mein Sixpack. Wenn die das sehen, können die gar nicht mehr normal denken. Für die Chicks rieche ich förmlich nach multiplem Orgasmus.«
Ganz genau. Miriam und Nina konnten kaum an sich halten, dir nicht die Kleider vom Leib zu reißen. Wovon träumst du nachts, wenn du tagsüber solche Schoten von dir gibst?
Dies und noch viel mehr lag mir auf der Zunge. Ich ließ es dort liegen. Wie immer eigentlich. Unsere Pause fing in Kürze an. Vorher mussten wir noch unsere Getränke loswerden. Ich schnappte mir die letzte Tüte Orangensaft und murmelte ein »Ja ja, kann ich mir vorstellen.«
Zehn Minuten später stand ich in einer der hinteren Toiletten. Ich hatte mein Flightkit auf den geschlossenen Toilettendeckel gestellt und holte den Schuhbeutel aus Baumwolle heraus. Fittipaldi rührte sich nicht. Ich löste den Knoten, um nach dem Rechten zu sehen. Als ich mit der Hand nach ihm griff, kam ein wenig Leben in meinen Mitflieger. Ich kannte das von früheren Langstrecken. Die Temperatur, die während der Flüge auf dem Boden meines Pilotenkoffers herrschte, war die optimale Schlaftemperatur für den kleinen Kerl. Ich setzte ihn auf meine Hand und ließ