Abgeflogen. Aurel Levy

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Abgeflogen - Aurel Levy

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Auflagefläche zu haben. Fittipaldi war eine gewöhnliche australische Bartagame. Und eine ungemein hübsche dazu. Die kurzen Stacheln an Hals und Flanke waren intensiv orange gefärbt. Auf seiner pigmentierten Haut sah das ausgesprochen schmuck aus. Überhaupt wirkte er wie ein Drachen-Model im Bonsaiformat. Ich glaube, Fittipaldi war sich seines Aussehens bewusst. Stets hielt er seinen Kopf ein wenig nach oben gereckt. Das verlieh ihm ein herrschaftliches Aussehen.

      Ich nahm den First-Class-Salat aus dem Plastiktütchen und hielt ihn Fittipaldi vor die Nase. Vermutlich hätte er lieber eines oder zwei seiner Heimchen verspeist, aber mit seinen vier Monaten wurde es Zeit, dass er sich die ewige Fleischesserei abgewöhnte und langsam etwas pflanzliche Nahrung zu sich nahm. Wenig begeistert schnappte er nach den Salatblättern. Es dauerte nicht lange und mein Schönling hatte genug vom Salatbuffet. Bevor er richtig wach wurde, setzte ich ihn in sein Schlafgemach. Ich verließ die Toilette und staute den Koffer zurück.

      Zufrieden stieg ich die Treppen in die Katakomben hinab. Alles war gut. Fittipaldi satt, die Gans tot und die Weihnachtstragödie umschifft. Ich fühlte mich müde genug, um eine Stunde schlafen zu können. Ich öffnete die Tür unseres Schlafgemachs, schlüpfte hinein und war Sekunden später bei meiner Koje. Über den Schlafcontainer im Bauch des Fliegers kursiert so manches Gerücht, aber keines, das behauptet, man könne sich verlaufen. So leise wie nur irgend möglich entledigte ich mich meiner Schuhe und ließ mich auf die Matratze sinken. Aus der Koje nebenan war ein Schnarchen zu hören. Unverkennbar Jörg, unser P1. Ich setzte mich wieder auf, um die gelben Ohrstöpsel aus den Tiefen meiner Hosentaschen zu fischen. Besser! Ich hatte gerade die Augen geschlossen, da durchfuhr es mich siedendheiß. Verdammt, der Umschlag! Wieder vergessen. Er ruhte noch immer neben Fittipaldi im Koffer. Zu ärgerlich, jetzt hätte es gut gepasst. Ich müsste mich eigentlich nur wieder anziehen und hochgehen. Andererseits, wozu? Was auch immer in dem Brief stand, während des Flugs konnte ich sowieso nichts ausrichten. Und sobald wir landeten, war Weihnachten. Ich konnte mir keinen Notar denken, der sich am Heiligabend auch nur in die Nähe seines Telefons begab.

      Großmutters Erbe würde nicht davonrennen. Denn darum ging es wohl. Ich war neben dem Tierschutzverein, mit dem mir Oma ab und an gedroht hatte, der einzige in Frage kommende Erbe.

      Ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, was mir die alte Dame tatsächlich hinterlassen hatte. Über dieses Thema hatten wir nie offen gesprochen. Oma hatte sich nur in Andeutungen vergangen. Ziemlich sicher hatte ihr das Häuschen gehört. Es war aus den Fünfzigern und stand in Feldmoching. Aber soweit ich wusste, gab es in München keine billigen Gegenden mehr. Vermutlich war allein das Grundstück eine viertel Million wert. Eine viertel Million Euro! Klang nach ner Menge Kohle.

      Nicht, dass mir Geld jemals viel bedeutet hätte, aber im Augenblick freute ich mich schon über die paar Euro, die mir ein erfolgreicher Bordverkauf an Provision einbrachte. Eine viertel Million war unter diesen Gesichtspunkten definitiv ein Haufen Schotter. Ich trug mich mit Gedankenspielen, was ich mit so viel Geld anfangen würde. Jura studieren? Mir vielleicht eine längere Auszeit gönnen? Australien und Neuseeland fehlten mir.

      Ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit, über dem ich irgendwann einschlief.

      KAPITEL 6

      Tatsächlich konnte ich nicht lange weg gewesen sein. Ich riss die Augen auf. In unserer Schlafstatt war es taghell. Jemand musste die Beleuchtung auf höchste Stufe geschaltet haben. Im ersten Moment dachte ich an eine Rauch- oder Feuerwarnung, aber dann hätte es einen Warnton geben müssen. Ungelenk popelte ich die Ohrstopfen heraus. Miguel, der Kollege aus der Businessclass, stürzte durch die Tür und rief sichtlich aufgeregt:

      »Ihr müsst alle nach oben kommen. Wir haben einen medizinischen Notfall.« Er wollte auf dem Absatz kehrtmachen, als ihn eine energische Stimme zurückhielt:

      »Miguel!«

      Der Spanier drehte sich um und kreuzte Jörgs Blick, der sich bereits aufgerichtet hatte und ihn zu sich winkte. Jörg hatte sich seine Schlafbrille in die Stirn geschoben und sah nicht gerade so aus, als wollte er dem Flugbegleiter vor Freude um den Hals fallen.

      »Wenn du uns schon wach machst, dann sag uns wenigstens, was los ist und wo wir nach dem Patienten suchen dürfen.«

      »Miriam und Sarah sind bei der Frau. Mein Gott, das ist so furchtbar, ich kann da nicht mehr hin.«

      »Reiß dich zusammen, Sakrament! Wo ist diese Frau? Etwa in der Eco?«

      »Ja.« Er nickte heftig. »In der Galley. Sie hat Miriam vollgekotzt. Dieser Gestank – ich kann das nicht riechen. Ich musste mich selbst fast übergeben.«

      »Und was hat sie?«

      »Ich weiß nicht, Schlaganfall oder so was. Ich muss wieder hoch.«

      Einen Wimpernschlag später war er verschwunden.

      »Na, dann mal Fröhliche Weihnachten«, hörte ich Jörg brummen, »das hat uns gerade noch gefehlt.«

      Ein ungutes Gefühl beschlich mich, während ich meine Schuhe zuband. Miguels Aussage war ziemlich wirr gewesen. Verstanden hatte ich, dass es einer Frau schlecht ging, die sich in unserer Bordküche befand und von Sarah und Miriam betreut wurde. Klang eigentlich nicht dramatisch. Auch wenn Miguel völlig mit den Nerven runter war.

      Zum Glück musste ich nur noch meine Schuhe anziehen. Der kleine Spiegel gab mir das Go!, mich unter Menschen wagen zu können. Oben angelangt wäre ich beinahe mit Inge zusammengestoßen.

      »Gut, dass ich dich treffe, Miguel hat euch also geweckt. Der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt. Von den Mädels geht auch keine ans Telefon. Die Cockpit braucht unbedingt den Medical Report aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Die Jungs versuchen gerade, die medizinische Hotline zu erreichen.«

      »Okay, alles klar.«

      Im vorderen Teil der Economy deutete zunächst nichts auf einen Notfall hin. Ein Großteil der Passagiere schlief immer noch oder hielt die Augen starr auf den Bildschirm gerichtet. Weiter hinten änderte sich das Bild. Alle waren wach. Die meisten musterten mich mit ängstlichem Blick, als ich mir den Weg nach hinten bahnte. In den letzten Reihen konnte ich den unwechselbaren Gestank bereits riechen. Ein scharfer, säuerlicher Geruch nach Erbrochenem.

      Ungefähr dort, wo Attila vorhin seine Liegestützen gemacht hatte, war es. Sämtliche an Bord verfügbaren Hilfsmittel lagen halbkreisförmig angeordnet. Alles sah beinahe so aus wie bei meiner Erste-Hilfe-Schulung vor acht Wochen. Mit einem Unterschied: Im Zentrum lag nicht die geduldige Übungspuppe, der sich jeder mit einem Witz auf den Lippen näherte, sondern eine Frau aus Fleisch und Blut.

      Wahrscheinlich geht es jedem so, der es nicht gewöhnt ist, Erste Hilfe zu leisten, aber ich muss gestehen, ich war schockiert. Eine ältere Dame, die man guten Gewissens als füllig bezeichnen durfte, lag auf ein paar Decken. Ihre Augen waren geschlossen, die grauen, strähnigen Haare aus dem Gesicht gestrichen. Ihre Unterwäsche, eine Art fleischfarbener Badeanzug, war bis zum Bauch aufgeschnitten. Ich erkannte die Elektroden des Defibrillators. Miriam saß am Kopfende und hielt mit einer Hand die Beatmungshilfe fest. Sarah kniete neben der Frau und verabreichte ihr eine Herzdruckmassage. Sie schwitzte. Die Frau hingegen war so bleich, wie ich es selten bei einem Menschen gesehen hatte. Und ich hatte als Zivi im Altenheim so einiges gesehen.

      »Topsi, zum Glück! Kannst du mich ablösen? Ich bin völlig fertig«, keuchte Sarah.

      »Klar«, antwortete ich und ging neben Sarah auf die Knie. Ich war nervös. Im Traum hatte ich beim Erste-Hilfe-Kurs nicht damit gerechnet, dass

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