Königreich der Pferde. Rudolf Jedele

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endlosen Weiten der Tundra vor Augen zu haben und nicht an der Erkenntnis zu verzagen, dass man selbst allenfalls ein Nichts angesichts dieser schieren Unendlichkeit darstellte.

      Die Kälte saugte den Menschen die Kraft aus den Knochen und raubte ihnen den Mut. Es war so kalt, dass selbst ausgespuckter Speichel als klirrender Eisbrocken zu Boden fiel. Die Kälte und der Wind sorgten zusammen dafür, dass die Schneedecke der Tundra nur dünn blieb und nur aus diesem Grund zog es Winter für Winter riesige Herden von Rentieren und Karibus aus den Steppen und Wäldern hinaus in die Tundra. Unter der harten, aber dünnen Schneeschicht fanden die Tiere auch im strengsten und tiefsten Winter Moose und Flechten genug, um satt zu werden und die lange Polarnacht zu überstehen.

      Der Mensch, welcher sich in dieser Jahreszeit daran machte, die Tundra zu durchstreifen, musste mehr mitbringen als nur den Glauben an sich selbst und an die eigene Unbesiegbarkeit. Kraft und schier unendliche Ausdauer waren ebenso charakteristisch für die Angehörigen der Rentiervölker, wie stoische Geduld, die man andernorts vielleicht eher als dumpfen Starrsinn bezeichnet haben würde.

      Ein Mensch in der Wintertundra musste in der Lage sein, bei ununterbrochener Finsternis unter einem wolkenverhangenen, bleigrauen und tiefhängenden Wolkenhimmel seine Richtung bestimmen zu können. Wer dazu nicht in der Lage war, den verschlang die Tundra ohne Gnade.

      Ein Mensch in der Wintertundra, musste damit zurechtkommen, dass die unnatürliche Weite auch unnatürlich still war. Das ununterbrochene Heulen des Nordostwindes stellte das alles beherrschende Geräusch dar. Ein Geräusch, das nur ganz selten unterbrochen wurde von dem Klappern der Geweihe umherziehender Karibu- und Rentierherden, von einem vereinzelt aufsteigenden Wolfsgesang oder vom Knacken brechender Eisschichten.

      Die Bilder der Wintertundra verwirrten den Geist, denn der Wind ließ immer wieder und wie aus dem Nichts Schneehosen aufsteigen, jagte sie entlang des Horizontes und ehe ein Auge diese Windgeister wirklich erfassen konnte, waren sie schon wieder verschwunden.

      All das zusammen ließ die Tundra zum Feind der Menschen werden.

      Zum Feind der Menschen jedenfalls, die nicht den Rentiervölkern angehörten.

      Shandra und Rollo hatten die Zeit genutzt, die sie gezwungener Maßen in dieser unwirtlichen Wildnis verbracht hatten. Sie hatten gelernt, die Tundra genauso zu akzeptieren, wie es ihnen die Nomaden der Rentiervölker vorlebten. Doch Rollo war gegangen, sein Weg in dieser Welt war zu Ende gewesen und Shandra war allein zurückgeblieben. Nur Geri und Freki, die beiden Wölfe, die ihn seit achteinhalb Jahrhunderten begleiteten, waren noch an seiner Seite, nur sie trugen dazu bei, Shandras Verstand zu erhalten, ihn vor dem Wahnsinn der Nacht, der Kälte und der Einsamkeit zu bewahren.

      Shandra überließ es den Rentieren vor seinem Schlitten, die Reisegeschwindigkeit zu bestimmen. Er sorgte nur dafür, dass sie in Bewegung blieben und den Schlitten in die von ihm gewünschte Himmelsrichtung schleppten.

      Am frühen Nachmittag des neunzehnten Reisetages erreichte er trotz seines durchschnittlich gemächlichen Tempos zum vierten Mal das Ufer des womöglich gewaltigsten Stroms, den ein Mensch je zu Gesicht bekommen haben mochte. Der Jenizzei mäanderte durch die Tundra wie eine gewaltige Schlange und sein Bett stellte auch jetzt, da der Strom immer noch von einer mehrere Klafter dicken Eisschicht gefangen gehalten wurde, eine unübersehbare Landmarke dar und zugleich ein Hindernis auf dem Weg, das überwunden werden wollte.

      Eine unendliche weiße Fläche, eine unfassbare Weite, scheinbar ohne jede Unebenheit erstreckte sich bis an den Horizont. Eine Ebene, die jedem Betrachter zu sagen schien:

      „Komm, trau dich und betritt mich. Dringe ein in mein Reich und erlebe, wie ich dich vernichte, ohne dass ich mich dazu auch nur im Geringsten rühren müsste.“

      Neunzehn Tage waren vergangen, seit Rollo im Rauch des Feuers zu seinen Ahnen gegangen war. Neunzehn Tage auch, da sich zum ersten Mal ein rosaroter Streifen am östlichen Horizont des Himmels der Polarnacht gezeigt hatte und nun lag die Tag- und Nachtgleiche des Frühjahrs nicht mehr fern. Jeder Tag wurde durch ein wenig mehr Licht erhellt und die Lufttemperatur stieg ganz allmählich bis in den Bereich, da das Eis zu schmelzen beginnen würde.

      Shandra erkannte, dass die Zeit vorüber war, da er in gemütlichem Tempo durch die im Frost erstarrte Tundra bummeln und zugleich seinen Gedanken nachhängen konnte.

      Vier Tage, so schätzte er, müssten genügen, um den Jenizzei ein letztes Mal zu überqueren und danach sollte er in der Lage sein, in höchstens zehn Tagen den Anstieg zum Waldland, zur Taiga zu überwinden und den Saum des Urwaldes zu erreichen.

      Dort würde er seinen Schlitten entladen und all sein Hab und Gut zu vier Packlasten bündeln müssen, welches er den Rentieren auf den Rücken schnallte. In der Taiga war es unsinnig, sich mit einem Schlitten auf eine Reise zu begeben.

      Die Taiga stellte eine weitere Herausforderung für Geist und Körper eines Reisenden dar. Niemand vermochte das Alter der Bäume auch nur zu erahnen, die in diesem Gebiet wuchsen. Sicher war nur, dass das Alter dieses gewaltigen Urwalds nicht in Jahrhunderten sondern in Jahrtausenden zu bemessen war. Die Bäume ragten bis in den Himmel und das Unterholz war zumeist so dicht, dass ein Wanderer froh sein musste, wenn er zu Fuß und mit Packtieren durch kam.

      Shandra war mehrfach bis tief in die Taiga hinein vorgestoßen, doch dann hatte er immer wieder umkehren müssen, weil der Bannzauber der Hexe Sungaeta ihn dazu gezwungen hatte.

      Jetzt, da er am Ufer des Stroms stand, erzeugte der Gedanke an Sungaeta ein grimmiges Lächeln auf Shandras Gesicht. Ein Lächeln allerdings, das selbst unter wohlmeinendsten Umständen niemals als Ausdruck der Freundlichkeit zu deuten gewesen wäre.

      Rollo war gegangen und damit hatte der Bann der Hexe den größten Teil seiner Wirkung auf Shandra verloren.

      Während die Rentiere den schweren Schlitten in flottem Tempo über das Eis des Jenizzei zogen, hing Shandra seinen Gedanken nach.

      Sungaeta war vermutlich die mächtigste unter den zahlreichen Hexen der Rentiervölker. Sie war eine Schamanin, die in innigster Verbindung zu den Welten der Geister und Dämonen stand, so sagte man und sie war uralt. Vielleicht sogar älter als Shandra. Sie wusste von Ereignissen aus angeblich eigenem Erleben zu berichten, die schon weit in der Vergangenheit lagen, als Shandra geboren worden war und sie schien allwissend zu sein. Sie kannte unzählige Einzelheiten aus Shandras Leben. Sie wusste um seine Herkunft und sie wusste um den Verbleib von Shaktar und Sombra. Sie wusste um die Schlachten und Kriege mit den Anglialbions und um Shandras Siege.

      Sie wusste aber nichts über den Verbleib der magischen Klingen und das war es vermutlich gewesen, was sie zu Shandras erbitterter Feindin werden ließ.

      Als die vier Freunde auf ihrer Reise nach Süden das Land Sibirsk durchwanderten und eines Tages die Siedlung Karakorum erreichten, ein Städtchen mit ein paar hundert Einwohnern und zwei Dutzend Handelsposten verschiedener Pelzhändler aus aller Herren Länder, waren sie von Sungaeta bereits erwartet worden.

      Sungaeta war nicht nur Schamanin, sie war zugleich die Herrscherin über Karakorum und über die nördlichen Sippen der Rentiervölker. Ihr Ziel aber war es, die Herrschaft über alle Rentiervölker zu gewinnen und dazu wären die magischen Klingen –wenigstens eine von ihnen – mehr als nur gute Helfer gewesen.

      Die Freunde waren in Karakorum zunächst gut empfangen und im Hause der Schamanin untergebracht worden. Sungaeta hatte große Bankette veranstaltet, um ihre weitgereisten Gäste zu ehren und sie hatte Shandra ins Vertrauen gezogen und ihm ihre Pläne offenbart. Ohne jeden Zweifel war sie von der Ausstrahlung des Kriegers zutiefst

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