Königreich der Pferde. Rudolf Jedele

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Königreich der Pferde - Rudolf Jedele

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Reste der weißen Masse, die Shandra zuerst so verabscheut hatte und die ihm doch im Laufe der Jahrhunderte seines Lebens vertraut genug geworden waren. Er lernte auch ihre guten Eigenschaften kennen und zu schätzen. Solange noch Schnee zu finden war, gab es zum Beispiel keinen Mangel an Trinkwasser und in den schneegefüllten Senken konnte man wunderbar Fleisch und andere Nahrungsmittel aufbewahren. Dinge, die leicht verderblich waren, blieben in den mit Schnee gefüllten Senken und Mulden über viele Tage hinweg genießbar. Für die Rentiere hatte die Zeit der Fülle begonnen, sie fanden überall genug junge Triebe, frisches Gras und blühende Kräuter, Moose und Farne, die den Hunger von ihnen fern hielten und alle Mangelerscheinungen des langen Winters rasch kompensierten. Innerhalb weniger Tage hatten sie den kompletten Fellwechsel vollzogen und ihr Fleisch begann, das Sommerfell glatt zu ziehen und mit Glanz zu füllen. Dennoch fühlten sich die vier starken Bullen in der Düsternis der Taiga genauso unwohl, wie Shandra. Die einzigen, denen die Taiga wirklich Spaß zu machen schien, waren Geri und Freki, die beiden starken Schwarzwölfe. Die Jagd im Urwald wurde ihnen um ein Vielfaches leichter gemacht, als draußen auf der Tundra. Hier konnten sie sich wie die Raubkatzen an die Beute anschleichen und blitzschnell zupacken. Beute machen, ohne dass es dazu langer, kraftraubender Hetzjagden bedurft hätte, das gefiel den beiden großen Rüden.

      Auch an Wasser herrschte niemals Mangel und als es rasch noch wärmer zu werden begann, fanden sie immer einen kühlen Platz, an welchem sie sich verstecken und ausruhen konnten. Shandra gewann den Eindruck, die Wölfe wären möglicherweise sogar gerne im Urwald geblieben.

      Shandra nahm den Rentieren die Traglasten ab und fesselt ihnen die Vorderbeine zusammen. So konnten die Hirsche äsen und sich ziemlich frei bewegen, doch wegzulaufen vermochten sie nicht. Dann baute er schnell und routiniert sein kleines Zelt auf, welches er sich aus Teilen der großen Jurte gebastelt hatte, ehe er diese als Scheiterhaufen für seinen Freund und Ziehbruder benutzt hatte. Als das Zelt stand, streifte er unter den nächsten Bäumen herum und hatte rasch genügend Totholz gesammelt, um ein kleines aber sehr heiß brennendes Kochfeuer zu errichten. Aus seinen Vorräten holte er das letzte Stück einer Hirschlende und bereitet sie vor, über den Flammen gebrutzelt zu werden. Er holte mit seinem Wasserkessel genügend Schnee aus einer naheliegenden Kuhle und hängte den Kessel über die Flammen, damit der Schnee schmelzen konnte. Shandra bereitete sich allabendlich einen kräftigen Kräutersud zu, der seine Abwehrkräfte stärkte und Erkältungen zu vermeiden half.

      Shandra hatte sich aus einem Rentierfell ein Sitzkissen zusammen gefaltet. Auf diesem hockte er jetzt entspannt am Feuer, beobachtete den Waldrand entlang der kleinen Lichtung und ließ seine Gedanken schweifen, während seine Sinne, sein Unterbewusstsein nicht aufhörte, die Geräusche des Waldes zu registrieren und den Rand des Schattens zu beobachten. Er hörte die Annäherung der Wölfe viel früher, als er die erste Bewegung unter den Bäumen wahrnehmen konnte. Er begrüßte die beiden schönen und starken Tiere wie gewohnt liebevoll und er freute sich, dass sie offenbar die Absicht hatten, die Nacht bei ihm im Camp zu verbringen. Er mochte es, wenn die beiden Wölfe sich an seinen Flanken nieder taten und ihm während der Nacht das Gefühl gaben, er sei doch nicht ganz allein auf dieser Welt.

      An diesem Abend schien sich etwas ganz Besonderes anzubahnen, denn die Wölfe suchten seine Nähe auf eine Art, die ganz und gar ungewöhnlich war. Sie schmiegten sich besonders eng an ihn und hielten ihre goldfarbenen Lichter wie hypnotisiert auf ihn gerichtet. Die Wölfe warteten auf etwas, das war unübersehbar. Ein Ereignis von hoher Bedeutung stand unmittelbar bevor.Shandra war satt und entspannt.

      Der Nachthimmel wölbte sich über ihm und es war eine der Nächte, die über der Frühjahrstaiga besonders seltenen sind. Der Vollmond überzog den Himmel mit seinem samtenen Glühen und kein einziges Wölkchen behinderte die Sicht auf die Flammenpunkte der Sterne. Es war dunkel auf der Lichtung und nur das Knacken der brennenden Zweige in Shandras Feuer und die fernen Geräusche des nächtlichen Urwalds störten die Stille minimal und da geschah es.

      Shandra hatte vergessen wie es sich anfühlt, wenn sich Geist und Körper plötzlich voneinander zu trennen beginnen. Jetzt kehrte die Erinnerung zurück, der Geist des Bären war in ihm und übernahm plötzlich das Kommando. Shandras Körper wurde still und steif und dann begann sich sein Geist vom Körper zu lösen und schwebte als ein beinahe transparentes, silbern schimmerndes Abbild seiner realen Gestalt hoch oben auf der Höhe der Baumwipfel über der kleinen Lichtung. Shandra fühlte sich ausgesprochen wohl, obwohl er nackt und die Nacht alles andere als warm war. Er sah sich neugierig um und ihm war so, als müsste er jeden Augenblick Besuch bekommen. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht, denn in der klaren Nachtluft schwebte in diesem Moment eine kleine, kaum erkennbare Wolke auf ihn zu, verhielt genau ihm gegenüber, dann verdichtete sich der Dunst und das Abbild eines mächtigen, grauen Bären materialisierte vor Shandras Augen in der Luft.

      Die uralten Augen des Bären waren voller Weisheit, aber auch voller Trauer. Shandra ahnte, woher die Trauer kommen mochte. Lange tauchten die Blicke des Bären und des alten Kriegers ineinander ein, dann begann der Bär leise zu sprechen.

       „Bruder Mensch, du hast mich getötet und mein Herz gegessen und dich damit als würdigster unter den lebenden Menschen jener Zeit gezeigt. Ich vertraute dir und siehe da, ich wurde betrogen. Du warst stark. Aber am Ende warst du doch schwach, auch nur ein Mensch. Du hattest alles gewonnen und hieltest die mächtigste Magie in deinen Händen, die zu jener Zeit auf der Erde existierte. Weshalb hast du die Macht aus deinen Händen gegeben und die Schwerter versiegelt?“

      Shandra überlegte eine kleine Weile. Was der Bär ansprach lag so unendlich lange zurück, dass Shandra glaubte, nur noch eine nebelhafte Erinnerung an jene Ereignisse zu besitzen. Doch an eines erinnerte er sich noch genau.

      „Ich wusste sehr wohl um die Macht, die mir gegeben worden war. Ich wusste aber auch, dass solche Macht niemals in die Hand eines einzelnen Menschen gehören konnte. Ich hatte begriffen, dass diese Macht nicht natürlichen Ursprungs war und dass die Magie der Macht auf Dauer nicht in die Hände Einzelner gehören konnte. Kein Mensch ist stark genug, solche Macht für immer und ewig zu kontrollieren. Die Gefahr, dass die Magie der Schwerter die Kontrolle über den Geist des Menschen gewann, der sie eigentlich beherrschen sollte, war viel zu groß. Ich selbst habe die Versuchung gespürt. Ich habe damals nicht nur einen Augenblick lang darüber nachgedacht, wie es wäre, mit Hilfe der magischen Schwerter ein weltumspannendes Reich zu schaffen. Ein gutes Reich, natürlich. Aber wäre mir das gelungen? Ich war mir meiner selbst nicht sicher, wie konnte ich da erst an zukünftige Inhaber dieser Macht glauben? Nein, ich weiß genau, dass es richtig war, die Schwerter zu versiegeln und ich hoffe, ich habe es auf eine Art getan, die weder von Menschen, noch von Göttern, nicht von Trollen und Dämonen rückgängig gemacht werden kann. Die Menschen sind stark und zäh. Sie brauchen keine Magie, um auf dieser ihrer Erde zu leben und zu überleben. Ich weiß, dass ich gut daran getan habe, die Schwerter zu versiegeln. Hast du mich deshalb so lange gemieden, mein Bruder?“

      Der Bär nickte bedächtig.

      „Ja, auch deswegen. Aber auch, weil ich zu erkennen glaubte, dass du mit den Schwertern auch jene Art von Mut abgelegt hattest, die dich von allen anderen Menschen unterschied. Du warst der geborene Krieger und hast aufgehört, dieser zu sein. Erst jetzt habe ich begriffen, dass du der Hexe nicht gewachsen warst, weil du um dich um diejenigen sorgtest, die dir wichtig waren. Auch ich bin nichts weniger als allwissend. Als ich erkannte, dass der Krieger in dir wieder erwachte, als der Scheiterhaufen deines Ziehbruders zu brennen begann, beschloss ich, dich auf deinem letzten Weg zu begleiten. Du hast es verdient.“ „Mein letzter Weg steht bevor? So darf ich endlich den Menschen folgen, die mir zu ihren Lebzeiten so viel bedeutet haben?“ „Die Zeichen sagen es.“ „Dann machen mir die Zeichen seit langer Zeit wieder einmal Freude. Kannst du mir Genaueres sagen, Bruder Bär? Wann werde ich meine letzte Reise beginnen? Wohin wird mein letzter Weg mich führen? Werde ich Rollo wiedertreffen? Oder gar Shakira? Wo werde ich im Leben nach diesem Leben jagen?“ „Du weißt, dass die Zeichen über solche Einzelheiten keine Auskunft erteilen, nicht wahr? Du weißt

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