Königreich der Pferde. Rudolf Jedele

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Dann erst musste er kämpfen. Bis dahin konnte er noch weiter üben.

      Shandra übte und er suchte und fand auf seinem Weg durch die Taiga genügend Übungspartner, die ihm alles abverlangten. In den Wäldern lebten eine Reihe von Räubern, die in Shandra und seinen Rentieren eine leichte und am Ende des Winters hoch willkommene Beute zu erkennen glaubten und ihn oft ohne zu zögern sofort attackierten.

      Zweimal waren es Schneeleoparden, dann ein starker Luchs, doch sie alle gingen leer aus. Auch ein kleines Rudel schwarzgrauer Wölfe versuchte sein Glück. Dann war es ein mächtiger Braunbär und am Morgen des vierten Tages begegnete er dem eigentlichen König der Taiga.

      Ein gewaltiger Tiger, lehmgelb mit kräftiger, schwarzgrauer Zeichnung, einer nahezu rein weißen Kehle und ebenso fast weißen Tatzen tauchte am Grat eines mit dichtem Buchengestrüpp bewachsenen Hanges auf und beobachtete, wie sich Shandra mit seinen vier schwer beladenen Rentieren genau den Hang hinauf quälten. Kein Mensch ist in der Lage, die Mimik eines Tieres mehr als nur zu erahnen. Auch nicht ein so alter und erfahrener Krieger und Waldläufer wie Shandra. Aber Shandra verfügte über andere Möglichkeiten und, obwohl er diese über eine sehr lange Zeit hinweg nicht genutzt hatte, glaubte er zu erkennen, was hinter den leicht zugekniffenen gelben Augen der mächtigen Katze vor ging.

      Wenn die kleine Truppe ihren Kurs nicht änderte, würde ihr praktisch im Rachen des Tigers münden und es hatte den Anschein, als freute sich das riesige Raubtier bereits auf eine leicht erbeutete Mahlzeit.

      Shandra fixierte das riesige Tier, studierte es und fragte sich im nächsten Augenblick, auf welche Art er einen Angreifer dieses Kalibers am besten bekämpfen sollte. Zugleich wurde er sich der Tatsache bewusst, dass er einem Gegner dieses Kalibers höchstens einmal in seinem langen Leben gegenüber gestanden hatte. Er gönnte sich den Luxus und ließ seine Gedanken kurz schweifen. Der graue Bär der Grazalema, dessen Fell ihn seit nunmehr länger als neun Jahrhunderten begleitete, mochte sich in einer ähnlichen Kategorie befunden haben, wie dieser sibirische Tiger dort oben auf dem Kamm.

      Ein Entschluss musste gefasst werden und Shandra traf seine Entscheidung so, wie es sich für einen einstmals gefürchteten Krieger geziemte.

      Er griff in die Führleinen der Rentiere und hieß diese anzuhalten. Als nächstes suchte er nach einer Möglichkeit zum Anbinden und da sich nichts anderes anbot, wickelte er die Leinenenden um einen großen Stein, der aus dem Firnschnee ragte.

      Shandra legte langsam seinen schweren Mantel ab, dann begann er absolut zielstrebig den Hang hinauf, dem Tiger entgegen zu steigen.

      Die riesige Katze beobachtete Shandras Bemühungen und Vorbereitungen mit ihren gelb funkelnden Augen ganz genau und ließ dabei dennoch keinerlei Merkmale von aufkommendem Jagdfieber oder dergleichen erkennen. Fast hatte es den Anschein, als würde die Katze es akzeptieren, wenn Shandra einfach weiter zöge. Doch Shandra wollte nicht einfach weiterziehen. Er suchte die Auseinandersetzung mit dem mächtigen Tier, denn er wollte wissen, wo er in Sachen Kraft, Schnelligkeit und Tötungswillen bereits wieder angekommen war. Gelang es ihm, dem Tiger standzuhalten, ihn vielleicht sogar zu besiegen, dann würde er auch mit einem halben Dutzend Schergen der Hexe keine größeren Probleme bekommen. Allerdings war es ihm nicht daran gelegen, den Tiger tatsächlich zu einem Kampf zu zwingen und ihn gar noch zu töten. Nur seine Reflexe wollte und musste er prüfen.

      Solange der den Hang unter sich hatte, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als fast auf allen Vieren zu gehen. Der Hang war steil und unter der immer noch gut einen Fuß starken Schicht aus hartem Firn befand sich eine dicke Lage alten Laubes und herunter gefallenem Totholz, es war schwierig, sicheren Tritt zu finden. Es wurde erst besser, als er die Höhe des Grates erreicht hatte und sich nun auf Augenhöhe mit dem Raubtier befand.

      Shandra richtete sich auf, atmete tief durch, pumpte frischen Sauerstoff in seine Lungen, ehe er sich langsam und voll angespannter Wachsamkeit auf den Tiger zu bewegte. Er setzte seine Füße voller Bedacht, er glitt nahezu lautlos auf den wartenden Gegner zu und da geschah etwas, das ihn beinahe aus der Fassung brachte.

      Plötzlich, wie aus dem Nichts heraus, begann sich die Welt zu verändern. Mit einem Mal fühlte sich sein Körper fast wie schwerelos an, in seinen Muskeln, Bändern und Sehnen erwachte eine fast schon ungeheure Spannkraft und Geschmeidigkeit. Seine Nase begann Gerüche zu registrieren, die er schon beinahe vergessen gehabt hatte und sein Gehör empfing Frequenzen von ungeahnter Bandbreite. Die Schärfe seiner Augen steigerte sich in geradezu beängstigender Weise und er war zudem in der Lage zusätzlich zu den normalen Farben auch das gesamte Wärmespektrum zu sehen.

      Shandra konnte das unbeschreibliche Glücksgefühl kaum glauben. Er hätte jubeln können, laut hinaus schreien was er empfand, denn etwas für immer verloren Geglaubtes kehrte in diesen Augenblicken zu ihm zurück.

      Das Herz des Bären hatte ihn verlassen, als er den weißen Wolf in den Tiefen des Polareises versenkt und für immer versiegelt hatte. Neunhundert Jahre war er ohne dieses Gefühl der überlegenen Kraft und der unbesiegbaren Instinkte auf der Welt herum geirrt und jetzt, in diesem Augenblick stellte er fest, dass er dieses Herz nie verloren hatte. Es war nur verschüttet gewesen.

      Jetzt, ganz plötzlich, war der Bär in ihm wieder da.

      Seine unerschütterliche Kraft, seine kaum zu überbietender Mut und dies alles gepaart mit der Schläue eines Königs der grauen Bären, war zu ihm zurück gekehrt und setzte die Begegnung mit dem Tiger in ein vollkommen anderes Licht.

      Seltsam, aber auch der Tiger hatte die Veränderung in dem Menschen gespürt, der da auf ihn zu gekrochen kam. Zuvor hatte er Shandra vielleicht als ein leichtes Opfer betrachtet, eine Beute, die man – wie alle Menschen – einfach mal so, im Vorübergehen schlägt. Dann war die Veränderung eingetreten und nun sah sich der Tiger einem unbekannten Lebewesen gegenüber, einem Raubtier, welches ihm in allen Belangen womöglich ebenbürtig zu sein schien.

      Wilde Tiere - auch nicht die stärksten und wildesten unter ihnen - haben niemals das Bedürfnis, einander gegenseitig zu zerfleischen um den Nachweis zu erbringen, wer der Stärkere ist. Dies ist eine Verhaltensweise, die nur den Menschen zu eigen ist. Wilde Tiere kämpfen um ein Revier, um eine Beute, um das Recht der Paarung, aber niemals aus Prinzip.

      Der Tiger sah eindeutig keinen Sinn darin, mit diesem unbekannten Wesen einen Kampf auszufechten. Umso mehr nicht, als er an diesem Tag bereits eine erfolgreiche Jagd hinter sich gebracht hatte. Langsam wich die Spannung aus dem mächtigen Körper, die Krallendolche wurden eingezogen, die Augen weiteten sich von schmalen Schlitzen zu großen, runden und gelb leuchtenden Lichtern. Die nach hinten geklappten Ohren richteten sich auf, drehten sich nach vorne und dann erhob der Tiger sich in gelangweilter Lässigkeit, wendete auf der Stelle und verschwand auf der anderen Seite des Grates ohne Shandra noch eines weiteren Blickes zu würdigen.

      Shandra hatte sich auf einen dicken Wurzelstock gesetzt und starrte blicklos in das Dämmerlicht des Hochwaldes.

      Der Bär war zurück gekehrt!

      Zum ersten Mal seit hunderten von Jahren fühlte Shandra sich wieder ein klein wenig als der, welcher er in jungen Jahren eine Zeitlang gewesen war, als Shandra el Guerrero.

      Nach einiger Zeit stieg er zu seinen Rentieren hinunter, führte sie über den Grad und dort in ein kleines Flusstal hinein. Er folgte dem Gewässerrand flussaufwärts und kam auf diese Weise recht zügig voran. Er folgte dabei eher unbewusst denn absichtlich einer deutlich im Firnschnee lesbaren Spur. Es war die Spur des Tigers und es war, als führte ihn die riesige Katze zu einem ganz bestimmten Ziel.

      Shandra

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