Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange
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Katharinas Ängste galten auch ihrem Ehemann, stets litt sie unter der Zeit, die Dietmar auf Handelsreisen war, stets war sie in Sorge, es könnte ihm in der Fremde etwas zustoßen, ohne dass sie ihm helfen, ihn pflegen, vielleicht sogar aus der Gefahr erretten könnte. Das war schon als Kind so, wenn der Vater wochenlang fort war, und die gleiche Besorgnis galt nun auch dem Ehemann. So wartete sie auch diesmal von Woche zu Woche sehnlicher auf seine Rückkehr, manchmal schickte sie einen Knecht zum Hafen, der die aus Visby Heimkommenden befragten sollte, ob er noch auf Gotland wäre und ob es ihm dort gut gehe.
Doch dann kamen die drei Schiffe zurück, mit denen er aufgebrochen war, und mit ihnen kam die schmerzliche Nachricht, man sei vor Arkona in einen furchtbaren Sturm geraten, Dietmars Schiff sei dort auf Grund gelaufen, zwar dennoch unbeschädigt wieder freigekommen, der Kaufmann jedoch bei dem Aufprall über Bord gestürzt und verschollen. Nacht sei es gewesen, heftiger Seegang und tobender Wind, niemand habe ihn noch entdecken können in der aufgewühlten See, die ihn verschlungen habe. Man werde jetzt wohl für Dietmar Faehling Seelenmessen lesen müssen, ein schreckliches Unglück sei es und ein schneller und böser Tod ohne den Trost der heiligen Sakramente. Der Schiffsführer nahm es auf sich, der Witwe diese Nachricht zu überbringen, doch zuvor wandte er sich an Jannes, den Schwager und väterlichen Freund des Verschollenen, damit er Katharina Faehling beistehen möge in dieser schweren Stunde.
Katharina vernahm den Bericht, mit starrem Gesicht und trockenen Augen, als würde sie nicht begreifen, was da geschehen war. Nein, sie wollte es auch nicht begreifen; was in ihren Ängsten oft so deutlich vor ihrem Auge stand, jetzt ließ sie es nicht zu, Wahrheit zu werden. Nein, sie würde keine Seelenmesse lesen lassen, sondern nur tausend Gebete um Bewahrung und Rettung, denn Dietmar würde zurückkehren zu ihr und den Kindern. Besorgt betrachtete Jannes die Schwester. Sie würde sich abfinden müssen mit dem Schicksal, das doch so vielen Frauen auferlegt war, damit sie für die Kinder, das Haus und das Gesinde, die Abwicklung der Geschäfte Kraft fand. Sicher, der Rat würde einen Vormund bestellen, wie es üblich war bei einer Witwe, und er würde sich anbieten für dieses Amt, doch er würde sie zwingen, all das mit zu entscheiden, denn sie war klug genug, wenn sie nur stark genug wäre.
„Wir wollen ihr Zeit geben,“ sagte er draußen zu dem Schiffer, „noch ist das alles zu pötzlich über sie hereingebrochen. Ich bitte dich, die Schiffe zu entladen und alle Waren, die Dietmar gehören, zu stapeln. Ein Sekretarius soll es überprüfen, die Abgaben festsetzen und den Verkauf freigeben. Ich werde mich dann darum kümmern. Gerade jetzt ist es wichtig, hohen Gewinn zu erzielen, damit seine Familie sich nicht einschränken muß. Ich bin Pate für Reinhold, und ihm soll das Geschäft des Vaters einmal ungeschmälert übergeben werden, dafür verbürge ich mich. Und ich werde Anna, Dietmars Muhme, darum bitten, Katharina zur Seite zu stehen, die beiden sind gleichen Alters, und auch Anna hat den Verlust ihres Mannes zu tragen gehabt.“ Aber weder Jannes noch Anna gelang es, Katharina zur Trauer zu bewegen. Sie vergoß keine einzige Träne, sie betete ununterbrochen um die Rückkehr ihres Mannes, sie weigerte sich, von den anderen Kaufleuten und deren Frauen getröstet zu werden. Selbst ihr Beichtvater vermochte nicht, sie zu einer Seelenmesse zu bewegen. Ihr Herz war wie versteinert, sie hatte ihm verboten, Dietmars Tod auch nur zu denken.
*
Dietmar Faehling trieb auf dem Wasser, wurde von den Wellen überspült, nur deren Druck verhinderte noch, dass er endgültig in die Tiefe sank. Da war er plötzlich, der Gedanke: Sein Vater hatte ihn doch schwimmen gelehrt, damals, als sie einmal Großmutter Vesna besuchten und das Wasser der Wochenitze angenehm warm war. Vor unendlich langer Zeit war das, nie hatte er wieder geübt, vergessen schien das alles. Doch als er noch einmal aus dem Wellental hinaufgeschleudert wurde, begannen Arme und Beine sich zu bewegen, Todesangst brachte die Erinnerung zurück, er ließ sich von der nächsten Wogen treiben, streckte nun die Beine lang aus, schob mit offenen Händen das Wasser zur Seite, führte sie über dem Kopf zusammen und spreizte sie wieder, die Beine folgten dem Rhythmus, er schwamm nun bewußt mit dem Zug der Wellen in der Hoffnung, sie würden dem Ufer zustreben, schob sich voran, schluckte Wasser, keuchte vor Anstrengung, aber er ging nicht unter, kämpfte um sein Leben.
Plötzlich stießen seine Beine gegen etwas Hartes, Festes, er wollte sich aufrichten, doch ein Sog von vorn riß seine Beine wieder nach oben, aber die nächste Welle trieb ihn weiter voran, nun fühlten seine Hände Sand zwischen den Fingern, für einen Augenblick wich das Wasser zurück, holte Atem, er kam auf festen Boden zu liegen, eine neue Welle überspülte ihn, er warf sich noch einmal mit aller Kraft vorwärts, die nächste Welle kam, doch zog sie ihn nicht mehr zurück. Mühsam kroch er vorwärts, fühlte Geröll und Sand; erschöpft blieb er liegen. Für einen Augenblick riß die Wolkendecke auf, und da sah er sie vor sich, diese gewaltige Wand, höher aufragend als daheim die Türme von Dom und St. Marien, strahlend hell im Licht des Mondes. Dietmar meinte, die Mauern des himmlischen Jerusalem zu schauen. Bin ich schon dort, dachte er. Aber warum öffnen sich mir nicht die Tore? Bleiben sie ohne Beichte und Absolution verschlossen, dachte er, bin ich ausgestoßen aus der Stadt der Seligen, wo ich ihr doch so nahe bin? Bin ich verdammt in meinen ungesühnten Sünden, bestraft damit, das Heil zu schauen und es doch nicht zu empfangen?
Doch da versank die Mauer, kehrte die Dunkelheit der Nacht zurück, und dunkel wurde es auch in ihm, nachtschwarz auch vor seinen Augen. Seine Sinne schwanden, und zitternd vor Kälte lag da nur noch sein lebloser Körper am Strand.
Am nächsten Morgen kamen zwei halbwüchsige Knaben den Strand unter den Kreidefelsen entlanggelaufen; barfuß und ohne Beinlinge hüpften sie zwischen Sand und Wasser hin und her, doch das war kein Spiel, denn immer wieder bückten sie sich und sammelten etwas in einen Korb. Wie alle, die auf der Insel Rügen am Rand des Meeres wohnen, wussten sie, dass die aufgewühlte See den kostbaren Bernstein an den Strand spülen würde. Meist waren es nur kleine milchige Splitter, aber der Vater wusste sie zu polieren, die scharfen Kanten zu glätten und dann jedes Stück zu durchbohren, um sie als Kette aufzufädeln. Auf den Märkten gab es genug junge Burschen, die ihm für ein paar Münzen solch eine Kette abnahmen, um sie der Liebsten zu schenken. Doch immer wieder fanden sie auch schöne große, goldfarbene und fast durchsichtige Steine. Die sammelte er dann sorgfältig in einem Lederbeutel, denn mehrmals im Jahr kam ein Händler ins Dorf auf der Suche nach solchen Steinen, um sie den Paternostermakern weiterzuverkaufen für ihre Rosenkränze, und die zahlten andere Preise.
Die beiden Jungen blickten aufmerksam auf den Boden, um zwischen all den gelbbraunen Kieseln die echten, oft ebenso unscheinbaren Bernsteinstücke zu finden, und so stolperte sie fast über den Mann, der da auf dem Strand lag, durchnässt und leblos. Der Ältere beugte sich über ihn, hielt prüfend die Hand vor die Nasenlöcher, beobachtete die Brust, ob sie sich hob und senkte. „Er lebt,“ flüsterte er dann, „komm, wir ziehen ihn ein wenig höher auf den Strand.“ Dann liefen sie ins Dorf zurück, berichteten dem Vater, der kam mit einigen Nachbarn, und gemeinsam trugen sie den Fremden in eine der Hütten, zogen ihm das nasse Wams und das Hemd aus und hüllten ihn in eine trockene Decke. Der Unbekannte hatte immer noch die Augen geschlossen, und er öffnete sie tagelang nicht, und wenn er es tat, so schien er niemanden zu erkennen. Fieber hatte ihn gepackt und schüttelte ihn, man kühlte die Stirn, rieb ihn immer wieder trocken, und als er wieder fähig war zu schlucken, flößten die Leute ihm heilenden Tee ein.
Irgendwann, unerwartet, schlug er die Augen auf, schaute mit klarem, erstauntem Blick um sich, sah fremde Gesichter, hörte eine fremde Sprache, und die Erinnerung an Brana, die Kinderfrau seiner ersten Jahre, kam zurück, er verstand das eine oder andere Wort, und dann, plötzlich, sagte er einen jener slawischen Sprüche auf, die die alte Magd ihn damals gelehrt hatte und deren Sinn er nicht wusste. Die Leute erschraken, denn es war ein heidnischer Zauber, dem sie doch abgeschworen hatten. Aber er konnte sprechen, und so fragten sie: „Wer bist du?“ – erst in ihrer eigenen, dann in der deutschen Sprache, die einige von ihnen beherrschten.
Dietmar nannte seinen Namen und den Ort, aus dem er kam, und fragte dann: „Wo bin ich?“ „Unser Dorf heißt Wissowe und wir sind Ranen. Wir haben