Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange

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Die Faehlings - eine Lübecker Familie - Eckhard Lange

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sagte er zögernd. „Es ist auf Grund gelaufen, und ich bin ins Wasser gestürzt, aber ich konnte ans Ufer schwimmen. Was dann geschah, daran erinnere ich mich nicht mehr.“ „Die Heiligen haben dich vor dem Tod bewahrt, Fremder,“ sagte der Dorfälteste. „Doch woher wußtest du diesen... Spruch in unserer Sprache?“ „Ich hatte eine Kinderfrau, die hat ihn manchmal vorgesprochen. Ihr müsst wissen, auch meine Mutter sprach eure Sprache, sie stammte aus dem Stamm der Wagrier. Aber was er bedeutet, weiß ich nicht, er kam nur so in die Erinnerung zurück, als ich eure Sprache hörte.“

      Der Älteste nickte. Der Fremde schien also keine heidnischen Bräuche zu üben, das wäre übel gewesen für das Dorf. Es war erst ein Dutzend Jahre her, dass die Dänen den Tempel des Swantewitt zerstörten und dafür Kirchen bauten auf ihrer Insel. Man hatte sie alle getauft und allen Aberglauben verboten. „Du musst dich erholen, Deutscher. Du bist unser Gast, solange du willst, aber du darfst erst gehen, wenn du wieder kräftig genug bist.“ Dietmar tastete nach seinem Wams, das sie neben das Lager gelegt hatten. Dort hatte Katharina an drei Stellen Münzen eingenäht für den Notfall. Nun würde er sie brauchen können. „Ich will euch bezahlen, wenn ich fortgehe,“ sagte er, aber der Älteste blickte ihn ernst an: „Du bist unser Gast, und kein Gast wird je etwas zahlen im Land der Ranen. Sprich nie wieder davon.“

      Eine Frau trat in die Hütte, sie brachte einen Kräutertrunk und süßen Brei. „Stärke dich,“ sagte der Slawe. „Morgen bekommst du auch Brot und etwas Braten, wenn dein Magen es wieder verträgt. Du hast viele Tage im Fieber gelegen.“ Dietmar musste an Katharina denken. Sie wird sich sicher Sorgen machen. Ob die anderen Schiffe unversehrt zurückgekehrt sind? Dann wird sie glauben, ich sei mit meiner Knorr untergegangen. Doch ich kann ihr die Trauer nicht ersparen, es wird einige Tage dauern, bis ich zurückkehren kann. „Ankern hier bei euch Schiffe, mit denen ich meinem Weib Nachricht senden kann?“ „Wir haben nur unsere Fischerboote. Aber wir werden dich zu einem Hafen bringen, wo die Schiffe der Händler anlegen, sobald du gesund genug bist für eine Reise.“ Der Älteste blickte auf das Wams. Du bist kein Schifferknecht, denke ich, sondern der Schiffsführer oder ein Kaufmann, nicht wahr?“ Dietmar nickte. Er aß und trank, doch dann überkam ihn die Müdigkeit, und er schloß die Augen. Da schickte der Älteste die Männer hinaus, bis auf einen, der sollte am Lager des Fremden wachen.

      *

      Reinhold, Dietmars Sohn, war bei aller Trauer um den Vater eifrig damit beschäftigt, das Treiben am Hafen zu beobachten. Jannes sah es durchaus wohlwollend, wenn sein junger Neffe so in die Aufgabe eines Kaufmanns hineinwuchs, und dieser hielt es mit nun fast acht Jahren für kindisch, noch mit einem hölzernen Steckenpferd herumzutoben. Daß ihm die Mutter seit längerem Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte, war doch ein Zeichen dafür, dass er bald auch als Handlungsgehilfe tätig sein würde. Doch seitdem die Nachricht, Dietmar sei auf See geblieben, Lubeke erreicht hatte, war Katharina nicht mehr in der Lage, den Sohn zu unterrichten. Bei jeder Aufgabe stieg die Angst in ihr auf, auch Reinhold könnte eines Tages ein Schiff besteigen und sie verlassen.

      An diesem Tag ging Reinhold wieder in aller Frühe die Alfstraat hinunter, die inzwischen mit einem Bohlenweg befestigt war, trat durch das Tor der dicken Backsteinmauer, die Herzog Heinrich erst kürzlich zum Schutz der Stadt hatte errichten lassen, und warf zunächst einen Blick über das Hafengelände. Das mit dicken Bohlen abgestützte Ufer war von den Kaufleuten aufgeschüttet worden als Schutz vor den Hochwassern und um das Hafengelände zu erweitern, die Trave war damit tief genug, so dass eine Knorr oder ein Langschiff mühelos am Kai anlegen konnte. Rund achtzig Schritt waren es vom Tor bis zum Ufer, das weite Hafengelände zeigte sich an diesem noch kühlen Morgen bereits voller Leben und Geschäftigkeit. Überall lagen Tonnen und Ballen, sorgfältig gezeichnet mit den Eigentumsmarken der einzelnen Händler; Kaufleute aus Bardowieck und Lüneburg, Brunswik und den westfälischen Städten gingen umher, prüften die Ware und verhandelten um den Preis. In mehreren Städten würden in wenigen Wochen die herbstlichen Messen beginnen, da galt es, günstig einzukaufen und rechtzeitig auf den Märkten zu sein.

      Noch immer entluden Schifferknechte auch tags zuvor hereingekommene Schiffe, die Zeit der Fernfahrten über See neigte sich dem Ende zu, denn niemand wagte sich dann noch in die Winterstürme aufs Meer hinaus. Andere Schiffsleute lagerten in Zelten auf dem Hafengelände, sie hatten das Gut der Eigentümer zu bewachen. Manche vertrieben sich die Zeit mit Würfelspielen, man hatte ihnen den Lohn ausgezahlt, und nun hofften sie, ihn durch etwas Glück zu vergrößern auf Kosten der anderen. Hier und da brachten Träger auch Ballen, Kisten und Fässer durchs Tor in die Stadt zu den Speichern der Kaufleute. Nicht alles wurde sofort im Hafen verhandelt, manche Ware gewann an Wert, wenn man sie zurückhielt und erst im Winter verkaufte, wenn das Angebot gering und die Nachfrage größer wurde. Und inmitten all des bunten Treibens gingen mit gewichtiger Miene die secretarii des Rats umher, um die vorgeschriebenen Abgaben zu erheben oder auch die Qualität mancher Waren zu schätzen.

      Reinhold liebte diesen Anblick, diese geschäftige Welt des Handels, diesen Geruch fremder Länder, der aus den vielen Tonnen und Ballen in seine Nase drang. Er fand einen Platz, auf dem Waren mit der Marke seines Vaters lagerten, Oheim Jannes hatte sie von den drei Schiffen zusammentragen lassen und einen Handlungsgehilfen beauftragt, sie fremden Händlern anzubieten. Der Junge wollte dabei zuschauen, er empfand Verantwortung für alles, was der Vater im fernen Gotland erworben hatte. Doch noch war der Gehilfe nicht erschienen, nur zwei Knechte bewachten das Handelsgut, und sie nickten dem Jungen freundlich und ein wenig wehmütig zu.

      Da erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit: Über das Röhricht hinweg, das den Hafen nach Norden hin begrenzte, sah er die Masten mehrerer Schiffe, die die Trave heraufkamen. Wegen des günstigen und nur leichten Windes hatten sie noch Segel gesetzt und glitten nun wie stolze Schwäne über den Fluß, dann refften die Schifferknechte das Tuch, der Steuermann drehte bei, Seile flogen ans Ufer, wurden dort ergriffen, und einige Männer zogen Schiff um Schiff an die Kaikante. Auf jedem stand der Schiffsführer, um die nötigen Kommandos zu geben, und neben ihm ein oder zwei Kaufleute, die zu dieser Hanse gehörten.

      Reinhold war ans Ufer gelaufen, um alles genau beobachten zu können, doch plötzlich schrie er laut auf: Auf der zweiten Knorr, die eben an die Bohleneinfassung gezogen wurden, stand ein Mann, und er glich seinem Vater – nein, das ist nicht wahr, er ist es selbst, ganz gewiß ist er es! „Vater!“ rief der Junge, und er weinte dabei vor Freude, „Vater!“ Und der Mann dort auf dem Schiff winkte, sprang an Land, noch ehe es festgezurrt war, lief mit weiten Schritten auf den Jungen zu, umschlang ihn, drückte ihn an sich, und auch ihm kamen die Tränen. „Reinhold, mein Junge!“

      Die Umstehenden waren aufmerksam geworden, viele kannten Dietmar und erkannten ihn nun, den Verschollenen, den Totgesagten, den von der Stadt Betrauerten. Sie drängten sich heran, um den Kaufmann zu begrüßen, Hände wurden geschüttelt, Fragen wurden laut, doch Dietmar wehrte ab: „Habt Geduld, Freunde, ihr werdet alles erfahren. Laßt mir Zeit, zunächst mein Weib zu begrüßen.“ Und auch Reinhold zog ihn am Arm, auch er wollte der Mutter die Nachricht bringen – den Vater bringen.

      Katharina stand gerade an der Feuerstelle, als ihr Sohn Dietmar hereinführte. Sie drehte sich dem Jungen zu, sah den Mann daneben stehen, sah ihren Ehemann, und einen langen Augenblick standen sich die beiden schweigend gegenüber, als müssten sie sich erst Gewissheit verschaffen, dass dies wirklich geschah. Dann schrie Katharina, lang und anhaltend, als müsste sie allen Schmerz, alle Last, die sich in ihrem Herzen angesammelt hatten, hinausschreien. Sie taumelte, Dietmar musste sie auffangen, und erst in seinen Armen begann sie zu weinen – all die Tränen, die sie so lange zurückgehalten hatte, Tränen der Trauer, die doch jetzt Tränen der Freude waren.

      Vierzehntes Kapitel: September 1201

      Es war das einzige Mal, dass Dietmar und sein väterlicher Freund und Schwager Jannes ernsthaft aneinandergerieten, und es lag nun bereits zehn Jahre zurück. Vielleicht war es der Altersunterschied, vielleicht auch der Gegensatz zwischen Ehre und Vorteil,

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