Raju und Barbara. Wilhelm Thöring
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Barbara bat Raju, ihm gut zuzureden, wieder in die Küche zu gehen und seine Arbeit zu tun. Als die beiden Alten in ihren Zimmern waren, drängte sie Raju, der Mutter deutlich zu machen, dass in diesem Hause das getan wird, was sie anordnet, und dass sie sich zurückhalten möge.
„Sie ist eine alte Inderin, Bärbel. Sie glaubt, auch in diesem Haus das Sagen zu haben. So ist es in diesem Land, und so ist sie es gewohnt.“
„So? Savita, deines Bruders bequeme Frau, die lässt die Mutter in ihrem eigenen Haushalt gewähren – ja, sie bedient sie sogar und lässt es sich gefallen, von der Person herumgeschickt zu werden! Aber hier versucht sie die Dienstherrin zu spielen!“
Raju hat mit seiner Mutter gesprochen und die alte Frau hat begriffen, dass es in diesem Haus, dem eine Europäerin vorsteht, andere Regeln, andere Ordnungen gibt. Sie hat sich keine Verärgerung anmerken lassen, und in die Küche ist sie lange nicht mehr gegangen. Und wenn Ninu ein Zimmer, in dem die alte Frau saß, betrat, um ihre Arbeit zu tun, dann ist sie wortlos in ihre Wohnung hinaufgegangen.
Dafür äußerte der Vater seinen Unmut, und er tat es nicht nur auf Bengali, wie sonst – er sprach Englisch, dass auch Barbara ihn verstehen konnte.
Barbara hat ihnen den morgendlichen Tee ins Zimmer getragen, dem Mittagessen jedoch bleiben sie heute fern – beide sitzen hinter der Zeitung und schweigen, ohne etwas wahrzunehmen. Auf die Frage des Sohnes, ob sie keinen Hunger hätten, steht der Vater auf und öffnet weit die Tür zum Flur, und diesmal verzichtet er darauf, Bengali zu sprechen. Er belehrt den Sohn so laut, dass auch die Schwiegertochter es hören muss: Die Mahlzeiten würden in Indien am Abend eingenommen, wenn der Tag zu Ende geht und nicht am helllichten Tage, in der großen Hitze. Es wäre an der Zeit, dass das auch in diesem Hause verstanden würde, denn es stehe nicht in Europa, sondern auf indischem Boden. Er und die Mutter, sie wünschen am Abend zu essen, zur richtigen Zeit! Daran wären sie ihr Leben lang gewöhnt! – Und auch das wäre in Indien nicht üblich: Dass übrig gebliebene Speisen am Abend wieder aufgewärmt und aufgetischt würden. In ganz Indien gäbe es diese Unsitte nicht. Er wäre weit im Land herumgekommen – aber alte Speisen, die wären ihm nirgendwo vorgesetzt worden! Die gehören den Tieren. Er könne nicht verstehen, dass der Sohn diese Unsitten billige. Für ihn und seine deutsche Frau wäre es besser gewesen, sie wären in Europa geblieben ...
Als Raju gehen will, fordert der Vater ihn auf, zu bleiben. Er hätte ihm noch mehr zu sagen. Da sind die Hunde, von denen einer ständig vor der Tür herumliege, dass man über ihn stolpere oder hinwegsteigen müsse, während der andere durchs Haus jage, in jeden Winkel seine Nase stecke und wie ein Kind gehalten werde. Ja, das seien die beiden hier wohl: Keine Tiere, sondern Kinder!
Doktor Sharma machte eine bedeutungsvolle Pause und sah seinen Sohn durchdringend, herausfordernd an, ob der ihm darauf antworten, ihm etwas erklären würde. Doch Raju schwieg. Er wusste, dass der Vater darauf wartete und auf seinen Widerspruch hinaus wollte. Und weil er vom Sohn keine Antwort bekam, fuhr er erregt und gestikulierend fort:
„Und das Personal – das nimmt bei euch eine Stellung ein, die ihm nicht zukommt! Wo gibt es das, dass ein Mensch niederer Kaste im Raum schlafen darf, in dem sich die Herrschaft aufhält? Dein Gärtner schläft draußen, wo er hingehört, dem Koch erlaubst du, seine Schlafmatte in der Küche auszurollen! Wenn ich dir schon manches vor die Füße werfe, was mich bei euch in diesem Hause stört, dann höre auch das noch ...“
Raju hat sich umgedreht, hat leise die Tür zugezogen und ist gegangen.
Doktor Sharma brauchte seine Zeit, sich zu besinnen und zu beruhigen, um wieder in der Mittagszeit am Tisch zu erscheinen. Da saß er mit versteinertem Gesicht, sah weder den Sohn noch die Schwiegertochter an, ja, nicht einmal seiner Frau gönnte er einen Blick. Die alte Frau schien erleichtert zu sein, sie aß mit gutem Appetit und ließ sich sogar von Pran, der nicht nur in der Küche schläft, sondern ebenfalls mit der Herrschaft am Tisch sitzt, die Speisen zureichen.
Kali, der Chauffeur, soll heute Raju und Barbara in den Botanischen Garten fahren. Auch die alte Mutter möchte mitfahren; der Vater zögert, er tut, als hätte er wenig Interesse an diesem Unternehmen. Als dann die Mutter reisefertig nach unten gehen will, meint er, sie solle warten und ihn nicht ständig bedrängen. Noch auf der Treppe fragt er:
„Nehmt ihr die Tiere auch mit?“
Raju muss lachen. Er nickt, dabei die Augen verdrehend, Barbara zu. „Nein, Vater, die bleiben im Garten bei Ashim.“
„Gut, dann fahre ich auch mit“, knurrt der alte Mann.
Sie wohnen an der nördlichen Grenze der Stadt, noch hinter dem Flughafen Dum Dum. So muss Kali sich durch den stinkenden, den hupenden Verkehr wühlen. Die beiden Frauen sitzen im Fond des Wagens, zwischen ihnen, beide Hände zwischen die Schenkel geklemmt, sitzt Raju; der Vater hat seinen Platz vorne neben Kali. Gelassen, mit hängenden Lidern, als wäre er schläfrig, starrt er in die Straßen. Wenn ein anderer Wagen ihnen zu nahe kommt, dann wendet er ein wenig den Kopf ab.
Kolkata wird durch den Fluss Hugli geteilt, und die Puja Brücke verbindet den östlichen Teil Kolkatas mit Puja, dem westlichen, durch die Brücke, die nach diesem Teil der Stadt genannt wird; Kali fährt langsamer als nötig, denn die alten Herrschaften möchten die Brücke ansehen und auch einen Blick auf den kolossalen Bahnhof und auf den Fluss werfen können. Beim Anblick von Fluss und Brücke wird der Vater munter; er wendet sich nach hinten und erinnert an eine Fahrt, die der englische Vizekönig mit seiner Gemahlin auf seinem prachtvollen Salonschiff über den Fluss gemacht haben soll. Das wäre im Sommer neunzehnhundertneunundvierzig, kurz vor seinem Abschied von Indien gewesen, als das Land in die Unabhängigkeit entlassen und Pandit Nehru Ministerpräsident wurde, erinnert Doktor Sharma sich. Der Anblick des davonfahrenden Schiffes, erzählt er, hätte ihn mit Freude und Hoffnung erfüllt, denn mit der Unabhängigkeit würde sich alles im Land wieder so gestalten, wie es zu den Menschen und dem Land passe. Viele der Jungen hätten es ebenso empfunden; und einige hätten versucht, alles auszumerzen, was von den verhassten Engländern ins Land geschleppt worden wäre ...
Doktor Sharma ist gesprächig geworden, und was er zu erzählen hat, das erzählt er auf Englisch, so dass Barbara es auch versteht. Er ist wie verändert; ein neuer Mensch sitzt da vor ihnen im Wagen; sogar der Chauffeur Kali wundert sich darüber, er lässt den Wagen etwas zu flott fahren, so dass Raju ihn an ein gemächlicheres Tempo erinnern muss, damit die Eltern sich alles ansehen können.
Selbst