Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tod auf den Gleisen - Elisa Scheer страница 16
Die Freisleder war aber schon eine Marke mit ihrer grauen Wallemähne und diesen Klamotten, die immer wie selbst gewebt und selbst gefärbt aussahen. Und die Mandalas um den Hals! Den Bildern im Kunsttrakt zufolge brachte sie den Schülern auch vor allem Esoterisches nahe. Warum auch nicht – von den anderen Kollegen tat das ja wohl keiner.
Sie besorgte ein paar Kleinigkeiten und eine Zeitung und fuhr nach Hause.
Morgen hatte sie den Deutschkurs – Zusammenfassung der Handlung in „Maria Stuart“, Frage nach der Wirkung Marias auf die Männer, Wiederholung der Theorie von der schönen Seele, Analyseübung eines Szenenausschnitts…
Neunte Deutsch: Lektürestart – Der Herr der Fliegen. Das war hier so üblich, auch wenn sie den Roman nicht mochte. Zwölfte Geschichte – wo hatte sie das Ex hingelegt? Die würden morgen hoffentlich so richtig absahnen!
Und am Nachmittag die Exkursion zur MVG in München.
Und dann nur noch zwei Tage, bis die Schrankwand kam, herrlich!
Sie tippte, sortierte, heftete ab und packte alles Nötige in ihre Tasche, trug die heute erbeuteten Noten ein und sortierte die Wäsche, auf die sie am Sonntag keine Lust gehabt hatte. Die schaffte sie noch locker vor dem Kino!
Sie trug den Korb in den Keller, schrieb sich auf die gähnend leere Liste, füllte die Maschine, gab zwei Tabs dazu, knallte die Tür zu und warf klappernd zwei Euro ein. So, erledigt. Um zehn nach vier war die Maschine durch.
Und bis dahin…
Zeitung lesen!
Die Zeitung war langweilig. Außer den ewigen Querelen im Rathaus gab es gar nichts. Die Bahndammleiche kam überhaupt nicht mehr vor, in Leiching gab es einen dubiosen Erpressungsfall – der Artikel war so kryptisch formuliert, dass man nicht wirklich schlau daraus wurde – und in Zolling (wo war das denn? Das musste sie sich bei Gelegenheit mal anschauen) protestierten die Bürger gegen einen neuen Kindergarten.
Blödes Pack, dachte sich Doro und warf die ohnehin recht dünne Zeitung ins Altpapier.
Etwas unbeschäftigt strich sie durch die Wohnung, bis es endlich Zeit war, die Wäsche nach oben zu holen, dann hängte sie alles auf, bügelte kurz darüber, wo es nötig war und war dann wieder ratlos.
Na gut, ein kleiner Spaziergang? Sport war schließlich auch notwendig! Heute mal… ja gut, Zolling! Sie schaute im Stadtplan nach und fuhr los.
Zolling war recht hübsch. Schmale, zum Teil noch gepflasterte Straßen, alte Bäume, stellenweise fast schon historische Reihenhäuser, dann wieder Einzelvillen, nicht protzig, sondern rührend altmodisch… eine nette Gegend!
Als Historikerin konnte sie ja die einzelnen Häuser durchaus einigermaßen sicher datieren, und bei manchen besonders bieder wirkenden Walmdachvillen suchte sie unwillkürlich an der Front nach der Halterung für den Fahnenmast. Für die Hakenkreuzflagge. Gut, aber hätte man die Häuser nach 45 abreißen sollen, wenn sie schon den Bombenkrieg überlebt hatten? Die Fünfziger Jahre hatten ja ohnehin ganz naiv so weiter gebaut – man denke nur an die kleinen Siedlungshäuschen – ob Kriegersiedlung oder Vertriebenenheime, das sah alles ungefähr gleich aus. Von den eher asymmetrischen Gartentoren bei der neueren Variante mal abgesehen.
Und hier konnte man sich die Dreißiger, Vierziger, Fünfziger und Sechziger so richtig vorstellen. Wenn man sich die Autos wegdachte. Und die Frau da drüben, die konzentriert auf ihr Smartphone starrte: böser Anachronismus - und wenn die nicht besser aufpasste, stolperte sie gleich über das historisch unebene Straßenpflaster! Na, wenigstens würde sie weich fallen – die Frau war so breit wie hoch, mindestens. Und in der freien Hand eine brennende Kippe. Direkt schade, dass sie keine dritte Hand mehr hatte, für ein hochprozentiges Fläschchen… Oh – das war die Trautenwolf!
Sie kam näher und blinzelte Doro an. „Ich kenn Sie doch, oder?“
„Dorothea Fiedler“, stellte Doro sich artig vor und schämte sich für ihre gehässigen Gedanken. „Ich bin eine neue Kollegin.“
„Ah, schön. Und Sie wohnen auch hier?“
„Äh – nein, in Selling. Ich gehe hier nur spazieren. Um Leisenberg besser kennen zu lernen.“
„Schade. Hier wohnen einige Kollegen. Ganz praktisch, wenn man sich mal was ausleihen möchte - Frau Bittl, Frau Uhl, Herr Trattner, Herr Ederer, Herr Meidlinger. Aber Selling ist ja auch ganz nett…“ Sie lächelte so breit, dass ihre Augen fast in den Speckfältchen verschwanden.
Doro lächelte etwas falsch zurück. Die Auswahl sprach leider nicht gerade für die Gegend. „Wissen Sie, wo es hier zum Fluss geht?“, fragte sie also, um abzulenken. Gut, dass sie die Existenz dieses Flusses – Bächleins? – dem Stadtplan entnommen hatte! „Aber ja! Ich wohne doch schon dreißig Jahre hier! Da vorne durch den Zolihoweg und dann halb links die Steintreppe hinunter. Und dann sehen Sie schon. Viel Vergnügen noch!“
Doro bedankte sich höflich und folgte den Anweisungen. Eigentlich war die Trautenwolf ganz nett. Sie hatte nur einen unsäglichen Geschmack bei Nachbarn. Doro wäre weggezogen, wenn solches Volk in ihrer Nähe gewohnt hätte!
Auch Quatsch. Sie wusste ja gar nicht, ob nicht noch viel schlimmeres Volk in Selling wohnte. Die Mendel zum Beispiel! Die Lichwitz. Nein, die musste ja wohl irgendwo einen Bienenstock und einen Olivenbaum haben. In Selling eher schwierig.
Oder den Krempel aus dem Italienurlaub mitbringen. Oder ein Ferienhaus haben. Oder… Auf jeden Fall sollte sie besser nachdenken, tadelte Doro sich selbst. Die Freisleder wollte sie auch nicht unbedingt nebenan haben. Seitdem man die Telefonnummern nicht mehr so leicht einer Gegend zuordnen konnte, waren die Adressen gar nicht so einfach herauszufinden. Und eine Adressenliste wurde nicht mehr herausgegeben, weil die E-Mail-Adressen ja im Intranet standen. Wer damit nicht zufrieden war, der machte sich bestimmt verdächtig!
Die arme Bittl, überlegte sie, während sie die Stufen zum Fluss hinunterstieg, der Ederer war doch ohnehin so lästig, und dann wohnte er auch noch in der Nähe? Da fiel ja alles wie „Ich muss leider in die genau entgegen gesetzte Richtung“ komplett weg! Andererseits konnte die Bittl dem widerlichen Schleimer bestimmt ordentlich rausgeben, die war ziemlich tough.
Die Treppe war recht lang, und unten angekommen fand Doro die Szenerie eher enttäuschend – ein schmales Rinnsal zwischen einigen mäßig malerischen Felsen, Bäume mit immerhin dekorativ verfärbtem Laub, eine verrottete Bank, die offenbar zu oft vom Hochwasser betroffen war.
Naja. Die Isar gab ja eigentlich flussmäßig auch nicht so viel her, musste sie als Münchnerin zugestehen. Die schaffte nicht mal ein anständiges Hochwasser, was den ausgedehnten Isarauen zu verdanken war. Sie musste mal fragen, wie das hier zur Zeit der Schneeschmelze ablief! Spaziergänger waren keine zu sehen. Etwas düster, das Ganze.
Doro schlenderte den Fluss entlang nach Westen, bis ein geeigneter Felsen am Wegesrand auftauchte, auf den sie sich setzen konnte. Spitz von unten. Aber doch ein ganz netter Blick. Düster-romantisch. So was wie Jane Eyre könnte man hier drehen, überlegte sie, wenn man auf die ausgedehnte Heidelandschaft verzichten konnte.
Doch sehr spitz und obendrein kalt von unten! Sie stand wieder auf, rieb sich den klammen Hintern und machte sich wieder an den Aufstieg. Beim nächsten Mal konnte sie ja am Mönchensee spazieren gehen, dort war es wirklich schön.
Aber