Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer
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Egal, erst die letzten vier! Sie sah sie durch, schrieb Punktesummen, Punkte und Noten auf die Blätter, rechnete den Durchschnitt präzise aus: 11,24, äußerst zufrieden stellend, druckte den Erwartungshorizont aus, tütete ihn ein und versenkte alles in der G 12-Mappe.
Draußen war wieder der Schrauber zu hören. Sie bezähmte sich und bastelte die Angabe für den Kurs G 11 – die hatten heute auch ordentlich mitgearbeitet und konnten morgen bestimmt etwas.
Danach strich sie in ihrem Terminplaner alles Erledigte sorgfältig mit pinkfarbenem Textmarker ab – nicht mehr viel zu tun! - , packte ihre Tasche, räumte im Zimmer ein wenig herum, schaute auf die Uhr – halb fünf – sortierte ihre Bücher schöner, warf einige überzählige Kopien weg, spülte zwei herumstehende Teller ab, polierte die Arbeitsplatten und räumte den Schrank mit den Lebensmitteln auf. Sehr ergiebig war das nicht, sie wohnte ja erst fünf Wochen hier.
Immerhin, eine eigene Küche, und wenn sie noch so winzig war! Wenn sie da an die Wohnküche in der Wörthstraße dachte…
Der Raum war schön gewesen, mit Blick auf den Bordeauxplatz, man hörte immerzu das Klingeln und Surren der Neunzehner Tram. Saugemütlich – aber die Möbel waren völlig abgewohnt, offenbar noch aus den frühen Sechzigern, als Frithjofs Großeltern dort gelebt hatten. Und um den großen Tisch in der Mitte saßen immerzu die merkwürdigsten Leute, meistens welche, die Anna irgendwo aufgegabelt hatte. Die rauchten eine nach der anderen (und man konnte froh sein, wenn es bloß Tabak war…), tranken – und fraßen - den Kühlschrank leer, belästigten die Mitbewohner und diskutierten über Fußball.
Gut, man hatte Anna, die mit jedem Idioten Mitleid hatte, schließlich zum Auszug bewogen, aber auch sonst war die Küche ein Ort des Grauens. Ob es nun um die Siegeschancen von Schalke ging, die Frage der Mindestlöhne, eine Untersuchung, wer den letzten Joghurt von Matthias geklaut oder wer schon wieder die Spülmaschine nicht ausgeräumt hatte… man traute sich schon kaum noch hinein.
Der Brief mit der Versetzung nach Leisenberg war geradezu eine Erlösung gewesen. Sicher hatte Doro gerne in München gelebt, aber mit diesem Brief konnte sie fristlos kündigen und noch auf Verständnis rechnen.
Also hatte sie ihren Krempel in Kisten gepackt, sich in Leisenberg eine kleine Wohnung gesucht (und über die vergleichsweise niedrigen Mieten gestaunt) und ihre Kisten herschaffen lassen. Bis auf das Bettsofa und den wackligen Tisch hatte sie nichts mitgenommen - sollten die Chaoten doch damit glücklich werden!
Wenn sie sich an die WG erinnerte, gefiel ihr die winzige Wohnung gleich noch viel besser: alles ganz für sie allein, herrlich! Sicher, Matthias, Sophie, Carina, Frithjof und sogar die durchgeknallte Anna waren nett gewesen – aber ebenso oft hatten sie auch furchtbar genervt. Und sich in sein Zimmer zurückziehen und gut hörbar den Schlüssel umdrehen – das galt als unsozial: „Hast du was? Bist du irgendwie blockiert? Haben wir dir was getan? Warum willst du dich nicht einbringen? Carina hat vorgeschlagen, echte Schafwolle selbst zu färben und zu spinnen und hinterher etwas echt Authentisches daraus zu stricken – willst du nicht mitmachen? Hast du ein gestörtes Verhältnis zur Natur? Wie, Pullis kratzen? Das ist doch egal, es geht schließlich um ein Statement!“
Doro kicherte vor sich hin, während sie geringfügig aufräumend durch die Küche strich. Ins Bad konnte sie schlecht, davor werkelten ja die beiden Handwerker und sie müsste über Werkzeugkasten, Regalbretter, halbfertige Schubladen und alles andere klettern und wäre nur im Weg. Außerdem gab es im Bad nichts Interessantes aufzuräumen.
Sie lauschte auf den Akkuschrauber, trocknete das bisschen Geschirr ab und verräumte es – und dann beschloss sie, doch schon ihre Klamotten in ordentlichen Häufchen auf dem Bettsofa aufzustapeln. Neben den Blazern, die sie auf dem Heimweg von den verschiedenen Reinigungen abgeholt hatte.
Sah recht nett aus, fand sie nach dem fünften Stapel, nach Farbe geordneten T-Shirts; daneben lagen Strickjacken, Rollis, Tops und eine Handvoll Jeans und Chinos. Sehr ordentlich. Und wenn sie das langsam und sorgfältig machte, dauerte es bestimmt, bis die beiden fertig waren!
Kriegten die wohl Trinkgeld?
Na, wenn es nachher schön aussah und sie vielleicht sogar die Sägespäne wegfegten, pro Nase einen Zehner? Die Montage kostete sowieso noch 120 Euro für zwei Stunden – aber das war es wert. Der Schrank war teuer genug, da musste er nicht wackeln und schief dastehen, weil sie sich selbst laienhaft daran versucht hatte!
Die zwei Stunden waren eigentlich schon fast vorbei, überlegte sie – und in diesem Moment wurde der Akkuschrauber ausgeschaltet.
„Mir hätten´s jetzt“, verkündete der eine. „Wollns mal schaugn?“
Doro schaute. Sehr ordentlich! Alles drin, Kleiderstangen, Regalbretter, Schubladen, zwei Drahtkörbe… alle Türen gerade, leichtgängig und mit den eleganten Edelstahlgriffen. Sie rüttelte probeweise am Korpus, probierte alle Schubladen aus, nickte zufrieden, lobte die beiden, verteilte das Trinkgeld, ohne sich über das Häuflein Sägemehl aufzuregen, unterschrieb die Rechnung und brachte die beiden samt ihrem Equipment zur Tür.
Herrlich!
Wieder allein – mit einem perfekten Schrank.
Sie war gerade mit dem Stapel T-Shirts auf dem Weg, als das Telefon klingelte.
Huch? Hatte das, seitdem sie hier wohnte, schon mal geklingelt? Der Festnetzanschluss? Wer kannte eigentlich die Nummer? Wahrscheinlich bloß wieder solche Gauner, die fragten, ob sie nicht einen Bausparvertrag – eine Umfrage – einen billigeren Handyanbieter – ein Diätzaubermittel….
Nein – Silvia.
„Na, kleine Schwester?“
„Ich bin fünf Zentimeter größer als du!“, entgegnete Doro sofort. Silvia lachte. „Und ebenso viele Jahre jünger. Finde dich damit ab, du bleibst das Schwesterchen. Wie geht´s dir so?“
„Gut. Ich habe gerade die Wohnung fertig eingerichtet.“
„Na, endlich. Du wohnst doch schon bald fünf Wochen in diesem komischen Kaff.“ Doro ärgerte sich. „Na und? Ich muss doch nicht an einem Tag alles fertig haben.“ So wie du, du blöde Perfektionistin.
„Na, dir hat es ja noch nie etwas ausgemacht, im Chaos zu hausen. Willst du überhaupt dort bleiben? Lass dich doch nach München zurückversetzen!“
„Wozu? In Leisenberg lebt es sich viel günstiger. Und die Leute hier sind nett. Was soll ich schon in München?“
„Und was ist mit Vinz und mir?“
„Warum soll ich euretwegen nach München ziehen? Als ich noch in der Wörthstraße gewohnt habe, haben wir uns auch so nicht oft gesehen. Vinz hat immer was Trendigeres vor, und du bist ja auch dauernd beschäftigt.“
„Soll das ein Vorwurf sein?“
„Quatsch. Nur eine Feststellung. Was gibt´s denn bei euch Neues?“
Silvia seufzte ausdrucksstark in den Hörer. „Noch nichts!“
„Wie, nichts?“ Doro war ratlos. „Dass bei euch die totale Langeweile herrscht, kann ich mir nicht vorstellen. Ich denke, du wohnst in einer so pulsierenden Großstadt, kein Vergleich mit dem provinziellen Leisenberg?“
Silvia