GIFT geschädigt. Maxi Hill
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Die Nachmittagssonne stand schon schräg und schien ihm ins Gesicht. Er blinzelte und vielleicht sah es aus, als belächelte er ihre Sorgen.
»Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen.«
Nicht, dass allein ihre grünen Augen pure Galle versprühten, der Frau war eine gewisse Atemlosigkeit anzumerken. Noch ehe er sie aufklären konnte, die Entdeckung bereits ordnungsgemäß gemeldet und die Pflanzen auf Bitte des Amtes vorschriftsmäßig entfernt zu haben, eilte sie davon. Zurück blieb nur ein ganz gewisser Duft. Kein unangenehmer. Ein süßer, aber dezenter Duft.
Schrimp hob die Nase und ebenso die Schultern und er dachte, da könne er nichts machen. Hysterische Leute gebe es immer. Leute, die überall Gespenster sahen und alles infrage stellen mussten. Herrje, wie viele davon gefährdeten bereits den Alltagsfrieden. Aaron war auch einer von denen. Verständlich. Aaron hatte ein Problem und er suchte nach Schuldigen. Und diese Frau? Hatte auch sie ein Problem und suchte nach einem Schuldigen, ob der ins Raster passte oder nicht?
Aus dem Park kommend schritt Schrimp lang aus, ging am japanischen Teehaus vorbei, das mal wieder restauriert worden war. In boshafter Regelmäßigkeit fiel es den Vandalen zum Opfer, die nichts Besseres mit sich anzufangen wussten, als Unmengen von Unrat zu produzieren, Bierflaschen zu zerschlagen und Leute anzupöbeln. Dagegen waren seine Schützlinge die reinsten Lämmer, auch wenn ihr Wissensdrang zuweilen nervte, auch wenn ihre rosarote Schläue ihm manchmal die grüne Galle bescherte, auch wenn es Eltern gab, die ihren Krösus in Watte packen möchten, wie diese Frau Hamm. Manchmal fragte auch er sich, wie manch ein Schüler es schaffte, all seine Interessen zu bündeln oder gar im Besonderen auszuleben. Sebastian Hamm war so einer. Ob seine Eltern nur zu hohe Erwartungen hatten? Denkbar, bei dieser Mutter. Andererseits lagen gerade Sebastians Hobbys nicht eben dort, wo Menschen wie diese ehrgeizige Grille, die längst seinen Blicken entschwunden war, ihre Kronjuwelen aufzubewahren pflegen. Musikschule ja. Aber Karate-Klub? Oder diese Jazz-Band, vielleicht auch Hip-Hop oder Pop? Schrimp kannte sich da nicht so genau aus und nachdenken wollte er nicht länger, das Wochenende war zu kostbar für unnützen Ärger.
Aaron B.
Aaron verbrachte jetzt mehr Zeit mit anderer Lektüre, als mit den vertrauten Klassikern. Er las nicht nur, er vermehrte seine ungewöhnlichen und irgendwie auch heimlichen Handnotizen, die schon einen breiten Ordner füllten. Wenn er gerade nicht in einem medizinischen Ratgeber blätterte, wenn er keines der Chemiehandbücher nach etwas durchforstete, was er auch zu verstehen in der Lage war, dann saß er am Klavier und spielte nervige Etüden. Seine Stakkatos brachten Hanna zur Weißglut, seine Finale grandioso hatten zur Folge, dass sie das Haus verließ und erst am Abend zurückkam, wenn Aaron wieder Vernunft angenommen hatte. Er hielt Hanna nicht davon ab. Ihm behagte das Alleinsein und dann wieder verzweifelte er daran - je nach Tagesform. Es gab schon Tage, da stand er gestiefelt und gespornt im Flur in der Absicht, Ole Fedder aufzusuchen. Wenn die Sache je einen Verbündeten notwendig machte, dann musste es Schrimp sein. Und dann gab es Tage, an denen er nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte. Es ging ihm nicht gut, doch sein Hausarzt hatte keinen Grund dafür gefunden und Hanna hatte immer den gleichen Spruch drauf: »Geh endlich zu einem Spezialisten, oder hör auf zu jammern.«
Er jammerte gar nicht. Im Gegenteil. Er spielte aller Welt den Sorglosen vor, dem niemand seinen Humor nehmen könne.
»Warum gehst du nicht?«, hatte Hanna geschrien.
»Die Zeitschriften in den Warteräumen gefallen mir nicht«, war seine bleierne Antwort. Diese Art Sprüche hatte er von Schrimp gelernt und er bewunderte diese lockere Art. Zu gerne würde er auch so sein, aber zuweilen war sein Zustand nicht zu verbergen. Nicht vor seiner Frau und nicht mehr vor seinen Schülern. Wenn es ihm noch halbwegs gelang, dann in der kurzen Zeit, die er im Lehrerzimmer mit den Kollegen verbringen musste. Zwangsläufig.
Wenn es nur die zunehmende Gedächtnisschwäche wäre, die könnte er irgendwie überspielen. Besorgniserregender für ihn waren die rätselhafte Benommenheit und der quälende Husten. Freilich gab es wegen seiner Zerstreutheit bereits Misstöne im Kollegium. Jeder fühlte sich bedroht vom Entlassungs- und Umsetzungsbestreben des Schulamtes. Gerade wurde noch geklagt und das Urteil war noch gar nicht gesprochen. Auch er sah eine reelle Chance, von einer Umsetzung in den Speckgürtel von Berlin verschont zu bleiben. Aber gegen eine Versetzung an eine Realschule oder Hauptschule hatte er keinen brauchbaren Trumpf in der Hand. Wenn seine Versetzung eintreten sollte, konnte er sich sein profundes Wissen an Literaturgeschichte hinter den Spiegel stecken. Und wer nahm einen Musiklehrer noch ernst.
Nun war er beim Spezialisten gewesen. Ruhiger war er nicht. Man weiß nie, was einem angenehmer ist. Wenn der Arzt nichts unternimmt, oder wenn er alles Mögliche unternimmt. Dieser Arzt unternahm alles Mögliche, wie man so sagt, doch gerade dieser Umstand war beängstigend. Vielleicht musste er sich nun keine Sorgen mehr machen. Vielleicht würde die Computertomografie die Auflösung des Rätsels bringen.
Aaron hatte keine Ahnung, ob die bange Erwartung eine Lösung für sein Problem war. Ganz sicher nicht. Über seine Lippen huschte etwas, was man bei jungen Menschen ein süßes Lächeln nennt. Dieses war ähnlich, aber es war bittersüß. Fatal, was er inzwischen dachte: Im schlimmsten Falle wäre er nicht mehr der Spinner, den sie ihn nannten, seit er diesen unglaublichen Verdacht hatte.
Am Morgen gab es auf dem Stadthallenvorplatz eine Demonstration gegen die Erweiterung des Tagebaues östlich der Stadt. Das Dorf Horno sollte abgebaggert und die Bewohner in nigelnagelneue Häuser umgesiedelt werden. Ganze Wohnsiedlungen sollten neu entstehen. Doch das war kein Ersatz für Landratten mit Geschichte, mit Erinnerungen, mit Liebe zu ihrem bescheidenen Besitz, den sie in entbehrungsreichen Jahren geschaffen hatten, der Mangelwirtschaft zum Trotz. Schlimm für Leute, die keinen so langen Vorausblick auf ihr Leben mehr hatten.
In den Gesichtern sah Aaron eine Sehnsucht, einen Kampfgeist und zugleich Bitternis gegen die Lügen der einst Mächtigen. Der letzte Minister hatte versprochen, Horno zu erhalten. Es gab ihn nicht mehr, diesen Herrn. Sein Versprechen war in den Schubladen unter der Altersdemenz versackt.
Auf einem der mitgeführten Spruchbänder konnte man lesen: Neu Horno - Kein Baum, kein Strauch. Nur lieblos geschichtete Steine ohne Seele.
Von der Einkaufspassage her formierte sich ein Gegenblock aus Männern in Overalls. Vermutlich Kohlekumpel, die durch die Proteste ihre Existenz bedroht sahen. Bürger der Stadt waren nicht viele zu sehen. Die hatten eigene Probleme; was interessierte sie fremdes Leid. Die Kohlegruben ringsum waren den Städtern nicht angenehm, aber sie heizten ihre Stuben.
Aaron hatte ein Weilchen zugehört und gewusst, sie hatten den Mut, weil sie mehrere waren. Ob sie Erfolg haben werden? Wer weiß? Eines Tages wird es in den Geschichtsbüchern stehen, aber ihr Kampf ist auch so nicht umsonst, dachte er. Das nächste Mal würde Vattenfall, der Energieriese, der die Lausitzer Braunkohle AG geschluckt hatte, genauer prüfen, vorsichtiger sein.
Wenn er doch selbst den Mut aufbrächte, für sein Problem zu kämpfen, konsequenter zu sein. Nein. An Konsequenz fehlte es ihm nicht. Es fehlte ihm das Zeug, sich aufzulehnen gegen einen unsichtbaren Feind. Wer seinen Feind nicht kennt, kennt nicht die Mittel, ihn zu bekämpfen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
»Es geht doch längst nicht mehr um Kohle«, sagte die vertraute Stimme dicht an Aarons Ohr. Schrimp jetzt jetzt oft zu Fuß zur Schule. Auch ihn ließen die verbrecherisch hohen Spritpreise entdecken, wie heilsam das tägliche Laufen war, und zuweilen, wenn ihr Unterricht zur gleichen Stunde begann, trafen sie sich genau an dieser Stelle.
»Die