GIFT geschädigt. Maxi Hill
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Schulalltag und eine nicht alltägliche Nachricht
Eine Stubenfliege, vielleicht die letzte des Jahres, hatte sich verirrt und brummte bedrohlich über den Köpfen der Klasse, huschte zurück zur kühlen Scheibe, um wie magnetisiert haften zu bleiben. Nach gewisser Zeit wiederholte sie das letzte Spiel ihres Lebens. Zwischendurch kreiste sie unter der Zimmerdecke und zuweilen auch vor Schrimps Gesicht. Ein hämisches Grinsen der Jungen und das Warten, was jetzt passieren würde. Pure Abscheu aus den Gesichtern der Mädchen. Schrimp spürte das Gemisch der Empfindungen. Die Schüler wussten nicht, was sie tun sollten und was nicht. Sie hatten längst gelernt, dass Schrimp nichts wiederholte, und das zumindest war ärgerlich wenn er einen seiner Witze machte. Er machte jetzt keinen Witz, er hatte eine Idee.
»Fangt sie ein, aber zerdrückt sie nicht.«
Für einen Moment entglitt ihm die Ruhe, die gewöhnlich in seinem Unterricht herrschte. Das Tohuwabohu begann. Tobias, der dickliche Knabe mit der Nickelbrille, hechtete sein Übergewicht über den schmalen Körper seines Banknachbarn Jens und drohte ihm das Genick zu brechen. Schrimp ging dazwischen.
»Das war schlapp, wie ein Sturmsack bei Windstärke zwei.«
Ein Unfall hätte ihm gerade noch gefehlt. Nicht auszudenken, wenn einer dieser untertrainierten Plumpsäcke noch Schaden anrichtete. Es war genug, wenn eine der Mütter Gift und Galle über ihn auskippte. Es waren gewisse Privilegien, die das Leben dirigierten. Das Privileg der Abstammung, das die Mütter pflegten und zugleich das Privileg, sich eine Meinung zu bilden, ohne die geringste Ahnung zu haben.
Seine Hand kreiste im großen Bogen durch die Luft und das Brummen war verstummt. Er hatte das Biest. Nun kam es nur darauf an, dass er sich nicht blamierte und der Störenfried nicht wieder entwischte.
»Schnappt euch ein Mikroskop und schaut sie euch an.«
Wieder war Tobias trotz beachtlicher Körperfülle der Erste am Instrumententisch, während Schrimp die Fliege, die er musca domestica nannte, solange mit seinen Fingerspitzen an den Beinen festhielt, bis der Objektträger aufgelegt war.
»Obwohl sie so winzig ist, verfügt sie über einen hochkomplizierten Steuerapparat. Komplizierter als jedes andere von Menschenhand konstruierte Fluggerät.«
Das Tierchen sah unter dem Mikroskop nicht nur riesig aus, es schien durchscheinend und gerade deshalb gespenstisch zu sein. Besonders auf die Mädchen wirkte es jetzt bedrohlicher als im Flug.
»Mit solchen Flügeln ist man schneller als die Polizei erlaubt?«, krächzte der schmächtige Jens, offenbar nur, um auch einmal eine vorwitzige Bemerkung zu machen.
»Schaut euch die Augen ganz genau an! «
Es gab immer noch Schüler, die offenbar beim Blick durch das Mikroskop vom Objekt nichts erkannten und sich rasch wieder entfernten. Aber zu denen gehörte Tobias nicht. Er war in jeder Lebenslage neugierig, schnappte nach jeder sich bietenden Sensation und wurde deshalb (auch von manch einem Lehrer) Klatschmaul genannt. Schrimp mit seiner trotzigen Grundauffassung teilte diese Meinung nicht. Wenn die Neugier sich auf ernsthafte Dinge richtete, lobte er den Wissensdrang.
»Man. Fassettenaugen. Kennt man doch!«, prahlte Tobias. Schrimp griff ein: »Mit diesen Augen schafft sie den Rundumblick und kann ihn blitzschnell verarbeiten. Ehe du nur die Hand hebst, ist sie weg. «
»Kein Wunder, wenn man nach vorn und hinten gucken kann. Zugleich, wohlgemerkt. «
»Haben Sie auch Facettenaugen?«, fragt einer aus der hintersten Reihe.
»Klar«, antwortete ein anderer, »sonst hätte er sie wohl schlecht fangen können.« Aus dem Pulk löste sich das Stimmchen eines Mädchens, das sonst nie vorlaut ist: »Was meinst du, warum Tobias lieber büffelt, als im Unterricht zu spicken?«
Schrimp grinste in sich hinein. Respekt zeigt sich auch in gewisser Respektlosigkeit. Was aber den Fakt betraf, gab es auch bei ihm zuweilen Augenblicke, wo er keine vernünftigen Argumente fand. Sein Respekt vor der Natur war groß und das spürten die Schüler. Manches, was er nicht erklären konnte, bezeichnete er als überwältigendes Wunder des Lebens, was zuweilen missverstanden wurde.
»Gott hat die Welt perfekt eingerichtet«, sagte prompt einer, der auch noch Christian hieß und der sonst nie etwas sagte, sofern er nicht aufgefordert wurde. Christian weigerte sich sogar, den Begriff Evolution zu gebrauchen.
»Gott macht nicht alles«, kicherte Tobias.
»Braucht er auch nicht. Die meisten Dinge kommen eh aus China«, verkündete Jens Haberland lax und hatte sofort die Lacher auf seiner Seite. Schrimp gönnte dem stillen Jens einen kleinen Triumph. Er liebte es, wenn man sich seiner legeren Art anzugleichen versuchte. Es war auch nicht Chaos, was er zuweilen zuließ. Es war die Flexibilität, die ihn so wohltuend von der Sturheit anderer Lehrer abhob. Aber wenn er »Schluss!« sagte, dann war auch Schluss.
Auf dem Instrumententisch hatte Schrimp die Präparate der Ambrosia aufgereiht, die in der letzten Stunde akribisch angefertigt worden waren. Heute ging es darum, die Einzelheiten zu erkennen und zu protokollieren. Männliche von weiblichen Blüten zu unterscheiden, das bot den Schülern keine Hürde mehr. Wie stets, wenn das verborgene Mikroleben entschlüsselt wurde, stieg auch jetzt die Begeisterung. Winzige gelbe Pollen, ähnlich einer ungehäuteten Kastanie, aber mit einer Größe von weniger als 20 µm, klemmten zwischen Objektträger und Deckglas und versetzten die Schüler in Forscherlaune. Während dessen erzählte Schrimp eine komische Geschichte:
»In der griechischen Sage ist Ambrosia die Speise der Götter. Der Legende nach brachten Tauben eine ominöse Ambrosia zu Zeus. Als Speise oder Trank genossen, sollte sie die Schönheit erhöhen und vor Fäulnis schützen. Noch heute verwenden Dichter das schöne Wort ambrosisch für göttlich oder unsterblich.«
»Gut, dass das der Barthels nicht weiß«, fauchte einer und berichtigte sich beim Anblick von Schrimps Stirnfalten. »äh, Herr Barthels, natürlich. «
»Herr Fedder. Wir haben mal gelernt, dass Ambrosia die Nahrung der Bienenkönigin ist.«
»Stimmt, Tanja«, sagte Schrimp nicht ohne Erstaunen. War es ihm doch selbst entfallen, »die Mischung aus Pollen und Honig.«
Jens Haberland, der es inzwischen genoss, die Lacher auf seiner Seite zu wissen, drehte mit schelmischem Blick sein Präparat zwischen den Fingern vorsichtig nach allen Seiten und gab sich naiv:
»Also kann man das essen.«
»Als Henkersmahlzeit vielleicht.« Schrimp gab dem Jungen einen Knuff in den Oberarm. Er hatte den Schülern nicht nur die Gefährlichkeit der Pflanze eingebläut, er hatte ihnen auch aufgetragen, im handelsüblichen Vogelfutter darauf zu achten, ob sich die winzigen Früchte, die er Achänen nannte und deren Größe gerade mal drei Millimeter maß, dazwischen gemogelt hatten. Im selben Atemzug entfuhr ihm die Frage, was mit Sebastian Hamm sei.
»Der hat Ambrosia genascht«, kicherte der Geknuffte.
»Quatsch. Der hat mal wieder Summen im Kopf«, wusste ein anderer. Erst als Schrimp wieder abseits stand, raunte einer der Jungen, den Schrimp oft an der Seite von Sebastian angetroffen hatte, wenn sie gemeinsam den Weg zum Konservatorium gingen:
»Der