Unter dem Ostwind. Wilhelm Thöring

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Unter dem Ostwind - Wilhelm Thöring

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denen ihre Arbeiter kommen. Zwei dieser Fabrikanten und ihre Gattinnen sind gemeinnützig und sehen das ebenso und haben zugesagt, uns nach Kräften zu unterstüten.“

      Ganz offensichtlich ist die Pastorin stolz, zwei solch hochgestellte Damen vorweisen zu können. Während sie sich erhebt, leert sie die Tasse und stellt sie dann mit spitzen Fingern auf den Tisch zurück. Beim Abschied sagt sie: „Ich kann doch auch mit Ihnen rechnen, Frau Erdmann? Es ist eine ehrenvolle und christliche Aufgabe, die von diesem Verein getan wird.“

      Und kerzengerade, die Welt gleichsam von oben betrachtend, weil sie durch das Gewicht ihres Haarknotens dazu gezwungen wird, schreitet die Pastorin Wohlgethan davon.

      Beim Abendessen erzählt Amalie ihrem Mann von diesem Besuch. Sie erzählt, als wüsste sie nicht so recht, was von den Dingen wichtig ist und unbedingt gesagt werden muss und was sie besser für sich behält. Sie weiß auch nicht, wie er das Anliegen der Pastorin sehen und beurteilen wird. Jendrik hat diese Pfarrfrau nie gemocht. Es könnte sein, dass er unwillig wird, weil sie seiner Frau Aufgaben zumutet, die ihr selbst und der Familie lästig werden können. Hat Amalie etwa durch Äußerungen dieses Anliegen herausgefordert? Hätte sie nicht rechtzeitig das rechte und klare und entscheidende Wort sprechen müssen?

      Amalie ist immer unsicher und ohne Selbstbewusstsein gewesen, doch in letzter Zeit, so kommt es Jendrik vor, hat diese Unsicherheit selbst bei den alltäglichen kleinen Aufgaben zugenommen. Dazu fühlt sie sich allzu oft müde und kraftlos. Manche Nacht liegt sie stundenlang wach neben ihrem schlafenden Mann, weil schwere und quälende Gedanken und Träume sie überfallen und ihr zusetzen. Wie kann sie sich dagegen wehren? Das Aufstehen fällt ihr schwer, sie fürchtet sich vor den Aufgaben des neuen Tags, sie fürchtet sich vor den Forderungen der Kinder, auch davor, dass mit einem fremden Menschen etwas noch Unangenehmeres und Bedrohlicheres ins Haus kommen könnte.

      „Ich bin so müde“, gestand sie eines Morgens ihrem Mann von der Bettkante. „So schrecklich müde, dass ich ...“ Sie wollte sagen: dass ich mich nach der langen Ruhe sehne, wie Tote sie haben müssen.

      „Was soll das?“ fragte er unwirsch. „Du hast doch die ganze Nacht geschlafen!“

      Daraufhin hat sie es vorgezogen, nicht mehr davon zu sprechen. Sie erhob sich unter Mühen und ging daran, ihre Aufgaben zu erledigen und den Mann nicht spüren zu lassen, wie schwer ihr das alles fällt.

      Was wird er dann zu dem Besuch der Pastorin Wohlgethan und ihrem Anliegen sagen? Als würde es um etwas Belangloses gehen, beginnt Amalie stockend und leise zu erzählen.

      Jendrik sitzt tief über seinem Teller, beide Arme seitlich davon aufgestützt und ohne irgendwelche Anzeichen, dass er ihr wirklich zuhört.

      Wenn er kaut, dann kann sie sogar Muskeln an seinem Hals spielen sehen. Früher hat sie der Anblick solcher Kraft erregt. Vorsichtig, weil es nicht schicklich ist, hat sie sich ihm genähert, hat solche Stellen mit den Fingerkuppen berührt, bis der Funke auch auf ihn übergesprang. Jetzt erregt sie das nicht mehr. Sie sieht die Muskeln spielen, aber sie können das, was in ihr eingeschlafen, vielleicht schon abgestorben ist, nicht mehr wecken. Von unten herauf blickt sie ihren Mann an und wartet, dass er endlich etwas zu dem Besuch sagt.

      Gemächlich erhebt er sich schließlich. Er gähnt und streift sich die herabhängenden Hosenträger wieder über die Schultern. Leicht geduckt schaut er zum Fenster hinaus. „Ja, wenn die Pastorin dir eine Mitarbeit in diesem Verein zutraut, dann kannst du ihr das nicht abschlagen. Es sollte uns ehren, Malchen, dass sie uns solche Aufgaben anträgt, und dass wir mit solchen Herrschaften ...“ Er dreht sich jäh um. „Möchtest du es denn, Malchen?“

      „Ich weiß es nicht.“

      Der Mann wendet sich ihr zu. Auf seinem Gesicht liegt immer noch der Ausdruck von Abwesenheit. „Wenn du es möchtest, dann solltest du es auch tun, Malchen.“

      „Eigentlich möchte ich nicht“, sagt die Frau gequält. „Sie werden mir Arbeiten zutrauen, die ich nicht erledigen kann.“

      „Was sind das für Arbeiten, die du nicht erledigen kannst?“

      „Wenn sie mir mit dem ganzen Schreibkram kommen ...“

      „Aber du kannst doch schreiben und lesen!“ ruft er.

      „Wenig, Jendrik, ganz wenig.“ Sie wendet sich ab und beginnt vor Verlegenheit mit dem Schürzenzipfel über den Tisch zu wischen. „Ich muss es dir ehrlich sagen: ich kann nicht schreiben. Nur meinen Namen, nicht mehr.“

      „Nicht schreiben? Aber lesen kannst du doch!“

      „Auch das nur wenig. Wenn ich in ein Buch schaue, in die Bibel oder in das Gesangbuch, dann möchte ich nur den Eindruck erwecken, als könnte ich lesen. Die anderen sollen glauben, dass ich es kann. Das ist es, was mir den Entschluss schwer macht, Aufgaben im Hülfsverein zu übernehmen. Nichts anderes. Ich hätte es gerne gelernt, aber dazu fehlte uns Kindern damals die Zeit. Und außerdem hatten meine Eltern nicht das Geld, die teuren Schulbücher zu kaufen.“ Amalie steht traurig da, beschämt, dass sie ihm diesen Betrug, diese Last gestanden hat.

      „Und wenn du an deine Eltern geschrieben hast?“

      „Dann war das auch nur Täuschung. Kein Mensch hätte das lesen können. Es ergab keine Wörter, und schon recht keinen Sinn. Ich habe meine Briefe schreiben lassen.“

      „Du hast auch mich hinters Licht geführt?“

      Die Gleichgültigkeit ist aus dem Gesicht des Mannes gewichen. Ungläubig steht er vor ihr, die Arme vor der Brust verschränkt, als wollte er mit ihr einen Kampf aufnehmen. Für Sekunden, so meint die Frau, glimme in seinen Augen etwas wie Enttäuschung und Verachtung auf. Er fragt noch einmal: „Mit deiner Schreiberei hier an dem Tisch hast du auch mich an der Nase herumgeführt?“

      „Nein“, antwortet sie kaum hörbar. „Ich habe es für mich getan, Jendrik. Es war so schön, dazusitzen und so etwas wie Buchstaben auf ein Blatt Papier zu malen, auch wenn es keine richtigen waren. Aber es war schön.“

      „Malchen! Du bist ja eine ganz Abgefeimte!“ ruft der Mann und biegt sich vor Lachen. „Und all die Jahre habe ich geglaubt, dass ich an dir eine gebildete Frau habe! Und dabei war es nichts weiter als Täuschung ... Als gekritzelter Unsinn!“

      Mit hängenden Armen blickt sie zu ihm auf. Ihre Augen werden feucht. Die Frau fühlt sich, als hätte sie sich vor ihm ausgezogen. „Es war schön“, sagt sie noch einmal. „Auch wenn es nicht leicht gewesen ist. Denn immer saß mir die Angst im Nacken, dass ich mit meiner Täuscherei auffalle.“

      Er nimmt sie in die Arme und drückt sie an sich, obwohl eines der Kinder in der Tür steht und zusieht.

      „Ja, es könnte sein, dass sie dich einmal zur Schriftführerin des Vereins machen wollen“, sagt er an ihrem Ohr. „Oder sie bitten dich, einen Brief zu schreiben ...“

      „Darum möchte ich es nicht machen“, sagt sie.

      Der Mann hält sie an den Schultern etwas von sich, wie um sie besser ansehen zu können. Mit verschlagenem Gesicht meint er: „Malchen, bei mir ist dir die Finte gelungen. Meinst du nicht, dass du die Pastorin mit ihrem Verein ebenfalls ...“

      „O Gott! Nein, nein!“ ruft sie entsetzt. „Jendrik, das würde mich so sehr verunsichern, dass ich nicht einmal mit denen reden könnte! Ich würde alles falsch machen. Alles! Jendrik, ich säße zitternd und mit rotem Kopf da und würde jeden Moment das Unglück erwarten.“ Sie lächelt ihn schwach

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