Verknotungen Erzählungen. Wilhelm Thöring

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Verknotungen  Erzählungen - Wilhelm Thöring

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glaube, wir haben jetzt das ganze Haus für uns allein.“

      „Allein? Na, ich weiß nicht ...“ sagt Frau Wenzke müde.

      „Und wann ziehen Sie, Frau Wenzke?“

      „Ende der nächsten Woche.“

      „Nächste Woche schon? Ich muss noch auf die vom Amt warten. Sie wollen vorbeikommen und mir helfen. Haben sie geschrieben.“

      Sie sagt das mehr für sich. Auf ihrer Stirn erscheinen viele Falten, eine dicht neben der anderen. Groß und ausdruckslos sind ihre Augen auf Frau Wenzke gerichtet. Die kann es nicht ertragen, von diesen Augen angesehen zu werden. Wenn die Blinde mit ihr spricht, dann hat sie das Gefühl, dass sie jemand anderes meint. Jemand, der hinter ihrem Stuhl steht.

      Frau Wenzke blickt weg.

      „Dann sind wir nur wenige Tage zusammen“, denkt Mutter Jettchen laut. „Sie und ich in diesem großen Haus. Am Tag sind Sie fort, aber am Abend ...“

      Nach einer Weile traut sie sich, Frau Wenzke zu fragen:

      „Könnten Sie nicht am Tage auf ein paar Minuten bei mir hereinsehen? Nicht lange.“

      „Ein paar Minuten, ja. Viel Zeit habe ich nicht.“

      Mutter Jettchen lächelt dankbar. Sie senkt den Kopf und lächelt gegen den Fußboden.

      Wie ein Mädchen sieht sie aus, findet Frau Wenzke, ein altes Mädchen mit zerfurchtem Gesicht, mit schmutziggrauen Haarsträhnen.

      Sie steht auf.

      „Ja, das lässt sich einrichten. Wenn Sie bis zum Spätnachmittag warten. Ich habe spät Feierabend.“

      „Wie schön. Ja, bis zum Spätnachmittag. Ich danke Ihnen, Frau Wenzke.“

      Ziellos streckt sie ihre Hand aus. Frau Wenzke hält sie fest.

      „Gut, dann bis morgen!“

      „Ja, bis morgen! Wie schön! Ich freue mich darauf.“

      Hand in Hand gehen die beiden Frauen zur Tür. Schweigend stehen sie einen Augenblick im Treppenhaus zusammen. Dann geht Frau Wenzke nach oben. Sie geht schwer, als trüge sie Lasten mit sich herum. Oben geht die Tür. Der Flur wirft von allen Wänden den Knall des Schließens zurück.

      Jetzt macht auch Mutter Jettchen kehrt und schließt ihre Tür. Glücklich steht sie im Korridor, wo es seit Ewigkeiten nach Rauch, nach Asche und Feuchtigkeit riecht.

      Anderntags steht Frau Wenzke in der Tür und ruft:

      „Da bin ich!“

      „Ach, wie schön!“

      Mutter Jettchen reißt die Tür weit auf, als sollte ein ganzes Geschwader einziehen.

      „Dass Sie Wort gehalten haben, Frau Wenzke!“

      Sie sitzen in der Küche. Mutter Jettchen hat Teetassen bereitgestellt. In der Backröhre brennen zwei Reihen blauer Gasflämmchen und strömen Wärme aus.

      Frau Wenzke fragt: „Haben Sie heute Nachricht vom Amt bekommen?“

      „Vom Amt? Nein.“ Mutter Jettchen schüttelt den Kopf und lacht dazu. Dann sagt sie schnell: „Aber das Amt wird sich noch melden. Saumselig sind die immer gewesen, nicht wahr?“ Wieder lacht sie. „Aber die werden sich melden. Frau Pleskow hat es mir gesagt.“

      „Ist Frau Pleskow für Sie auf dem Amt gewesen?“

      „Doch, doch. Frau Pleskow muss auf dem Amt gewesen sein. Ich soll warten, sagte sie. Das Amt wird sich melden.“

      „Wann wollen die sich melden? Die Zeit ist abgelaufen.“

      „Bis Januar ... So viele Wochen ... Das hat noch Zeit! Es muss ja nichts überstürzt werden ...“

      Die Frauen schweigen. Sie hören die Straßenbahn quietschen, hören Rufe von weither, ein Radio dudelt. Die Kronprinzenstraße tut, als befände sie sich in ihrer besten Zeit.

      Behutsam stellt Frau Wenzke jedes Mal die Tasse zurück, wenn sie daraus getrunken hat. Sie will die Ruhe nicht verscheuchen. Hastig rennt der abgeschabte Wecker an seinem Platz. Manchmal schnarrt er im Innern, es klingt, als müsste er sich räuspern.

      Mutter Jettchen hört nichts. Sie hängt ihren Gedanken nach. Sie sagt:

      „Man wird mich alte Frau doch nicht vergessen!“ Es klingt, als spräche sie zu sich selbst.

      „Übermorgen werde ich für Sie aufs Amt gehen. Oder: Sie gehen mit! Es wird Zeit, dass wir nachfragen!“

      „Ja, wollen Sie das für mich tun? Sie sind ein guter Mensch, Frau Wenzke.“

      Frau Wenzke bewegt sich auf ihrem Stuhl, stößt irgendwo gegen.

      „Müssen Sie schon gehen“, ruft Mutter Jettchen.

      „Nein, nein. Es ist, weil ich nichts sehe. Es ist völlig dunkel geworden.“

      Mutter Jettchen steht auf, tastet an der Tür nach dem Lichtschalter.

      „Wie dumm von mir ... Entschuldigung. Ich brauche ja kein Licht ... Für mich ist immer Nacht ... Oder Tag, ganz wie Sie wollen.“

      Sie kommt sicher an ihren Stuhl zurück. Es ist, als sähe auch sie bei Licht besser.

      „Bei mir brennt nie Licht“, sagt sie. „Oder haben Sie mein Fenster schon einmal hell gesehen?“

      „Ich achte nicht darauf. Es gibt so viele Fenster in diesem Haus.“

      „Ja, viele Fenster. Jetzt sind wohl alle dunkel?“

      „Alle.“

      „Wie mein Leben.“ Mutter Jettchen streichelt ihre dürren Arme. „Dunkel war es, still und einsam. Ein ungelebtes Leben, ja, ja. Wissen Sie, wenn man alt geworden ist, dann kommt es einem vor, als hätte man sein Leben gar nicht richtig gelebt ...“

      Frau Wenzke wartet. Aber Mutter Jettchen mag vorerst nicht mehr reden. Sie steht auf.

      „Jetzt müsste ich langsam gehen ...“

      „Ist es schon so spät? Wenn Besuch da ist, dann habe ich kein Gefühl für Zeit.“

      Im Treppenhaus wartet sie, bis sie Frau Wenzkes Tür klappen hört. Als sie in ihre Wohnung zurückgeht, kichert Mutter Jettchen ein merkwürdiges Kichern, als wäre sie ein junges Mädchen. Der Besuch hat sie glücklich gemacht. Frau Wenzke wird wiederkommen, sie will mit ihr sogar aufs Amt gehen!

      Wenn sie doch nur besser hören könnte! Dann wüsste sie, wann Frau Wenzke durch den Flur geht!

      Jetzt wird sie oben Licht einschalten. Frau Wenzke braucht Licht. Sie kann ohne Licht nicht leben. Sie ist wie eine Blume. Wo Licht ist, da ist Leben. Da ist Wärme, da ist gut sein.

      Ein Fenster in

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