Severin. Myron Bünnagel

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Severin - Myron Bünnagel

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an, aber sie zuckte nur die Schultern: „Schon in Ordnung, Jacob. Es ist nur, … ach, sieh selbst.“ Damit forderte sie ihn auf, einzutreten. Er ging den beiden anderen voran, vorbei an seiner Mutter, hinein in den dezent erleuchteten Flur. Rot war die vorherrschende Farbe. Die Wände, der Teppich, selbst der Rahmen des hohen Spiegels neben einer offen stehenden Tür. Jacob kam an einem mit Gold und Porzellan überfrachteten Badezimmer vorbei, die Ablage über dem Waschbecken voller Parfümfläschchen. Die Luft war hier warm und süß, führte die Nuancen von fremdländischen Speisen und Räucherstäbchen mit sich. Der Flur öffnete sich in ein großflächiges Wohnzimmer. Heller Kerzenschein schwängerte den Raum mit seiner Hitze, machte die Luft schwer und träge. Im Zentrum stand eine enorme Tafel mit Stühlen darum. An den roten Wänden hingen Ölgemälde mit Szenen aus einem freizügigen, orientalischen Harem. Nackte Sklavinnen, vorangetrieben von muskulösen Wächtern, ergeben in den Armen eines dünnbärtigen Edelmannes. Von einem Beistelltisch, auf dem kleine Schälchen und die goldene Figur einer dreiköpfigen Gottheit arrangiert waren, stiegen Rauchfäden auf, mischten ihren Duft unter die Hitze der Kerzen, die überall verteilt standen.

      „Ich wusste nicht, dass du … dass du hier eine Wohnung hast, Mutter“, brachte er hervor.

      Sie griff nach seinem Arm, drückte ihn leicht. „Ich habe es dir bestimmt gesagt, Jacob. Meine kleine Oase der Entspannung.“

      Er zuckte unsicher die Schultern: „Vermutlich habe ich es nur überhört.“ Sein Blick glitt durch den Raum, mühte sich gegen den schimmernden Glanz der Flammen.

      „Vermutlich hast du das, Jacob.“

      Am Ende der Tafel saß jemand, eine Frau, die auf einen Teller vor sich starrte. Die Tischplatte war reichhaltig bestückt – Schüsseln und Platten mit dampfenden Speisen, jeder Platz war gedeckt. „Du hast Besuch, Mutter?“ Er trat näher an den Tisch, besah sich die Frau. Eine vage Unruhe ergriff ihn bei ihrem Anblick, eine Mischung aus Neugier und furchtsamer Ahnung.

      „Ich wusste nicht, dass du kommst, Jacob“, bemerkte seine Mutter in entschuldigendem Ton.

      Mit zögernden Schritten trat er näher. Der Raum um ihn herum schien sich zurückzuziehen, bildete einen Rahmen für die braunhaarige Frau. Ihr Haar fiel in lockigen Wellen auf ihre Schultern, berührte sanft den hellen Stoff des eng geschnittenen Kostüms. Severins Herz schlug heftig, er hörte es in seinen Ohren rasen. Der Lärm wuchs heran, bis er selbst das taube Gefühl in seinem Schädel übertönte. Wie in Zeitlupe hob sie nun den Kopf und die Erkenntnis fraß sich dabei aus Jacobs Innerstem heraus, drängte sich in den Vordergrund, schnitt sich daraus hervor, um in schmerzender Klarheit in ihm aufzusteigen. Ein feines Gesicht, hohe Wangenknochen, Andeutungen von Sommersprossen auf dem schmalen Nasenrücken. Sinnliche, dezent geschminkte Lippen, ein zierliches Kinn. Ihre Rehaugen mieden einen Moment die seinen, dann strich ihr Blick über ihn. Die Erkenntnis traf ihn mit quälender Eindeutigkeit, gleichzeitig spürte er die Wut zurückkehren. Sie war ein gleißender Schnitt und kam so heftig aus ihm hervor, dass Severin schluckte und seine Nägel tief in sein Handbett grub. „Angelica …“

      Ihre Stimme, leise und weich: „Hallo, Jacob.“ Sie hielt seinem brennenden Blick nicht stand, sah auf die Lichtreflexionen im Besteck vor ihr.

      Er wandte sich in einer heftigen Bewegung um, seine Worte voller Abscheu und Vorwurf: „Was macht sie hier, Mutter?“ Sein zitternder Finger deutete auf die braunhaarige Frau. „Was verdammt noch mal, tut Angelica hier?“

      Seine Mutter sah ihn traurig unter den blauen Lidern an. „Beruhige dich, Jacob. Ich habe sie eingeladen.“

      „Du hast was?“ Seine Frage bohrte sich in die schwülstige Atmosphäre des Zimmers. Alles darin kam ihm wie blanker Hohn vor, wie billiger, glitzernder Tand. „Warum?“

      „Wir hatten etwas miteinander zu besprechen, Jacob.“

      Er trat wütend von einem Fuß auf den anderen: „Diese Person hat hier nichts verloren. Ich dulde nicht, dass sie hier ist!“

      „Führ dich nicht so auf, Jacob. Du benimmst dich wie ein kleiner Junge.“

      „Ich setze mich nicht mit dieser … dieser Schlampe an einen Tisch!“

      „Dann bleibst du eben stehen. Aber deine Freunde haben sicherlich Hunger und möchten Platz nehmen.“ Sie deutete mit einem Kopfnicken auf die beiden schweigsamen Männer. Severin nahm sie verwirrt zur Kenntnis. Den vollbärtigen Fremden mit dem Samtturban und den klaren Augen. Seine weiße Hemdbrust war makellos und gestärkt, der Frack saß perfekt an seinem gedrungenen Körper. Und der andere, der Riese, mit seinen Prankenhänden, glatt rasiert, mit einer Hakennase. Sie musterten ihn mit reglosen Gesichtern. Mit ihrem Anblick verrauchte die Wut in seinem Inneren, die einen Moment lang so tiefrot wie die Stofftapeten gewesen war, und machte wieder dem dumpfen Gefühl von Hilflosigkeit Platz. „Ich …“ Seine Stimme, beraubt aller Schärfe, klang nun wieder brüchig und unsicher.

      „Genug davon. Nehmt alle Platz. Zum Glück habe ich genügend Essen anrichten lassen, es dürfte für alle reichen.“ Ein befehlender Unterton in der Stimme seiner Mutter. Severin ließ sich widerwillig zu ihrer Rechten nieder, bemüht, seinen Blick auf alles zu richten, nur nicht auf die Frau gegenüber. „Ist Joseph nicht da?“, fragte er und breitete übertrieben sorgfältig die rote Stoffserviette auf seinem Schoß aus.

      Seine Mutter, am Kopfende der Tafel, sah in unruhig an. „Wen meinst du?“

      „Joseph, deinen Butler und …“ Er ließ den Satz in einem anzüglichen Grinsen enden.

      Sie seufzte: „Ach, der ist doch nicht mehr bei mir. Der neue heißt Jean, aber ich habe ihm und dem Mädchen freigegeben. Bedient euch.“

      Er besah sich das Essen. Gelber Reis, der von innen heraus zu leuchten schien, dünne Fleischstreifen, gedünstetes Gemüse, unzählige Soßen und Gewürze in kleinen Schälchen. Dann wandte er den Blick ab, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Die anderen begannen zu essen, er hörte ihr Kauen, den Klang des Silberbestecks auf den Tellern.

      „Was macht sie hier, Mutter?“ Die Worte kamen ganz von selbst über seine Lippen, als hätten sie die ganze Zeit darauf gelegen, um einen ungeschützten Moment abzuwarten, um ausgesprochen zu werden.

      Die blonde Frau ließ die Gabel sinken, ihre Finger mit dem klobigen Ring umfassten den langen Stiel eines Weinglases. Kerzenschein fing sich in dem blauen Kristall, funkelte darin. Jacob kam zu dem Schluss, dass es nur billiger Strass war. Ein protziger Angeberstein. Ehe er etwas dazu bemerken konnte, antwortete seine Mutter: „Stell dich bitte nicht so an, Jacob. Eure Verlobung ist nun schon seit vier Monaten gelöst.“

      „Mich anstellen?“ Er sah sie empört an: „Du stellst dich an! Was ist nur los mit dir, Mutter? Du konntest Angelica noch nie leiden, warum ist sie also hier?“

      „Beherrsch’ dich doch, Jacob. Wir haben immerhin Gäste.“ Sie nahm einen gezierten Schluck.

      Er sah sich um, versuchte erneut, die beiden Fremden einzuordnen, die ihr Gespräch still verfolgten. Der Lockenkopf saß ihm schräg gegenüber, neben ihm wirkte Angelica klein und zierlich. Er schien voll auf mit seinem Essen beschäftigt zu sein, betrachtete jeden Bissen sehr sorgsam, ehe er ihn langsam zum Mund führte. Seine Miene blieb dabei ausdruckslos, als schmeckte es ihm weder, noch als würden ihn Jacob und seine Mutter sonderlich interessieren. Nur in seinen dunklen Augen schimmerte ein Anflug von Interesse, der sein unbeteiligtes Verhalten Lügen strafte. Der andere, der mit dem Turban auf dem Kopf, schnitt sein Fleisch in winzige Stücke, die er sorgsam aufspießte und auf denen er lange herum kaute. Seine klaren, auffälligen Augen bewegten sich dabei mit verstehender,

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