Severin. Myron Bünnagel

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Severin - Myron Bünnagel

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doch schließlich kein Geheimnis, dass wir uns getrennt haben.“ Er sprach übertrieben laut und beiläufig. Dann schüttelte er verbittert den Kopf, hob sein Glas und prostete Angelica zu: „Auf gelegentliche Untreue!“

      „Jacob!“ Seine Mutter fuhr ihn scharf an. „Ich dulde solche Unverschämtheiten nicht in meinem Haus. Angelica ist da in etwas hineingeraten und ich versuche ihr zu helfen.“

      „Helfen? Ihr?“

      „Du weißt, dass ich einflussreiche Leute kenne. Leute, die ihr in ihrer Lage womöglich beistehen können.“

      Er winkte genervt ab: „Ja, ja, ich weiß! Deine wichtigen Leute! Du schläfst sogar mit ihnen.“

      Sie tupfte sich pikiert den Mund ab. „Das war sehr ungezogen von dir, Jacob.“ Darauf folgte ein langes, bedrückendes Schweigen am Tisch. Severin sah sich um, spürte die Wärme der Kerzen, die sich mit dem Duft des Essens zu einer zähen Masse verband. Im hinteren Teil des Raumes gab es eine offene, moderne Küche. Gegenüber befand sich eine teure Wohnzimmergarnitur im selben Farbton wie die Tapeten. Rot. Er versuchte, Angelica zu ignorieren, sie auszublenden, aber ihr Antlitz schimmerte durch die fremdländischen Frauengesichter auf den Haremsbildern.

      „Sie sind also Freunde von Jacob?“, brachte seine Mutter das Gespräch nach einer kleinen Ewigkeit wieder in Gang.

      „Ihr Sohn war so freundlich, uns für den Abend einzuladen, Madame.“ Der Mann mit dem Turban sprach mit weicher Stimme, in der ein fremdländischer, vielleicht osteuropäischer Akzent mitschwang. Jacob horchte auf. Irgendetwas an diesem Tonfall kam ihm bekannt vor, gleichzeitig verspürte er eine deutliche Irritation. Verwirrt schaute er den Redner an, als dieser fortfuhr: „Wir brauchten ein wenig Abwechslung zwischen den Vorstellungen, mein Assistent und ich. Ihr Sohn meinte, Sie wären eine göttliche Gastgeberin, Madame.“

      Die ältere Frau winkte mit einer zierlichen Geste ab: „Sie sind ein netter Charmeur, aber ein lausiger Lügner. Mein Sohn würde so etwas niemals sagen.“

      Der Bärtige lächelte entschuldigend. „Verzeihen Sie mir, Madame. Ich müsste es allerdings besser verstehen, die Wahrheiten zu verzaubern. Vermutlich benötige ich für derlei Dinge das Rampenlicht.“

      „Sie sind Künstler? Schauspieler vielleicht? Ich kenne einige Ihrer Kollegen.“ Sie zwinkerte ihm zu.

      „Kein Schauspieler, Madame. Eher Schausteller. Varietezauberer, wenn Sie so wollen.“ Seine Finger glitten über den üppigen Bart.

      „Ein Zauberkünstler, wie aufregend! Ich bin überrascht, dass du zur Abwechslung einmal ungewöhnliche Leute mitbringst, mein Junge.“ Sie tätschelte Jacobs Arm.

      „Nenn mich nicht Junge. Du weißt, dass ich das nicht mag. Und … ich … habe die beiden nicht … eingeladen.“ Die Worte kamen nur zögerlich über seine ausgetrockneten Lippen. Jacob versuchte sich an etwas in dieser Richtung zu erinnern, fragte sich, wer die Fremden waren. Der Bärtige kam ihm vage vertraut vor, wie jemand, an den er sich erinnern müsste. Aber da war nur dumpfer, undurchdringlicher Trübsinn. Keine deutlichen Bilder, keine Namen, nichts.

      Seine Mutter beugte sich verschwörerisch vor, ihre halbgeflüsterten Sätze an den Fremden gerichtet. Das zu enge Kleid ließ dabei einen mehr als deutlichen Einblick auf ihre Brüste zu. „Jacob ist angespannt, wissen Sie. Er und Angelica haben sich vor nicht allzu langer Zeit getrennt. Sie waren sogar verlobt und wollten heiraten. Es gab sehr viel Streit und böse Worte. Aber, Jacob, ich kann dir versprechen, dass Angelicas Besuch hier gar nichts mit dir zu tun hat.“

      Severin schwieg verbissen und sah seine Mutter missmutig an. Die billigen Strasssteine funkelten bei jeder ihrer Bewegungen.

      „Dann tut es mir leid, dass wir zu einem so ungünstigen Zeitpunkt erschienen sind. Vielleicht kann ich etwas tun, die Situation zu entspannen?“ Der Bärtige hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. An seiner Rechten blitzte ein Diamantring.

      „Entspannen?“ Die Stimme seiner Mutter wechselte in einen weicheren Tonfall. „Was meinen Sie?“ Ihre Lider klimperten in einer schnellen Abfolge.

      Der Mann beugte leicht den Kopf. „Ein paar kleine … Tricks vielleicht, wenn es Sie nicht stört, Madame?“ Seine Finger strichen sorgsam die gefaltete Serviette glatt, die er neben seinen Teller gelegt hatte.

      Die ältere Frau klatschte in die Hände. „Wenn es Ihnen keine Umstände macht. Ich wäre entzückt, wenn Sie uns etwas zeigen würden.“

      „Doch keine Umstände für Sie, Madame. Es wäre mir ein Vergnügen.“ Er erhob sich langsam.

      „Dann lassen Sie sich nicht aufhalten. Benötigen Sie dazu mehr Platz? Jacob könnte die Stühle beiseite räumen.“

      Seine kräftigen Hände winkten ab: „Nicht nötig. Ich werde heute Abend keine Jungfrau zersägen.“ Er trat hinter das Kopfende der Tafel, blieb für alle deutlich sichtbar stehen.

      „Wie überaus Schade! Aber Sie hätten auch Mühe, so eine hier zu finden.“ Sie lachte leise und warf dem Bärtigen einen koketten Blick zu.

      Seine klaren Augen sahen ins Publikum, fixierten die Gastgeberin, Angelica und schließlich Jacob, dem beim Blickkontakt der Schweiß auf die Stirn trat. Es war, als strahlten die Augen von innen heraus, als wären sie erfüllt von einem magischen Leuchten. Die blasse Haut, der dichte Bart und der schimmernde Turban glitten in den Hintergrund. Severin hatte Mühe, sich davon abzuwenden, in seinem Schädel begann es zu pochen. Ein stetiges Hämmern, wie etwas, das sich unerbittlich aus den tiefsten Abgründen heraufarbeitete. Sein Atem ging stoßweise, seine Finger klammerten sich an den Tisch, krallten sich in das Tuch.

      „Nur ein paar kleine Zaubereien, eine kleine Vorstellung.“ Der Bärtige verbeugte sich, ließ seine Hände wie einen aufgescheuchten Vogelschwarm durch die Luft gleiten. Schnelle, fließende Bewegungen, die vergängliche Symbole darin niederzuschreiben schienen. An seiner Hand glitzerte der Edelstein an einem goldenen Ring. Sich brechende Lichtreflexionen der Kerzen, ein Tanz wie unruhige Irrlichter. Das Schimmern huschte umher, war hektisch und schnell wie ein Kolibri, zog Münzen aus dem Nichts, Spielkarten, eine Rose. Jacob folgte den Bewegungen, ließ sie nicht aus den Augen. Diamantenrausch, Glanzfieber. Er versuchte die Schrift darin zu lesen, die Zeichen zu erkennen. Es war wichtig. Er spürte, dass es ungeheuer wichtig war. Aber in seinem Schädel schlug nur der Hammer, beschleunigte seinen Takt, brach sich im hellen Aufblitzen einen Weg heraus. Severins Lider fühlten sich bleiern an, aber er war unfähig, sie zu verschließen, sie aufeinander zu pressen, um das stechende Licht auszuschließen. Sein Blick verlor die Fixierung, zuckte ziellos umher. Die Welt drehte sich leicht, schwankte von einer zur anderen Seite. Schweiß und Hitze, die warme Luft brannte in seinen Lungen. Und sie roch. Da war ein zäher Duft, schwer und klebrig, der einen Augenblick zuvor nicht da gewesen war. Er kroch in Severins Mund, in seine Nase, drängte sich in seinen heftig pochenden Schädel hinauf. Nistete sich in seinem Magen ein, spielte mit der Übelkeit. Er sah undeutlich die Rose vor sich, eine verschwommene Dornenblume aus tiefem Rot und Grün. Ihre Blüte war bereits vom Niedergang gezeichnet. Die klaren Augen, die in den Grund seiner Seele starrten, die das Pochen und Hämmern sahen. Der Lärm schmerzte in seine Ohren. Die Finger mit dem grell funkelnden Edelstein daran, der die Luft ritzte, in Severins Gedanken schnitt. Ein Kaleidoskop von Farben, die sich mit dem Duft der Rose mischten. Der Blick ätzte sich in Severin hinein, unaufhaltsam durch das Chaos hindurch. Das rasende Pochen schlug nun in einen schnellen Rhythmus um, einte sich mit dem Takt seines Pulsschlages. Jacob versuchte dem Funkeln des Ringes zu entkommen, aber seine Augen gehorchten ihm nicht mehr. Der schillernde Samtturban, der struppige Bart, die klaren, wissenden Augen. Sommersprossen. Seine Zunge fühlte sich unförmig

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