Severin. Myron Bünnagel

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Severin - Myron Bünnagel

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fragilen Gedanken. Das bannende Funkeln und Glitzern des Edelsteins, das immer wieder den Schein der unzähligen Kerzen einfing und noch überstrahlte. Sanft geschwungene Lippen, leicht geöffnet. Wieder dieser Blick, nah und überdimensional groß, die Pupillen verschwammen zu einem nachtschwarzen Zentrum. Braunes, weiches Lockenhaar. Der zähe Duft, die letzten Räume ausfüllend, alles mit seiner Klebrigkeit bedeckend. In seinem Kopf ein einziger Sog aus Bildern und Licht, in seinen Ohren das Crescendo seines Herzschlages. Und Augen, rehbraun und sanft. Ihre Weichheit angefüllt mit Verlangen. Die einzelnen Fragmente setzten sich zusammen. Kinn, Mund und Augen glitten an ihren Platz, Lippen, schimmernde Zähne und eine feuchte Zungenspitze. Alles andere verschwamm hinter ihrem Gesicht, blieb nur mehr ein blasses Farbenspiel. Leichte Röte unter ihrer weichen Haut, die Sommersprossen wie Myriaden winziger Inseln darin, ihre Augen dunkle Meere. Unergründlich tief im Glanz des Verlangens.

      Jemand stieß ihn unsanft an. „Hey, wachen Sie auf, Severin. Der Staatsanwalt will ein bisschen plaudern.“ Ein rauer, behäbiger Tonfall. In die Pausen zwischen den Worten drang ein leises Quietschen. Ein gequälter, dissonanter Laut. Jacob wandte den Kopf etwas zur Seite. Dicke Finger malträtierten einen Expander. Die Hand gehörte zu einem kräftigen Arm in einem billigen grauen Jackett, dessen Nadelstreifen eine leichte Krümmung aufwiesen. Der Hemdkragen darunter stand offen. Aus seiner Nase schauten graue Härchen hervor.

      „Ich habe nichts zu sagen.“ Jacobs Antwort brauchte einen Moment, ehe sie sich aus seiner Kehle gelöst hatte und in schneidendem Ton aus ihm hervor kam.

      Der Mann roch nach billigem Aftershave. „Das sollten Sie aber. Die Dinge stehen nicht gerade gut für Sie.“ Zwischen den Sätzen das wiederkehrende Quietschen.

      „Ziemlich schlecht, Severin.“ Eine weitere Stimme drang auf ihn ein. Neben der geschlossenen Tür saß ein anderer Mann, die Beine übereinander geschlagen. Sein Anzug stand ihm besser als dem ersten, auch sein Gesicht war feiner ausgeprägt. Aber seine Augen strahlten dieselbe Härte und Unnachgiebigkeit aus. Um seine Mundwinkel lag ein brutaler Zug.

      Kramer und Feldberg. Severin erinnerte sich wieder an ihre Namen, an ihre Stimmen, die ihn mit endlosen Fragen bombardiert hatten. Fragen, Vorwürfen und Anklagen. Aber das alles war nur ein zäher Brei in seinem Kopf. Feldberg … war der an der Tür. Kramer der mit dem Expander. „Ich habe euch Bullen nichts zu sagen.“ In seinen Worten schwang Wut mit. Tiefe Wut über ihre Sturheit, ihre Engstirnigkeit, ihren Unwillen.

      Kramer grinste. „Haben wohl schlecht geschlafen in Ihrer Zelle.“ Er saß vorne übergebeugt, gaukelte Vertrautheit vor. „Sind ziemlich unbequem, diese Zellenbetten, was? Aber man gewöhnt sich daran.“

      „Sie müssen es ja wissen.“ Jacob lehnte sich in seinem Stuhl zurück, so weit es ging. Weg von Kramer und seinem stinkenden Aftershave. Fast wollte er den Bullen wegstoßen. Seine Hände … Severin ließ den Blick zu seinen Knien hinabwandern. Das harte Metall, blank poliert, voller unheilvoller Reflexionen, schnitt in seine Handgelenke. Er zerrte versuchsweise daran, aber der Stahl blieb unnachgiebig.

      „Warum so unfreundlich, Severin?“ Kramer schüttelte in gespielter Enttäuschung den Schädel. Seine Finger quälten das kleine Gerät in einer Abfolge schneller Bewegungen.

      „Nehmen Sie mir diese verfluchten Dinger ab!“ Er deutete mit dem Kinn auf die schweren Handschellen.

      „Tut uns wirklich leid, Severin, aber das können wir nicht tun.“ Feldbergs desinteressierte Stimme. Jacob sah zu ihm herüber. Der Beamte warf einen kleinen Schlüssel in die Luft und fing ihn wieder auf.

      „Machen Sie mich los!“

      Der Mann schüttelte den Kopf, ließ den Schlüssel in der Seitentasche seines dunkelblauen Jacketts verschwinden und tätschelte sie überschwänglich. „Ihre Hände bleiben, wie sie sind. Immerhin sind es die Hände eines Mörders.“ In Feldbergs beiläufigem Ton schnitt der Satz wie ein Skalpell in Severins Gedanken. Das Wort fuhr glatt durch alles hindurch, trennte Wut und Verwirrung entzwei.

      „Ich bin kein Mörder!“ Seine eigene Stimme klang in der Stille des Raumes wie ein Paukenschlag. Die beiden Beamten blickten auf, zeigten gleichzeitig ein Lächeln, das unbarmherzig und kalt war, als übten sie für einen Wettbewerb in Synchronmimik. „Ich bin kein Mörder!“ Die Worte hallten durch seinen Kopf, schlugen gegen unscharfe Bilder, gegen all die Entgegnungen. Trafen Angst und Wut und Schmerz.

      „Ich …“ Angelica. „… bin …“ Tiefe Furcht kroch aus ihm hervor. „… kein …“ Es war nicht wahr. „… Mörder.“ Konnte nicht sein. Blut rauschte in seinen Ohren, Tränen überzogen den Raum mit einem verschwommenen Schimmer.

      Kramer sprang auf, sein Stuhl schwankte einen Augenblick, drohte zu kippen, tat es aber doch nicht. Der Expander in seiner Hand zuckte heftig. „Reden Sie keinen verdammten Mist, Severin.“ Sein Gesicht schob sich bedrohlich näher, die Nasenflügel bebten unkontrolliert. „Sie sind ein Mörder.“ Speicheltropfen wirbelten durch die Luft, besprühten Jacobs Gesicht. Kramers Atem strich über ihn hinweg. Er stank nach Zwiebeln und Magenbeschwerden.

      „Nein!“

      Die Faust schoss hoch, Severin zuckte in der Erwartung eines Schlages zurück. Aber er blieb aus. „Am liebsten würde ich ein Geständnis aus Ihnen herausprügeln, Sie eingebildetes Arschloch.“ Das Metall des Expanders bohrte sich in seine Wange. „Jedes einzelne Wort. Die ganze Scheiße aus Ihnen raus.“

      Jacob hob den Blick, stellte sich Kramers brennenden Augen. Sie quollen förmlich aus den Höhlen hervor, das milchige Weiß von roten Äderchen durchzogen. „Ich war es nicht!“

      Der Druck der Faust verstärkte sich. „Sie haben sie erwürgt, Severin. Erst haben Sie das Mädchen gevögelt und sie dann stranguliert. Mit einem Seidenstrumpf.“ Seine freie Hand fuhr sich in einer theatralischen Geste an den Hals.

      „Nein!“ Jacob spürte Panik in sich aufsteigen. Bilder drangen aus dem Schatten nach vorne, legten sich wie ein schmieriger Film über seine Sicht. Ihr Gesicht, Angelicas Gesicht: Sommersprossen, Rehaugen, weiche Lippen. Und das Rauschen in seinen Ohren. Ein blutiges, unruhiges Meer im Klang seines Pulses. „Nein!“

      Plötzlich ließ Kramer von ihm ab, seine Hand sackte herab, der Expander beruhigte sich wieder, verfiel erneut in seinen monotonen Rhythmus. Im Gesicht des Beamten zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln ab. „Aber wissen Sie was? Ich muss es gar nicht aus Ihnen herausprügeln. Sie müssen es nicht einmal gestehen.“ Er schob seinen Stuhl zurecht und ließ sich schwer darauf fallen.

      „Ich werde nichts gestehen. Ich war es einfach nicht.“

      Kramer zuckte gleichgültig die Schultern. „Erzählen Sie nur wieder Ihren Quatsch, Severin. Unsere Beweise sind eindeutig. Aber der Herr Staatsanwalt hört sich Ihr Hirngespinst gerne an. Dafür sind wir ja überhaupt hier.“

      Jacob wandte seine Aufmerksamkeit von dem Polizisten ab und sah zum Mann hinter dem Schreibtisch hinüber. Er war hager und jung, mit wachsamen Augen und einem Mund, dessen Winkel nach unten deuteten, auch wenn er redete. Sein Anzug war teuer, ihm aber etwas zu weit. Das Haar trug er streng nach hinten gekämmt. Die feingliedrigen Finger gegeneinander gedrückt, die Lider halb geschlossen, beobachtete er Jacob. „Nun, erzählen Sie mir Ihre Geschichte.“ Die Linke deutete eine einladende Geste an. Seine Stimme war sanft und leise genug, dass man sich anstrengen musste, ihm zuzuhören.

      „Warum? Sie glauben mir doch ohnehin nicht.“ Jacob schob sein Kinn vor und starrte den Staatsanwalt an.

      „Trotzdem haben Sie die Möglichkeit, mir Ihre Version zu erzählen. Das wollten Sie doch, oder nicht?“

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