Kreaturen der Nacht. Thomas Riedel

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Kreaturen der Nacht - Thomas Riedel

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»und nichts gefunden haben, außer der völlig zerschmetterten Leiche Dunmores. Da war nichts, einfach gar nichts, das uns auch nur den geringsten Anhaltspunkt über das rätselhafte Verschwinden dieses verrückten Helmsdale hätte geben können.«

      »Wenn der Professor in seiner Villa gewesen wäre, hätten wir zumindest Überreste von ihm finden müssen«, bestätigte McGinnis. »Und was ist mit diesem jungen Mädchen?«

      »Aus dem Gespräch mit der Mutter weiß ich, dass ihre Tochter von einem Besuch bei einer Freundin gegen zehn Uhr abends zurück war und direkt nach oben in ihr Zimmer gegangen ist.« Blake nippte an seinem Kaffee, den ihm McGinnis eingeschenkt hatte. »Laut ihrer Mutter war sie erst seit ein paar Tagen von einer schweren Grippe genesen und daher noch etwas anfällig. Sie sagte, sie sei gegen elf Uhr noch einmal im Zimmer ihrer Tochter gewesen, und da habe diese bereits tief und fest geschlafen. Kurz nach Mitternacht hat es dann fürchterlich geknallt und die halbe Villa ging dabei zu Bruch.«

      Blake nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Dann klopfte er eine Zigarette aus dem vor sich auf dem Tisch liegenden Päckchen und zündete sie an.

      »Es gibt noch einen weiteren Beweis dafür, dass diese Alice zur fraglichen Zeit in ihrem Zimmer war. Auf dem mit Glassplittern bedeckten Fußboden wurden Blutspuren entdeckt, die unzweifelhaft von ihr stammen«, ergänzte McGinnis zwischen zwei Bissen in sein Schinken-Sandwich. »Die Jungs von der ›Fatal Accident Inquiry‹ haben im Labor einen Test gemacht und dabei festgestellt, dass dieses Blut dieselbe seltene Blutgruppe hat wie die der Mutter. AB Rhesus negativ. Kommt nur bei einem Prozent der Bevölkerung vor.«

      Chief Inspector Blake nickte und nahm einen Zug von seiner Zigarette. »Aber wo ist sie geblieben?« Er zuckte ahnungslos die Schultern. »Wir wissen, dass sie nicht zu Tür hinaus konnte. Die hatte sich verkeilt. Logischerweise bleibt also nur noch das Fenster. Doch draußen war nicht die geringste Blutspur zu entdecken ...«

      »Und was ist mit der Wunde am Hals des alten Dunmore?«, unterbrach ihn Sergeant McGinnis. »Doktor Witherspoon fand die Wunde recht seltsam. Seinem Bericht zufolge ähnelt es Kanüleneinstichen.« Er stopfte sich einen weiteren Bissen in den Mund und spülte direkt mit einem Schluck Kaffee nach. »Erinnert mich verdammt an den Fall Tongue! Diesen Möchtegern-Vampir von ›Varrich Castle‹!« Er warf Blake einen seltsamen Blick zu. »Russel Mackay wird doch nicht von den Toten wiederauferstanden sein?«

      Blake lächelte, wippte aber im nächsten Augenblick ratlos mit dem Kopf. »Nachdem was wir beide bereits erlebt haben, kann man das nicht ausschließen, aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich«, meinte er. »Im Augenblick kann ich mir jedenfalls keinen Vers daraus machen.« Unzufrieden klopfte er mit zwei Fingern auf die Tischplatte. »Die Spuren auf der steinernen Balustrade des Balkons, vor dem Schlafzimmer des Mädchens, sind ebenfalls sehr mysteriös. Als ich die Fotos der Spurensicherung gesehen habe, war mein erster Gedanke, dass es sich um die Abdrücke eines riesigen Raubvogels handelt, der seine Fänge in den Stein geschlagen hat.«

      »Ist das nicht ein wenig weit hergeholt?«, lächelte McGinnis.

      Blake schüttelte entschieden den Kopf. »Ganz und gar nicht«, stellte er fest. »Ähnliche Spuren habe ich vor Jahren während eines Urlaubs in Lanslebourg-Mont-Cenis in den französischen Alpen gesehen.«

      McGinnis sah ihn neugierig an.

      »Damals hatte ein mächtiger Steinadler seine Fänge so in eine Felsspalte verklemmt, dass er aus eigener Kraft nicht mehr herauskam. Das Tier war schon völlig erschöpft, als wir es zufällig bei unserer Kletterei fanden und aus der tödlichen Umklammerung befreien konnten. Ich erinnere mich noch gut daran, dort vergleichbare, wenn auch wesentlich kleinere Kratzspuren gefunden zu haben. Verursacht wurden sie durch die verzweifelten Befreiungsversuche des Tieres.« Er nahm sich einen Schluck Kaffee. »Aber damit kommen wir auch nicht weiter.« Blake gab sich einen Ruck. Der nachdenkliche Ausdruck in seinem Gesicht verschwand, und in seinen Augen funkelte es energisch. »Es ist einfach nicht anders denkbar! Alice Drummond hat nach ihrem schrecklichen Erwachen einen solchen Schock erlitten, dass sie ihr Gedächtnis verloren hat und sich irgendwo versteckt hält, oder es liegt ein Verbrechen vor, dass mit der Explosion in unmittelbarem Zusammenhang steht.« Er drückte den Rest seiner Zigarette in den vor ihm stehenden Aschenbecher.

      »In dem Fall neige ich allerdings mehr zur letzteren Annahme«, sagte McGinnis.

      »Ich auch, Cyril, ich auch!«, nickte Blake. »Auf jeden Fall habe ich sämtliche Dienststellen im gesamten Distrikt alarmiert. Sie haben alle eine genaue Beschreibung des Mädchens.« Sein markantes Gesicht wurde hart. »Im Augenblick stochern wir zwar noch im Nebel herum ... aber auch der löst sich irgendwann einmal auf.«

      Sergeant McGinnis, der sein Frühstück bereits vertilgt hatte, warf einen fragenden Blick auf die noch vor Blake liegenden Sandwiches.

      Ohne ein Wort zu sagen, schob sie ihm der Chief Inspector zu.

      »Danke«, grinste McGinnis und griff direkt zu. »Wenn die Explosion im Haus des Professors nicht das zufällige Ergebnis eines wahnwitzigen Versuchs gewesen ist, sondern das Produkt eines Verbrechens, und wenn weiterhin das eigentümliche Verschwinden von Alice Drummond damit zusammenhängen sollte, dann wird es Zeit, dass wir herausfinden, wie das alles miteinander zusammenhängt.« McGinnis schien gesagt zu haben, was abschließend gesagt werden musste, denn jetzt wandte er sich hungrig dem nächsten Sandwich zu und schwieg.

      Chief Inspector Blake hatte noch einen Schluck Kaffee zu sich genommen und war dann unvermittelt aufgestanden. »Sie halten hier die Stellung, bis ich wieder zurück bin, Cyril! Ich werde mir draußen ein wenig die Füße vertreten. Vielleicht bekomme ich bei einem Spaziergang einen klaren Kopf. Möglicherweise schaue ich auch noch auf einen Sprung bei Doktor Witherspoon vorbei. Ich habe da noch so einige Fragen.« Er lächelte seinem Kollegen zu, schlüpfte in seinen Mantel, griff nach seinem Hut und ging.

      McGinnis blickte ihm schmunzelnd nach. Dann betrachtete er das Sandwich in seiner Hand an. »Na, Kleines? Du willst doch, dass ich dich beiße ... Komm sag es mir ... oh, jaaaaaa.« Herzhaft biss er hinein. Mit dem Sandwich in der Hand stand er auf und öffnete ein wenig das Fenster. Die frische Morgenluft tat gut. Nachdenklich sah er Blake unten vor dem Polizeikomplex auf dem Gehweg nach, bis der Chief Inspector um eine Ecke verschwand. Der Fall schien wirklich sehr verzwickt zu sein. Mit Verwunderung bemerkte McGinnis, dass ihn ein leichter Schauder erfasste, als er an die düsteren Ereignisse der letzten Tage dachte.

      Kapitel 4

      W

      ährend sich Sergeant McGinnis im Büro über die letzten Sandwiches hermachte und seinen tiefsinnigen Betrachtungen nachhing, stand Chief Inspector Blake gedankenversunken am ›River Ness‹, von dem sich der Name der Stadt ableitete. Interessiert beobachtete er dabei die eifrigen Versuche eines rothaarigen Dreikäsehochs, der mit stolzer Besitzermiene sein ferngesteuertes Modellschiff in unmittelbarer Nähe des Flussufers herum manövrierte. Helle Freude glänzte in dem sommersprossigen Gesicht des höchstens Fünf- bis Sechsjährigen, als das kleine Schiffchen nach einem gelungenen Wendemanöver wieder auf ihn zukam.

      Blake war gerade im Begriff, dem Jungen bei der Bergung des Nachbaus eines Feuerlöschbootes zu helfen, als er hinter sich eine tiefe, sonore Stimme vernahm, die ihn ansprach.

      »Detective Chief Inspector Blake?!«

      Blake richtete sich auf und fuhr herum. Vor ihm stand ein großer, schlanker Mann mit einem

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