Sannall der Erneuerer. Manfred Rehor

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Sannall der Erneuerer - Manfred Rehor

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      Jeremiah Kendall, Novize

      „Die Eroberung der Welt durch Magie ist eine Aufgabe, zu der wir alle unseren Beitrag leisten müssen. Und damit meine ich auch dich, Jeremiah Kendall!“, grollte Sungear, der Vorleser, von seinem Stehpult herüber.

      Jeremiah zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte. Er zwinkerte seinem Freund Wynfried zu, mit dem er eben noch getuschelt hatte. Dann wandte er sich mit einer Miene übertriebener Aufmerksamkeit und Ehrfurcht an den Vorleser. „Ich bin begierig, Eure Weisheit zu hören“, sagte er die rituellen Worte, die jedoch so gar nicht in den Frühstückssaal passten. Die anderen Novizen an dem langen Tisch kicherten.

      Sungear, ein völlig überfetteter, glatzköpfiger Mönch, warf einen bösen Blick in die Runde und fuhr fort, mit monotonem Singsang aus alten Papyrusrollen zu rezitieren. Dabei trat ein abwesender Ausdruck in seine Augen, über denen keine Brauen wuchsen und die in seinem feisten Gesicht wie große, grüne Knöpfe wirkten. Ob er wirklich glaubte, dass die Jugendlichen im Saal zuhörten, wusste niemand zu sagen. Vielleicht berauschte er sich nur an der magischen Wucht der Worte, die er in den kehligen Lauten einer längst ausgestorbenen Sprache intonierte.

      Das Vorlesen von Papyrustexten während der Mahlzeiten gehörte zu den Ritualen, die der große Meister Gonther Virlan persönlich eingeführt hatte. Damals, bei der Gründung dieser unterirdischen Akademie.

      Nicht einmal Jeremiah wagte es, diese Tradition in Frage zu stellen. Obwohl eine zwanzig Jahre alte Tradition gar nicht so viel ist, dachte er, während er lustlos in seinem Frühstück stocherte, einer großen Schale Hirsebrei mit Datteln. Zumindest verglichen mit dem Alter der unterirdischen Räume, in denen sich die Akademie befand. Aber solche Gedanken behielt er besser für sich. Sein Ruf als Querkopf und Zweifler trug ihm schon genug Ärger ein.

      „Heute sind die Vorleser und Magier ziemlich nervös“, flüsterte Wynfried. „Sollen wir unseren Plan nicht besser verschieben?“

      Mit einer Handbewegung bedeutete Jeremiah ihm, still zu sein. Selbst diese kleine Geste entging Sungear nicht, wie ein kurzes, abfälliges Zucken seiner Mundwinkel erkennen ließ. Aber im Gegensatz zu anderen Tagen war es heute ein gutes Zeichen für Jeremiah, dass Sungear ihn besonders im Auge behielt. Es deutete darauf hin, dass Jeremiahs Vorhaben gelingen könnte. Sobald Sungear seine Lesung beendete, kam der entscheidende Moment: die Verteilung der Tagesaufgaben an die Novizen. Aber noch war es nicht so weit.

      Jeremiahs Blick schweifte an den Wänden entlang, die aus uralten Ziegeln gemauert waren. Zwanzig Meter unter der Erde befanden sie sich hier. Genauer gesagt, unter der Wüste am Rande des ägyptischen El-Faijum-Gebietes, einem der frühesten Siedlungsgebiete in der Geschichte der Menschheit. Vor fünftausend Jahren hatten Magier, deren Namen und Absichten längst vergessen waren, diese unterirdische Anlage erbaut. Durch die Wände der Räume liefen magische Felder, die an Stärke alles übertrafen, was man sonst auf der Welt kannte. Die in die Decken eingelassenen Glassteine lieferten echtes Tageslicht als wären es Fenster, und das mittels einer Magie, von der nicht einmal Jeremiahs Lehrer eine Vorstellung hatten. Ähnlich verhielt es sich mit der frischen Luft, die unablässig aus den porösen Ziegelwänden strömte.

      Die Erbauer nutzten die Anlage damals nur wenige Jahrzehnte lang. Dann verschwanden sie, ohne in den Geschichtsbüchern Spuren zu hinterlassen. Jeremiah dachte jedoch nicht weiter über diese rätselhaften Erbauer nach. Er interessierte sich in letzter Zeit eher für moderne Dinge. Dampfschiffe, zum Beispiel, oder Eisenbahnen. Leider war alles Moderne in der magischen Akademie unerwünscht. Aktuelle Zeitungen und Bücher über Technik gab es zwar, aber sie wurden weggeschlossen.

      Natürlich reizte das Jeremiah um so mehr, einen Blick hineinzuwerfen. Darüber hatte er sich am frühen Morgen auch mit seinen beiden Freunden Yblah und Wynfried unterhalten. Wynfried prahlte wieder einmal: „Ich habe es mit eigenen Augen gelesen: Die modernste Eisenbahn der Welt fährt jetzt hier in der Nähe vorbei!“

      „Wo steht das“?

      „In der Cairo Times, die Walera regelmäßig bekommt. Ich konnte einen Blick reinwerfen, als ich in seinem Büro war.“

      „Einmal möchte ich so eine Maschine sehen“, sagte Yblah.

      „Ich auch“, gab Jeremiah zu. „Wie wär's? Kommende Nacht?“

      „Bist du verrückt? Wir wissen nicht einmal, wo genau die Bahnstrecke verläuft. Und wenn wir erwischt werden, kommen wir dieses Mal nicht mehr so glimpflich davon.“

      „Ich will schon lange einen neuen Zauber an Sungear ausprobieren“, sagte Jeremiah. „Das ist die passende Gelegenheit. Ich beeinflusse ihn so, dass er mich gegen seinen Willen zum Bibliotheksdienst einteilt. Dort finde ich schon eine Möglichkeit, in die Kammer mit den modernen Schriften zu kommen und mir die Zeitung anzusehen.“

      „Schon wieder so eine Idee von dir, die uns jede Menge Strafarbeiten einbringen wird.“

      „Na, und? Macht ihr mit?“

      Klar machten sie mit. Und so hatte Jeremiah noch vor dem Frühstück das magische Ritual ausgeführt. Nichts wirklich Kompliziertes, es dauerte nur ein paar Minuten. Aber Sungear, dem fetten Vorleser, würde den ganzen Tag über der Name Jeremiah Kendall im Kopf herumschwirren, zusammen mit diffusen Bildern von alten Folianten, Papyrusrollen und Keilschrifttafeln.

      Es war gefährlich, magische Sprüche auf Vorleser loszulassen, denn Magie war deren Beruf und Berufung. Jeremiah allerdings glaubte sich das erlauben zu können, denn seine magischen Fähigkeiten übertrafen schon jetzt die der meisten Lehrkräfte.

      Er merkte auf, denn Sungears monotoner Singsang ging nun über in einen befehlenden Tonfall. Sungear legte die Papyrusrollen beiseite und begann mit der Verteilung der alltäglichen Pflichten der Novizen. Exerzitien, Küchendienst, Bibliotheksdienst – jeder bekam seine Aufgabe für diesen Tag zugewiesen, ganz nach Sungears Belieben.

      Es gab keinen festen Plan dafür; die Vorleser entschieden täglich neu. Dabei wurde natürlich darauf geachtet, dass die nicht so strebsamen Novizen die unbeliebteren Arbeiten zugeteilt bekamen. Das war die einzige Art von Bestrafung, die es in der Akademie gab. Deshalb war dieser Moment am Morgen immer besonders spannend. Jeremiah zwinkerte Wynfried und Yblah zu, als es so weit war.

      „Jeremiah Kendall, du hast heute ...“ Sungear zögerte und schien einen Moment unkonzentriert, bevor er fortfuhr: „... Bibliotheksdienst.“

      „Sehr gut“, rutschte es Wynfried heraus.

      Sungear runzelte die Stirn und verdonnerte Wynfried prompt zum Küchendienst. Auch der Dritte im Bunde der Tunichtgute in der Akademie kam heute nicht gut weg: Yblah wurde zum Putzen eingeteilt.

      Nachdem alle Novizen mit ihrer Tagesaufgabe bedacht waren, erhoben sie sich schweigend und verließen den Speisesaal. Jeremiah, Wynfried und Yblah gingen zufrieden nebeneinander her. Sie sahen nicht, dass Sungear hinter ihrem Rücken grinste, während er ihnen nachsah.

      Die Jungs hätten unterschiedlicher nicht sein können. Jeremiah war eindeutig ein Europäer, groß gewachsen, schlank, mit dunklen, lockigen Haaren. Yblah dagegen war Schwarzafrikaner, etwas kleiner als Jeremiah und außerordentlich kräftig. Wynfried schließlich mit seinem rotblonden Haar, den Sommersprossen und der pummeligen Figur stammte aus Amerika.

      Die Bibliothek, ein Gewirr von niedrigen Räumen und Gängen, befand sich in einem besonderen Flügel der unterirdischen Akademie. Viele der hier gelagerten alten Papyrusrollen und Tontafeln hatten aus demselben Grund

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