Sannall der Erneuerer. Manfred Rehor

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Sannall der Erneuerer - Manfred Rehor

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sich ein zwischen ihm und dem starken magischen Potential dieses Ortes. Sein Geist wurde ruhig und leer.

      In diesem Zustand der Versenkung spielten Minuten oder Stunden keine Rolle. Sie vergingen unbemerkt. Und manchmal konnte man auch nicht sicher sagen, ob man nicht doch dabei eingeschlafen war, wie es jedem Novizen ab und zu widerfuhr. Jeremiah schreckte hoch, als jemand an seine Tür klopfte. Einer der Vorleser stand draußen und bat ihn, mitzukommen.

      „Doch nicht etwa wegen einer dieser Sonderaufgaben?“

      „Warte ab. Du wirst überrascht sein“, antwortete der Vorleser, ein dürrer großer Mann aus Nordeuropa.

      „Toll!“

      „Ich habe nicht gesagt, dass es eine positive Überraschung sein wird.“

      Mehr war aus dem Vorleser nicht herauszubekommen. Schweigend gingen sie nebeneinander her zu den Privaträumen des Leiters der magischen Akademie.

      Sembla Walera hatte seinen privaten Bereich – völlig entgegen dem üblichen, spartanischen Stil seiner Untergebenen – sehr üppig ausgestattet. Die Wände waren mit Tierfellen und bunten Geweben behängt, in den Ecken standen kultische Gegenstände aus seiner Heimat im westlichen Afrika. Im Vorzimmer, in dem Jeremiah zunächst wartete, waren sogar einige der Lichtziegel abgedeckt, so dass ein ungewohntes Halbdunkel herrschte.

      „Tritt ein“, forderte ihn eine leise Stimme auf.

      Jeremiah ging zögernd durch den niedrigen Türbogen, der in die nächste Kammer führte.

      Walera saß im Schneidersitz auf dem Boden. Er trug ein einfaches Leinengewand ohne jede Verzierung. Gerade deshalb wirkte er zwischen der üppigen Dekoration fehl am Platz. Mit einer einladenden Handbewegung bat er Jeremiah, sich zu ihm zu setzen. Jeremiah ließ sich auf den Boden nieder und wartete, bis Walera das Wort an ihn richtete. Doch Walera musterte ihn zunächst nur aufmerksam. Momente wurden zu Minuten, die schweigend vergingen. Jeremiah hütete sich, Ungeduld zu zeigen.

      Schließlich begann Walera zu sprechen: „Ich habe lange über dich nachgedacht, Jeremiah Kendall. Du bist ein sehr unternehmungslustiger junger Mann. Aber das Befolgen von Vorschriften ist deine Sache nicht. Der Ausflug gestern war nicht deine erste Übertretung der Regeln. Wie ich höre, bringst du auch den Weisungen der Vorleser nicht immer die nötige Ehrfurcht entgegen.“

      „Ich bin ...“, begann Jeremiah eine Rechtfertigung, doch Walera unterbrach ihn.

      „Du wurdest als kleines Kind von Gonther Virlan aus einem Waisenhaus gerettet, wo er dein magisches Talent erspürte. Er war es, der dich zur Ausbildung hierher gebracht hat. Sonst hättest du deine ganze Kindheit und Jugend in einem Londoner Findlings-Hospital verbracht. Dort herrscht ein Elend, das unvorstellbar ist für dich, der du in der Geborgenheit unserer Akademie aufgewachsen bist.“

      Walera schwieg einem Moment, aber er schien keine Antwort zu erwarten. Statt dessen fuhr der Schulleiter fort: „Die Vorleser und ich haben schon mehrfach darüber beraten, ob du von der Akademie verwiesen werden solltest. Nicht nur wegen deiner Streiche, sondern weil du andere Novizen mit deiner Abenteuerlust ansteckst. Du weißt, dass wir eine solche Maßnahme bisher noch nie in der Geschichte der Akademie ergreifen mussten.“

      Jeremiah fuhr der Schreck in die Glieder. Er wäre beinahe aufgesprungen, was ein grober Verstoß gegen die Verhaltensregeln in der Akademie war. Gleichzeitig öffnete sich sein Mund, ohne dass er wusste, was er eigentlich sagen wollte. Eine Handbewegung Waleras bedeutete ihm, zu schweigen.

      „Nun hat das Schicksal uns diese Entscheidung aus der Hand genommen. Der Meister ist nicht wie erwartet eingetroffen. Wir wissen, dass draußen in der Welt etwas vorgefallen sein muss, das er mit uns besprechen wollte. Etwas so Schwerwiegendes, dass es die weitere Existenz der Akademie bedroht.“

      „Die Gedanken des Meisters sind unergründlich“, murmelte Jeremiah einen Spruch, der in der Akademie ein geflügeltes Wort war. Nicht, weil es in dieser Situation Sinn gemacht hätte, sondern weil er irgendetwas sagen musste, um seiner inneren Anspannung Herr zu werden.

      „Das ist wohl wahr“, bestätigte Walera mit einem bitteren Unterton in der Stimme, der Jeremiah überraschte. „Jedenfalls können wir auch zur Residenz des Meisters in Paris auf magischem Wege keinen Kontakt aufnehmen. Deshalb haben wir beschlossen, einen Boten nach Paris zu schicken.“

      Die Residenzen des Meisters, das wusste Jeremiah aus dem Unterricht, waren so etwas wie die weltlichen Zentren der Magie. Sie wurden jeweils von einem mächtigen Magier geleitet, der dem Meister direkt unterstand. Gonther Virlan reiste von Residenz zu Residenz, um nach dem Rechten zu sehen, seine Vertreter zu unterstützen und die Eroberung der Welt durch die Magie weiter voranzutreiben. Noch nie hatte einer dieser Magier die unterirdische Schule besucht, nicht einmal ihre Namen waren bekannt. Denn die Sache der Magie stand nicht gut, draußen in der Welt des Fortschritts und der Technik. Geheimhaltung nahm man deshalb sehr ernst.

      „Du wirst unser Bote sein“, fuhr Walera fort. „Du wirst die Akademie verlassen, unsere Botschaft nach Paris bringen und dich gemeinsam mit dem dortigen Vertreter des Meisters auf die Suche nach ihm machen. Deine Ausbildung zum Magier wird abgebrochen, denn wir bezweifeln, ob sie überhaupt zu dem gewünschten Ergebnis führen würde.“

      „Die Akademie verlassen?“, rief Jeremiah erschrocken. „Aber ich bin der Beste unter den älteren Novizen. Ich will Magier werden!“

      „Wir hatten große Hoffnungen in dich gesetzt. Aber du wirst mit jedem Lebensjahr eigensinniger und unbelehrbarer. Deshalb ist diese Aufgabe auch ein Angebot an dich: Finde den Meister, beweise deinen inneren Wert. Gelingt es dir, werden wir erneut beraten und dich vielleicht trotz deiner Fehler zum Magier berufen.“

      Nie wäre Jeremiah auf die Idee gekommen, dass seine Eskapaden solche Folgen haben könnten. Schon deshalb nicht, weil auch andere Novizen immer mal wieder Streiche spielten oder die Akademie heimlich verließen, um die Welt an der Oberfläche zu erkunden. Doch der Schreck, den ihm Walera eingejagt hatte, hinderte ihn nicht daran, frech nach den Hintergründen zu fragen: „Wird mir mit der Entlassung aus der Akademie gedroht, weil sich unter den Magiern und Vorlesern kein Freiwilliger gefunden hat, der sich auf die Suche nach dem Meister begeben möchte?“

      „Schweig!“, donnerte Walera. Er stand mit einer einzigen, fließenden Bewegung auf und sah mit finsterer Miene auf Jeremiah herab. „Meine Entscheidung ist getroffen. Ich frage nur einmal, und ich stelle die Frage jetzt: Bist du bereit, diese Aufgabe zu übernehmen?“

      Angst und Zorn kämpften in Jeremiah um die Oberhand, und heraus kam eine Antwort, die gar nicht so trotzig gemeint war, wie sie klang: „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.“

      „So ist es! Aber ich hätte mir gewünscht, dass du mit Freude diese Chance ergreifst. Wie dem auch sei, du wirst nicht alleine gehen. Deine beiden Freunde Yblah und Wynfried werden dich begleiten, denn sie waren auch an den meisten deiner Streiche beteiligt. Wir werden euch, so gut es geht, vorbereiten auf die Aufgabe, für die ihr ausersehen seid.“ Walera klatschte in die Hände, und einer der Vorleser betrat die Kammer. „Es ist wichtig, dass euer Auftrag den Gegnern der Magie in der Welt nicht bekannt wird. Ihr werdet euch daher unterwegs als Assistenten eines Antiquitätenhändlers ausgeben, die in Ägypten nach Altertümern gesucht haben und nun auf der Heimreise sind.“

      Jeremiah stand auf. Er hatte seine Gefühle wieder unter Kontrolle und fragte sachlich: „Wann werden wir reisen?“

      „In zehn Tagen“, sagte Walera. „So lange benötigen wir, um euch das notwendigste Wissen über die moderne Welt zu vermitteln.“

      Mit

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