Sannall der Erneuerer. Manfred Rehor

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Sannall der Erneuerer - Manfred Rehor

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folgenden Tage waren die härtesten in Jeremiahs bisherigem Leben. Nach dem Gespräch mit Walera brachte man ihn in einen abgelegenen Teil der Akademie zu den Einsiedlerzellen. Dorthin zogen sich die Vorleser zurück, wenn sie für einige Tage oder Wochen alleine sein wollten, um ihre magischen Fähigkeiten zu vervollkommnen.

      Hier traf Jeremiah auf Yblah und Wynfried. Er und seine Freunde wurden nun rund um die Uhr von mehreren Vorlesern auf das Verlassen der Akademie vorbereitet. Man vervollständigte ihr Wissen von der Welt draußen und verbesserte ihre geringen Französischkenntnisse durch Trancesitzungen. Sie mussten auch vieles über die Verhaltensweisen der Menschen in der modernen Gegenwart lernen. Lustige Dinge, wie zum Beispiel die Mode der Damen in Europa. Aber auch ernste, wie etwa, wann man wegen einer vielleicht gar nicht herabsetzend gemeinten Bemerkung zum Duell gefordert zu werden konnte.

      Dann kam der Tag ihrer Abreise. Man erlaubte ihnen nicht, private Gegenstände mitzunehmen, und sie durften sich auch nicht von ihren Freunden verabschieden. Alles, was mit ihrer geplanten Reise zu tun hatte, ging in größter Heimlichkeit vor sich.

      Erst an einem der versteckten Ausgänge aus der Akademie übergab man den Jungs ihr Gepäck. Man hatte an alles gedacht, auch an das nötige Geld für die Reise. Gonther Virlans Akademie verfügte über fast unbegrenzte finanzielle Mittel. Denn der Meister hatte bei seinen Studien nicht nur Hinweise auf Jahrtausende alte Bibliotheken und magische Stätten gefunden, sondern auch Schätze aus diesen längst vergangenen Zeiten. Gold war für die Vorleser und Novizen ein so alltägliches Material wie für einen Mitteleuropäer gewöhnliches Eisen. Banknoten allerdings kannten die Jungs bisher nur vom Hörensagen. Auch englische Pässe lagen bereit, denn für Franzosen konnten sie sich trotz des Intensivkurses nicht ausgeben.

      Ausgestattet mit Bargeld sowie Wechseln für die wichtigsten europäischen Banken und – erstmals in ihrem Leben – europäisch gekleidet, verabschiedete Walera sie persönlich.

      Oben, in der hellen Wüstennacht, wartete Sungear, der Vorleser, auf sie. Warum ausgerechnet er ausgewählt worden war, um sie zum Bahnhof in Medinet zu bringen, wussten die Jungs nicht. Um Sungear war immer etwas Geheimnisvolles gewesen, das ihn von den anderen Vorlesern unterschied. Vielleicht würden sie auf der Reise mehr von ihm erfahren.

      Sungear trug einen Kaftan, in dem er aussah wie ein riesiger Luftballon, der in einen Teppich gehüllt worden war. Und so schwerelos bewegte er sich zur Überraschung der Jungs auch. Leichtfüßig, als würde er über den Sand schweben, eilte er ihnen voraus zu einer nahe gelegenen Gruppe Palmen, unter der ein paar Esel warteten.

      „Reitet, Kinder, der Weg ist weit“, sagte er zuckersüß lächelnd. „Ich gehe zu Fuß.“

      Sein Tonfall erschreckte die Jungs mehr, als es jeder seiner früheren Zornesausbrüche getan hatte. Schweigend luden sie das Gepäck auf und setzten sich dann auf ihre Reittiere. Sungear griff sich den Zügel des vordersten Tieres und führte es den Weg entlang zur Stadt.

      Der Bahnhof in Medinet glich einem Basar. Schwefeliger Gestank von verfeuerter Kohle schlechter Qualität und der schwere Duft exotischer Gewürze erfüllten die Luft. Das Geschrei der Händler auf dem Vorplatz übertönte jeden Versuch einer Unterhaltung. Hier wurde alles angeboten, was Einheimische und Ausländer brauchen konnten: Früchte und Süßigkeiten, Tee und Wasser, Fladenbrote und Fleischspieße, Teppiche und Kunsthandwerk. Vor allem aber angeblich echte Altertümer als Mitbringsel für den gebildeten Europäer.

      Die Einheimischen deckten sich mit billigem Reiseproviant ein und bestiegen die für sie bestimmten einfachen Holzwaggons, wo sie eng zusammengedrängt auf die Abfahrt des Zuges warteten. Die Europäer mieden dagegen die Esswaren, interessierten sich jedoch um so mehr für die angebotenen Souvenirs.

      Sungear drängelte sich durch das dickste Gewühl zum Fahrkartenschalter, wo er mit der Miene eines Paschas vier Fahrkarten kaufte.

      „Warum vier?“, fragte Jeremiah, als sie eine ruhigere Ecke im den Europäern vorbehaltenen Teil des Bahnhofs erreichten.

      „Ich begleite euch nach Alexandria.“

      „Ob das Sembla Walera recht ist?“, wagte Yblah einzuwerfen.

      Sungear sah sich um und entdeckte einen Händler, der süße Feigen und Türkischen Honig feilbot. „Und wenn nicht, was wäre dann?“, fragte er. „Wartet hier auf mich.“ Er ging zu dem Händler und begann, um eine Riesenportion der Süßigkeiten zu feilschen.

      Die Jungs sahen sich auf dem Bahnhof um. So viele Menschen hatten sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Besonders die herausgeputzten Europäerinnen in ihren weiten, unbequem aussehenden Reisekleidern konnten sie gar nicht genug bestaunen.

      „Warum kommen die hier her?“, wandte sich Jeremiah an Yblah und Wynfried. „Das können doch nicht alles Archäologen und ihre Familien sein.“

      „Die fahren zur Kur“, sagte Sungear, der von seinem Einkauf zurückkam und einen großen Leinenbeutel voller in Wachspapier gewickelter Süßigkeiten mitbrachte. Er schob sich ein Stück Türkischen Honig in den Mund und schmatzte genussvoll, während er fast unverständlich fortfuhr: „In England gilt die Wüstenluft als gesund für Leute, denen die stickige Luft in London zusetzt. Als Heilklima für Asthmatiker, um genau zu sein.“

      „Waren Sie schon einmal in London?“, fragte Yblah erstaunt.

      „Habe lange dort gewohnt“, grunzte Sungear. „Will aber nie wieder zurück. Schon allein wegen der hysterischen Weiber.“

      Die Jungs grinsten sich an. Welche Frau würde wohl einen Fettwanst wie Sungear an sich heranlassen? Kein Wunder, dass er Frauen für hysterisch hielt. Andererseits, so viel Erfahrung im Umgang mit dem anderen Geschlecht hatten die Jungs auch nicht. In der Akademie gab es zwar auch weibliche Novizen, aber die Jungs betrachteten sie als ihre Schwestern, so wie sie sich untereinander als Brüder verstanden. Dies hier war die erste Gelegenheit für Jeremiah und seine Freunde, junge Europäerinnen zu sehen.

      Ein Mädchen ungefähr in seinem Alter fiel Jeremiah besonders auf. Sie war sehr elegant gekleidet, soweit er das überhaupt beurteilen konnte. Und sie verhielt sich wie eine Prinzessin, die sich herablässt, mit gewöhnlichen Sterblichen Umgang zu pflegen. Überraschend war, dass sie von einigen der Europäer tatsächlich sehr zuvorkommend behandelt wurde. Zu gerne hätte Jeremiah sie angesprochen, sie gefragt, wer sie ist und ob sie ebenfalls die Reise mit dem Zug antreten würde. Aber er wagte es nicht, diesen Schritt zu tun; schon um sich vor seinen beiden Freunden nicht lächerlich zu machen, denen das Mädchen ebenfalls aufgefallen war.

      Auf dem Bahnhofsgelände trieben auch einige europäisch gekleidete Ägypter Handel. Sie verkauften besonders teure Andenken. Sarkophage und Mumien zum Beispiel, von denen sie Fotografien bei sich hatten. Diese Souvenirs wurden den Reisenden nach Hause nachgeschickt, so dass sie sich nicht mit dem sperrigen Gepäck abgeben mussten.

      Auch Wahrsager und Verkäufer von Glücksbringern gab es. Die standen düster in den Ecken und erwarteten, dass gerade ihre schweigsame Unnahbarkeit Kunden anlockte. Zu einem dieser Männer, einem alten Araber von asketischem Aussehen, ging das Mädchen nun hin. Es ließ sich von ihm Ringe und Anhänger zeigen. Das interessierte auch Jeremiah, er schlenderte neugierig näher. Yblah und Wynfried waren beeindruckt von seinem Mut, während Sungear es gar nicht bemerkte, so sehr war er mit dem Versuch beschäftigt, seine klebrigen Hände zu säubern.

      Der Händler trug seine Ware in einem kleinen Bauchladen vor sich. Das Mädchen wählte einen hübschen Ring aus, der durch helles Glänzen und einen bunten, eingefassten Edelstein von den anderen abstach. Sie schien erfahren im Umgang mit Orientalen, denn als der Händler einen Preis nannte, lachte sie und bot weniger als die Hälfte des genannten

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