Sannall der Erneuerer. Manfred Rehor

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Sannall der Erneuerer - Manfred Rehor

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drehte sich das Mädchen zu ihm um und musterte ihn. „Was geht dich das an?“, fragte sie von oben herab.

      „Es ist eine billige Imitation. Ein einfacher Goldring mit einem farbigen Glassplitter.“

      „Und das erkennst du, ohne ihn auch nur in die Hand zu nehmen?“

      Jeremiah machte eine Handbewegung über den Bauchladen des Händlers, sein Gesichtsausdruck wurde für einen Moment abwesend, dann griff er zielsicher einen unansehnlichen kleinen Anhänger heraus.

      „Dritte Dynastie“, sagte er mit absoluter Gewissheit in der Stimme. „Und zwar keine Grabbeigabe sondern ein Schmuckstück, das wirklich getragen wurde. Seine magische Aura ist schwach, aber glückverheißend. Besonders für Menschen, die über keine eigenen magischen Fähigkeiten verfügen.“

      Das Mädchen sah ihn erstaunt an. Dann nahm sie Jeremiah den Anhänger aus der Hand und betrachtete ihn eingehend, bevor sie seinen Tonfall imitierte: „Dritte Dynastie. Ja, das hätte ich auch gedacht. Keine Grabbeigabe, aber eine schwache magische Aura.“ Dann lachte sie laut auf: „Du hast das wirklich gut drauf. Ich werde diesen Anhänger auch noch kaufen.“

      Sie verhandelte noch einmal mit dem Ägypter, bekam umsonst noch eine hübsche Goldkette dazu und ging dann langsam weiter, während sie den Anhänger genauer betrachtete: „Ich werde ihn Daddy nicht zeigen. Er ärgert sich über magischen Firlefanz.“

      „Fährst du auch mit dem Zug nach Alexandria?“

      „Das ist keine sehr schlaue Frage: Es gibt nur diese eine Zugverbindung.“

      „Dann müssen wir uns beeilen“, sagte Jeremiah und zeigte zum Zug, wo die Europäer inzwischen einstiegen. „Sonst fährt er ohne uns.“

      „Nein, das wird er ganz gewiss nicht. Aber du hast recht, es ist Zeit zum Einsteigen.“ Ohne sich zu verabschieden, ging das Mädchen davon.

      „Wie heißt du?“, rief Jeremiah ihr nach.

      Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. „Angelica. Wir sehen uns im Zug.“ Dann ging sie weiter und verschwand in einer Gruppe von Reisenden.

      Jeremiah kehrte zurück zu Yblah und Wynfried, die spöttische Bemerkungen machten.

      „Ihr seid ja nur neidisch, weil ich mit ihr gesprochen habe“, wehrte sich Jeremiah.

      Sie machten sich auf die Suche nach ihrem Waggon. Der Schaffner und ein Vertreter der Eisenbahngesellschaft begrüßten jeden Fahrgast persönlich, denn eine Erste-Klasse-Fahrkarte kostete für ägyptische Verhältnisse ein Vermögen. Wer sich das leistete, erwartete auch besondere Behandlung.

      Sungear zog die Billetts aus den Tiefen seines Kaftans und zeigte sie dem Kontrolleur, der erst in einer Liste nachsah, bevor er seine Mütze zog und sagte: „Mister Sungear und Begleitung. Willkommen. Sie haben Abteil vier. Wo ist Ihr Gepäck, wenn ich fragen darf?“

      Jeremiah drehte sich suchend um und zeigte dann auf einen einheimischen Gepäckträger, der am Rande der Menge neben mehreren Reisetaschen stand und wartete.

      „Sehr gut“, sagte der Schaffner. „Sie können das Abteil gleich beziehen. Wir werden in einer Stunde abfahren.“

      „Eine Stunde?“, grunzte Sungear. „Wir sollten eigentlich längst unterwegs sein. Wir müssen in Alexandria auf den Dampfer nach Nordfrankreich umsteigen und haben vorher noch etwas zu erledigen.“

      „Der Dampfer wird nicht vor der Ankunft des Zuges auslaufen“, versicherte der Kontrolleur.

      „Warum sind Sie da so sicher?“, wollte Jeremiah wissen.

      „Der Besitzer der Eisenbahnlinie, Mister Cyros, fährt heute mit uns. Und da er auch Besitzer der Schifffahrtsgesellschaft ist, wird der Dampfer warten, egal wie lange es dauert“, antwortete der Kontrolleur. „Außerdem hat auch Mister Cyros in Alexandria noch Geschäftstermine, wie er uns hat mitteilen lassen. Sie brauchen sich also keine Sorgen wegen Ihrer Schiffsverbindung zu machen, im Gegenteil. Sie werden vor Ihrer Weiterreise einen halben Tag Aufenthalt in Alexandria haben.“

      Bei der Erwähnung des Namens Cyros bekam Sungear ganz schmale Augen. Er sah sich um, als würde er gleich das schlimmste Unglück erwarten. „Folgt mir!“, sagte er dann zu den Jungs und schwang sich in den Waggon, als ginge es in eine Schlacht.

      Jeremiah erinnerte sich an das, was er in den Schulungen der letzten Tage über europäische Umgangsformen erlernt hatte. Er steckte dem Kontrolleur ein Trinkgeld zu. Der nahm es dankend an und verstand es als Aufforderung, ein wenig zu plaudern, während sie zusahen, wie der Gepäckträger die Reisetaschen in den Wagen brachte: „Tja, Mister Cyros wird heute wieder einmal mit seiner eigenen Zuglinie reisen. Er war in Kairo, um mit dem Khediven und dem englischen Generalkonsul den weiteren Ausbau des Eisenbahnnetzes zu besprechen. Anschließend ist er in diese abgelegene Gegend hier gekommen, um die Möglichkeiten für den Bau eines Kraftwerks zu erkunden. Er will hier Dampf und elektrische Energie erzeugen.“

      „Ein Kraftwerk am Rand der Wüste?“, wunderte sich Jeremiah.

      „Verrückt, nicht wahr? Aber hier in Ägypten spinnen alle in Bisschen, wenn Sie mich fragen“, fügte der Kontrolleur vertraulich hinzu. „Vor allem die Touristen. Könnten sich Reisen in die schönsten Weltgegenden erlauben, und wofür geben sie ihr Geld aus? Um unter allerlei Strapazen in die Wüste zu fahren und ein paar Steine zu besichtigen, die vor vielen tausend Jahren vielleicht Teil einer öffentlichen Bedürfnisanstalt waren.“ Er lachte, hörte aber abrupt auf, als er sah, dass er Jeremiahs Art von Humor nicht getroffen hatte.

      Jeremiah bedankte sich für die Informationen und stieg in den Waggon. Wynfried und Yblah folgten, wobei Yblah als Schwarzer einen misstrauischen Blick des Kontrolleurs abbekam. Als Diener war man Schwarze gewohnt, aber als gleichberechtigte Reisebegleiter eines Europäers noch nicht.

      Zugfahrt mit Raymond A. Cyros

      Das Abteil war gut ausgestattet und groß, es nahm den vierten Teil des Wagens ein. Sungear sicherte sich einen Platz am Fenster und hatte die Hand gleich wieder in dem Leinensack mit den Süßigkeiten. Der Gepäckträger wuchtete die Reisetaschen hoch und verabschiedete sich, nachdem er seinen Lohn erhalten hatte.

      Jeremiah setzte sich bequem in eine Ecke und öffnete ein Buch über die Leitung eines modernen Manufakturbetriebs, das er aus der Akademie mitbekommen hatte. Das Buch stammte aus dem verbotenen Teil der Bibliothek. Nun musste er es lesen – klar, dass da schon wesentlich weniger Spaß dabei war, weil der Reiz des Verbotenen fehlte. Aber die Jungs sollten auch über diese Aspekte der Neuzeit Bescheid wissen, wenn sie nach Europa kamen. In dem Buch stellte man die Fabriken des amerikanischen Milliardärs Raymond A. Cyros als vorbildlich dar, was die technische Ausstattung, aber auch die Arbeitsbedingungen der dort beschäftigten Menschen betraf.

      Auch Wynfried und Yblah lasen Bücher, die sie weiter in die moderne Welt des 19. Jahrhunderts einführten. Sungear schmatzte derweil genussvoll mit geschlossenen Augen und nahm von nichts mehr Notiz, nachdem der Zug angefahren war.

      Ein dicker, kleiner Mann in einem hellen Anzug störte die Ruhe im Abteil, indem er die Schiebetür öffnete. Er hatte ein rundes Gesicht und trug einen Backenbart, was ihm ein gemütliches Aussehen verlieh. Begleitet wurde er von einer ganzen Gruppe von Lakaien und einem muskulösen Schaffner. Der Mann warf einen interessierten Blick auf Sungear und die Jungs und deutete dann eine kleine Verbeugung an.

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