Eine Geschichte über rein gar nichts. Thomas Arndt

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Eine Geschichte über rein gar nichts - Thomas Arndt

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überhaupt, solcherart über derlei Probleme nachzudenken?

      *

      Folgendes war geschehen: im Grunde genommen war nichts geschehen! Obwohl dies der Wahrheit entspricht, befriedigt eine solche Erklärung in keiner Weise, schon gar nicht an dieser Stelle. Deshalb muss einiges klar gestellt und präzisiert werden. Also noch einmal: was war geschehen?

      Folgendes war geschehen: im Grunde genommen war nichts geschehen! Zumindest war nichts Außergewöhnliches geschehen, wodurch Roberts Situation erklärt werden könnte. Bezogen auf Prinzessinnen und Prinzen hätte man auf eine Laune schließen können, auf eine Grille, auf einen Stein in seinem Schuh oder auf die Mücke, die ihn ins linke Ohrläppchen gestochen hatte; mit viel Wohlwollen wäre seine Entgleisung nachvollziehbar, denn die banalsten Dinge rufen mitunter völlig unangemessene Reaktionen hervor. Im Dunkeln bliebe allerdings seine Vergangenheit, über die nur sehr wenig bekannt ist und die deshalb bereits des öfteren seine Freunde ins Grübeln gebracht hatte.

      Wenn aber nichts Ungewöhnliches geschehen war, wenn zumindest kein auslösendes und allein verantwortliches Ereignis oder eine bestimmte Befindlichkeit zu diagnostizieren war, die Roberts Verhalten eine befriedigende Erklärung gab, dann, so schlossen seine spekulationsfreudigen Freunde, musste davon ausgegangen werden, dass irgendwann irgendetwas passiert war, wonach wahrscheinlich wieder etwas geschah und danach auch und danach und so weiter und so fort, bis Robert schließlich sagte, die Prinzen seien dort, wo die Prinzessinnen sind.

      *

      Wie schön sie war! Und diese dunklen Augen! Und ihr Name erst: eine geradezu unirdische Melodie erzeugt durch die unwahrscheinlichste aller Buchstabenfolgen: Jasmin! Ein Name wie aus Tausend und einer Nacht, ein Zauberspruch, eine Beschwörungsformel; ein Name eben, der dazu einlud, verpflichtete und befahl, man möge ihn unentwegt der Welt kundtun – meinte jedenfalls der heranwachsende Robert, der übrigens die fünfzehnjährige Jasmin nicht für eine Prinzessin hielt, sondern die Meinung vertrat, sie sei eindeutig eine Elfe, und wenn nicht, so doch wenigstens eine Fee, was durch ihre Zauberkräfte nicht weiter bewiesen werden musste.

      Bis über beide Ohren war Robert in Jasmin verliebt. Doch zu seinem Unglück wollte sie nichts von ihm wissen. Warum? Das konnte sie nicht erklären. Aber brauchte sie eine Erklärung? Genügte es denn nicht, dass es keine Gründe gab, mit einem Jungen zu gehen, der so alt war wie sie und in die Parallelklasse ging? Es kam einfach nicht in Frage! Und in Jasmins Augen bedurfte das keiner weiteren Erklärung, so wie viele andere Dinge auch, die sie hinnahm, weil sie der Meinung war, sie hinnehmen zu müssen. Sie war schön! Reichte das nicht? Sagte das nicht alles über sie? Was denn noch? Ja was denn nur? Jasmin verstand nie so recht, warum man von ihr verlangte, sich mit so vielen mehr oder weniger wichtigen Dingen, Menschen, Angelegenheiten usw. zu beschäftigen. Und die Dinge, Menschen und Angelegenheiten verstanden ihrerseits nicht, warum Jasmin sich nicht mit ihnen beschäftigte.

      Manchmal, als Jasmin längst um ihre Schönheit wusste, erinnerte sie sich, wie ein wenige Jahre älterer Junge auf brutale Weise diese Schönheit aus den Tiefen ihrer märchenhaft mädchenhaften Einfalt befreite hatte. Sie gefiel ihm und er sagte es ihr. Er machte ihr Avancen, wollte, dass sie seine Freundin werde und ließ lange Zeit nicht von ihr ab. Verstört hörte sie zum ersten Mal von einem fremden Jungen, wie wahnsinnig schön sie doch sei; seine Worte klangen so anders, so fremd, so ungewohnt, so hatte man ihr das noch nie gesagt.

      Jasmin, damals noch ein Kind, hatte nichts verstanden. Verwirrt berichtete sie ihrer leicht entsetzten Mutter, was sie aus dem Munde des Jungen vernommen hatte. Doch nach nur wenigen Wochen einer im Nachhinein vollkommen unberechtigten Unruhe gab Jasmin ihrer Mutter die mütterliche Ruhe zurück. Der Junge hatte das Interesse an ihr verloren, berichtete sie, und sich eine andere Freundin gesucht. Voller Aufrichtigkeit erklärte sie, dass er nichts mehr von ihr wissen wolle, weil sie nicht ein einziges Mal mit ihm gesprochen, ja ihn nicht einmal angesehen habe. Die Mutter wunderte sich über Jasmins Verhalten, die langsam das Alter erreichte, im dem die Mädchen mit den Jungs . . . doch dass es nicht dieser werden würde, beruhigte sie ungemein, schließlich war er wie viele Jahre älter? . . . zu viele!

      So war es wirklich: Jasmin verstand nicht, warum sie von aller Welt als schön empfunden wurde. Das beschäftigte sie so sehr, dass sie viel Zeit in die Lösung dieses Rätsels investierte. Dem anderen Geschlecht versuchte sie so weit wie möglich aus dem Wege zu gehen, wurde jedoch nach dem ersten erfolglosen Eroberungsversuch heftig belagert, als wäre dieser der Beginn einer nicht enden wollenden Kettenreaktion gewesen. Im Zuge dessen teilte Robert das Schicksal so vieler seiner Geschlechtsgenossen und wurde nicht nur zurückgewiesen, sondern nicht einmal im Entferntesten in Erwägung gezogen. Denn mittlerweile hatte sie zwei Kriterien aufgestellt, die ihr potentieller Freund erfüllen musste: er müsse so sein, dass sie ihn lieben könne und dürfte nicht weniger als vier Jahre älter sein als sie. Warum? Nun, auch dafür brauchte sie keine weitere Erklärung.

      Robert hatte keine Chance: Jasmin wollte nicht einmal mit ihm reden. Schlimmer noch: ihr verlangte nicht danach, ihn zu sehen, ihn überhaupt zu kennen, geschweige denn mit ihm zu verkehren. Doch auch ihre unmissverständliche Ignoranz gegenüber den Annäherungsversuchen des heranwachsenden Jünglings, der in Liebesangelegenheiten noch keine Erfahrungen gesammelt hatte, der nicht anders konnte, als ihr Briefchen zu schreiben, sie und ihre Freundinnen zu nerven und stets lauernd und gesprächsbereit um sie herum schlich, zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Der ob seiner unsinnigen Versuche stets belächelte Grünschnabel verbiss sich in die Vorstellung, Jasmin eines Tages doch zu erobern. Er ließ nicht locker und entwickelte eine geradezu unglaubliche Ausdauer, seine Angebetete zu umwerben, die schnell ihre lächerlichen Züge verlor, ehemals gescheiterten Konkurrenten Bewunderung abtrotzte und sich speiste aus einer Mischung aus Verzweiflung, Hoffnung, Fanatismus, Idiotie, Blindheit, Verliebtheit und Verlangen. All diese Regungen huschten mitunter gleichzeitig über Roberts Gesicht und verzerrten es zu einer unansehnlichen Grimasse.

      Jasmin wurde der plumpen Aufdringlichkeit ihres Mitschülers schließlich überdrüssig, verlor die Contenance und sagte eines Tages, dass er sie ein für alle Mal in Ruhe lassen solle. Sofern er ihrem Wunsch nicht nachzukommen gedenke, werde sie dafür sorgen, dass er von älteren Freunden (oder Verehrern; sie drückte sich nicht deutlich aus) eine solche Tracht Prügel erhalten werde, die ihm seine Mätzchen ein für alle mal austreibe. Außerdem schlug sie ihm einen Handel vor. Sei Robert bereit, von ihr abzulassen, könne sie ein gutes Wörtchen bei einer ihrer Freundinnen für ihn einlegen.

      Jasmin meinte es ernst. Robert blieb nichts anderes übrig, als sich ihrem Willen zu fügen. Nicht nur entging er dadurch großem Ärger, sondern fand sich schon bald an der Seite einer anderen Klassenkameradin wieder, mit der er einige Monate zusammen war. Darüber hinaus erlangte er Berühmtheit und Ansehen allein dadurch, weil er das Kunststück fertig gebracht hatte, nicht nur mit Jasmin gesprochen zu haben, sondern gar von ihr angesprochen worden zu sein, auch wenn der Anlass seiner Meinung nach durchaus ein besserer hätte sein können.

      Anja: seine erste Freundin! Aber warum zum Teufel hatte er sich auf diesen Kuhhandel eingelassen? Die Antwort ist geradezu unglaublich banal und zeigt Robert in all der Unerfahrenheit, Unbekümmertheit, Naivität und Sorglosigkeit, die ihm und seinen Altersgenossen eigen war und sie lautet: warum denn nicht, wenn es keine bessere Lösung gibt?!?

      *

      Mit Anja erlebte Robert ein paar stürmische Monate. Beide wussten, dass es keinen wirklichen Grund für eine Beziehung gab. Sie waren nicht verliebt und empfanden entsprechend wenig füreinander. Lediglich eine unsinnige Neugier verband sie. So war die Ursache ihrer ersten schüchternen Berührungen, ihrer sich wie zufällig treffenden Hände, der ersten Umarmung und ihres ersten Kusses in ihrer jugendlichen Vorstellung zu suchen, dass man solche Dinge tut, wenn man einen Freund/eine Freundin hat.

      Natürlich blieb es nicht bei harmlosen Küssen und Expeditionen über die Oberfläche des menschlichen

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