Der Kampf der Balinen. Kathrin-Silvia Kunze
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7. Kapitel
Trahil eilte mit weiten, schnellen Schritten durch die Straßen von Melan. Mit einer Hand hielt er den Saum seines langen, grünen Baumwollgewandes hoch, um nicht beim Laufen davon behindert zu werden. Ein Streit sei ausgebrochen, hatte man ihm gesagt. Eine Auseinandersetzung zwischen Haus an Haus lebenden, die überkochte. Der alte Mann keuchte. Aber in der Ferne hörte er schon den Tumult. Und als er um die nächste Straßenecke bog, sah er eine große Ansammlung von Balinen. Sie versperrten ihm wie eine Wand aus Leibern, die Sicht. Trahil hörte ihre beschwichtigenden Rufe und auch das unfreundliche Knurren und Fauchen einer handfesten Auseinandersetzung dahinter. Trahil suchte einen Weg durch die aufgebrachte und bestürzte Menge hindurch. Doch als sie ihn erkannten, traten die Männer und Frauen vor ihm zur Seite, um ihm einen Durchgang zu schaffen. Der Anblick, der ihn dort auf der anderen Seite erwartete, betrübte ihn zutiefst. Zwei Männer, groß gewachsen, gingen immer wieder fauchend aufeinander los. Sie rangen miteinander. Dann ließen sie kurz davon ab und suchten mit kühnem Sprung oder großer Kletterfähigkeit, auf den Häusern zu beiden Seiten der Straße Zuflucht. Aber nur, um einen Moment zu verschnaufen, sich dabei gegenseitig abzuschätzen und dann knurrend wieder aufeinander los zu springen. „Runter von meinem Haustürvorsprung!“, rief jemand aus der Menge aufgebracht. „Hört doch auf mit dem Unsinn!“, flehte ein anderer. Und eine Frau hinter Trahil schimpfte: „Die zwei Hitzköpfe sollen meine schönen Tonkrüge vorm Haus nicht zertrampeln, sonst komm ich ihnen gleich mit einem Trog voll Wasser. Das wird ihr Mütchen schon kühlen!“ Trahil fand es abstoßend, sehen zu müssen, wie zwei ansonsten kluge, erwachsene Männer, sich in solch unverhohlen aggressives Gehabe verstrickten. Gerechter Zorn über solch ein Übermaß an Unvernunft wallte in ihm auf. Und er rief mit einer Stimme, die hernieder ging wie der Donner eines Sommergewitters über die verbrannte, trockene Erdkruste: „Nereel! Aronn!“ Der zuletzt angesprochen Mann, mit langem, glatten roten Haar und roten Augen, war gerade im Sprung gewesen. Vor Schreck verkrampfte sich jedoch sein Körper und er verfehlte den Hausvorsprung. Aronn rutschte ab und fiel auf Nereel, der ihm nachgestellt hatte, um ihn an seiner Flucht zu hindern. Der braunhaarige Mann fauchte schmerzerfüllt und seine grünen Augen weiteten sich vor Schreck, als Aronn mit dem Hinterkopf auf seinem Bauch landete. Die Menge hielt erschrocken den Atem an. Aber Trahil knurrte, verärgert über soviel unnütz erzeugte Gefahr und verursachte Schmerzen. Nereel und Aronn hatten sich mittlerweile aber schon wieder aufgerichtet. Der eine hielt sich den schmerzenden Bauch, der anderer rieb sich seine geprellte, rechte Schulter. Und obwohl die zwei Männer bereits schuldbewusst zu Boden blickten, als sie mit gesenkten Köpfen auf den alten Mann zuschlichen, ließ Trahil sie dennoch sein Missfallen auf das Deutlichste spüren. „Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, begann er ungnädig. „Wenn ihr überhaupt gedacht habt!“, Trahil schnaubte abfällig. „Führt euch hier auf wie zwei unreife Kinder, Männer, die ihr doch eigentlich seid.“ Und mit Bedauern in der Stimme, was weit schlimmer war, als jeder Zorn es hätte sein können, schloss er: „Haben wir euch denn gar nicht beibringen können, wie man sich als denkendes Wesen in einer Gemeinschaft verhält?“ „Aber Nereel hat mich einfach beschimpft und dann ohne jede Vorwarnung einfach angegriffen!“, platzte es aus Aronn gekränkt heraus und er wies mit dem ausgestreckten Arm verteidigend auf den Mann neben sich. Dieser gab sogleich hitzig zurück: „Aber nur, weil du ein Dieb bist!“, dabei starrte er Aronn wütend an. „Hörst du, hörst du das?“, wandte Aronn sich hilfesuchend an Trahil. „Er beleidigt mich schon wieder! Und jetzt sogar vor allen anderen!“ Die beiden Männer blickten sich wütend an und Trahil fürchtete schon, sie würden erneut auf einander losgehen. Hinter Trahil brandete aufgeregtes Geflüster auf und drohte die Situation noch weiter zu verschärfen. „Ruhe!“, donnerte Trahil und drehte sich um. Langsam und mit einer Warnung in den zu schmalen Schlitzen zusammen gekniffenen Augen, blickte Trahil in die erschrockenen Gesichter seiner Schutzbefohlenen. „Nun, denn.“, grollte er, um sich der absoluten Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher sein zu können. „Dann werden wir diese unerfreuliche Angelegenheit nun in absoluter Ruhe und zur Zufriedenheit aller klären. Einverstanden?“ Bei dieser letzten Frage hatte er sich wieder Nereel und Aronn zugewandt und sie mit einem durchdringenden Blick bedacht. Der Zorn der zwei Männer schien vor Erfurcht wie weggeblasen und sie nickten eifrig, zum Zeichen vollster Zustimmung, mit den Köpfen. „Wie schön!“, lächelte Trahil aufrichtig. „Das versöhnt mich wieder.“ Dann fragte er betont ruhig und mit so neutraler Wortwahl wie möglich: „Jeder von euch wird nun zu Wort kommen und er wird uns alles erzählen können, was ihm in dieser Angelegenheit widerfahren ist. Also bleibt ganz ruhig. Nereel, was hat Aronn dir deiner Meinung nach unrechtmäßig weggenommen?“ „Er nimmt sich immer wieder mein Milchfass, das ich hier im kühlen Schatten an der Hauswand lagere.“, antwortete Nereel verstimmt und wies auf ein Holzfass, das direkt neben Aronns Haus stand. „Was?“, rief Aronn laut und aufgebracht. „Du stellst dein Milchfass doch immer selbst neben mein Haus. Als eine Geste der Freundschaft, dachte ich. Damit ich auch davon nehmen kann.“ Trahil runzelte die Stirn. Zum einen, weil er Aronn noch gar nicht das Wort erteilt hatte. Zum anderen, aus Verwirrung über diese zwei völlig unterschiedlichen Berichte. Aber es blieb ihm keine Zeit, um weiter darüber nachzudenken. Denn die zwei Männer gingen voller Wut wieder aufeinander los.