Der Kampf der Balinen. Kathrin-Silvia Kunze

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Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze

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Haalina!“, rief Trahil hocherfreut. Noch ehe Seline, verwundert etwas fragen konnte, trat Lethon bereits zu ihnen und sprach: „Dieses Kind habe ich bei den Schmetterlingshäusern gefunden. Sie hat dort tief und fest geschlafen!“ Das dünne, blasse Mädchen, mit den langen, glatten, sonnenhellen Haaren, sah Seline aus schwarzblauen Augen verängstigt an. Seline lächelte und ließ eine Aurawelle der Ruhe und des Friedens von sich aus auf das Kind überfließen während sie sprach: „Haalina, wir sind alle sehr froh, dass wir dich wieder gefunden haben und dass es dir gut geht! Kannst du uns vielleicht sagen, was dir in der letzten Nacht passiert ist?“ Stumm, mit bedauerndem und verwirrtem Blick schüttelte das Kind den Kopf und ließ sich von Lethon behutsam auf den Boden stellen. Dabei glitt die dicke Wolldecke für einen Augenblick zu Boden, aber Lethon hob sie sofort auf und legte sie dem kleinen Mädchen wieder um die Schulter. Doch für einen kurzen Augenblick, sah Seline das dick gewebte, lange weiße Leinengewand, das Haalina trug. „Sie ist die weiße Erscheinung!“, sprach Seline plötzlich, laut denkend. Lethon runzelte völlig verständnislos die Stirn. Trahil glaubte, Seline habe eine Art Vision. Und sogar Saadonn schwieg noch skeptisch, während Haalinas Augen vor Verwunderung noch größer wurden. „In der letzten Nacht stand der Mond groß und voll am Himmel!“, versuchte Seline ihre Überlegung zu erklären. „Das Volk der Balinen spürt schon seit jeher die belebende Kraft des Vollmondes und reagiert darauf, in unterschiedlichster Weise. Und Haalina, sie ist bei Vollmond des Nachts schlafend in Melan umhergegangen!“ „Wenn das stimmt“, murmelte Saadonn nachdenklich, „dann aber schon des Öfteren!“ „Und weil sie dabei schlief, kann sie sich auch an nichts erinnern“, ergänzte Seline zufrieden. „Und im Licht des Mondes“, fügte Saadonn nickend hinzu, „strahlte ihr weißes Gewand, hell und geheimnisvoll“. Trahil und Lethon hatten nun zwar nur die Hälfte von allem verstanden, aber das Kind war gesund gefunden worden und hatte nur geschlafwandelt. Was könnte man da noch mehr wollen?! Seline begann, Vorschläge für kommende Vollmondnächte zu unterbreiten. So sollte man Haalina vor dem zu Bett gehen Entspannungsübungen verordnen und ihr heißen Honigtee verabreichen. Da jedoch wurde die Tür zum großen Ratssaal von Melan erneut aufgerissen. Seline blickte entnervt gen Himmel und seufzte tief. „Haalina, mein armes kleines Mädchen!“, rief eine schluchzende Frauenstimme laut. Es war Kallaa, die Mutter, die ohne die anderen Anwesenden auch nur wahrzunehmen, auf ihre Tochter zustürzte. Nun flossen auch bei Haalina endlich die Tränen. Und auch sie hatte die Anderen nun völlig vergessen und eilte ihrer Mutter entgegen, so schnell wie die kleinen Beine sie trugen. Die Wolldecke fiel dabei achtlos auf den Boden. Die beiden fielen sich in die Arme und herzten und drückten sich. Und in dem ganzen Geschluchze hörte man plötzlich zum ersten Mal die Stimme der kleinen Haalina. Sie klang sehr ernst als sie sagte: „Mutter, es ist ganz schrecklich. Ich bin eine weiße Erscheinung!“ Seline und die Männer lachten alle laut auf. Nur Kallaa verstand nicht so recht. Doch das war ihr im Moment auch vollkommen egal. Und so schnurrte sie, ihr Kind an sich drückend, zufrieden: „Aber das macht doch nichts, mein Vögelchen!“ Und in das wohlige Schnurren von Mutter und Kind, mischte sich erneut das Gelächter der anderen.

      7. Kapitel

      Trahil eilte mit weiten, schnellen Schritten durch die Straßen von Melan. Mit einer Hand hielt er den Saum seines langen, grünen Baumwollgewandes hoch, um nicht beim Laufen davon behindert zu werden. Ein Streit sei ausgebrochen, hatte man ihm gesagt. Eine Auseinandersetzung zwischen Haus an Haus lebenden, die überkochte. Der alte Mann keuchte. Aber in der Ferne hörte er schon den Tumult. Und als er um die nächste Straßenecke bog, sah er eine große Ansammlung von Balinen. Sie versperrten ihm wie eine Wand aus Leibern, die Sicht. Trahil hörte ihre beschwichtigenden Rufe und auch das unfreundliche Knurren und Fauchen einer handfesten Auseinandersetzung dahinter. Trahil suchte einen Weg durch die aufgebrachte und bestürzte Menge hindurch. Doch als sie ihn erkannten, traten die Männer und Frauen vor ihm zur Seite, um ihm einen Durchgang zu schaffen. Der Anblick, der ihn dort auf der anderen Seite erwartete, betrübte ihn zutiefst. Zwei Männer, groß gewachsen, gingen immer wieder fauchend aufeinander los. Sie rangen miteinander. Dann ließen sie kurz davon ab und suchten mit kühnem Sprung oder großer Kletterfähigkeit, auf den Häusern zu beiden Seiten der Straße Zuflucht. Aber nur, um einen Moment zu verschnaufen, sich dabei gegenseitig abzuschätzen und dann knurrend wieder aufeinander los zu springen. „Runter von meinem Haustürvorsprung!“, rief jemand aus der Menge aufgebracht. „Hört doch auf mit dem Unsinn!“, flehte ein anderer. Und eine Frau hinter Trahil schimpfte: „Die zwei Hitzköpfe sollen meine schönen Tonkrüge vorm Haus nicht zertrampeln, sonst komm ich ihnen gleich mit einem Trog voll Wasser. Das wird ihr Mütchen schon kühlen!“ Trahil fand es abstoßend, sehen zu müssen, wie zwei ansonsten kluge, erwachsene Männer, sich in solch unverhohlen aggressives Gehabe verstrickten. Gerechter Zorn über solch ein Übermaß an Unvernunft wallte in ihm auf. Und er rief mit einer Stimme, die hernieder ging wie der Donner eines Sommergewitters über die verbrannte, trockene Erdkruste: „Nereel! Aronn!“ Der zuletzt angesprochen Mann, mit langem, glatten roten Haar und roten Augen, war gerade im Sprung gewesen. Vor Schreck verkrampfte sich jedoch sein Körper und er verfehlte den Hausvorsprung. Aronn rutschte ab und fiel auf Nereel, der ihm nachgestellt hatte, um ihn an seiner Flucht zu hindern. Der braunhaarige Mann fauchte schmerzerfüllt und seine grünen Augen weiteten sich vor Schreck, als Aronn mit dem Hinterkopf auf seinem Bauch landete. Die Menge hielt erschrocken den Atem an. Aber Trahil knurrte, verärgert über soviel unnütz erzeugte Gefahr und verursachte Schmerzen. Nereel und Aronn hatten sich mittlerweile aber schon wieder aufgerichtet. Der eine hielt sich den schmerzenden Bauch, der anderer rieb sich seine geprellte, rechte Schulter. Und obwohl die zwei Männer bereits schuldbewusst zu Boden blickten, als sie mit gesenkten Köpfen auf den alten Mann zuschlichen, ließ Trahil sie dennoch sein Missfallen auf das Deutlichste spüren. „Was habt ihr euch nur dabei gedacht?“, begann er ungnädig. „Wenn ihr überhaupt gedacht habt!“, Trahil schnaubte abfällig. „Führt euch hier auf wie zwei unreife Kinder, Männer, die ihr doch eigentlich seid.“ Und mit Bedauern in der Stimme, was weit schlimmer war, als jeder Zorn es hätte sein können, schloss er: „Haben wir euch denn gar nicht beibringen können, wie man sich als denkendes Wesen in einer Gemeinschaft verhält?“ „Aber Nereel hat mich einfach beschimpft und dann ohne jede Vorwarnung einfach angegriffen!“, platzte es aus Aronn gekränkt heraus und er wies mit dem ausgestreckten Arm verteidigend auf den Mann neben sich. Dieser gab sogleich hitzig zurück: „Aber nur, weil du ein Dieb bist!“, dabei starrte er Aronn wütend an. „Hörst du, hörst du das?“, wandte Aronn sich hilfesuchend an Trahil. „Er beleidigt mich schon wieder! Und jetzt sogar vor allen anderen!“ Die beiden Männer blickten sich wütend an und Trahil fürchtete schon, sie würden erneut auf einander losgehen. Hinter Trahil brandete aufgeregtes Geflüster auf und drohte die Situation noch weiter zu verschärfen. „Ruhe!“, donnerte Trahil und drehte sich um. Langsam und mit einer Warnung in den zu schmalen Schlitzen zusammen gekniffenen Augen, blickte Trahil in die erschrockenen Gesichter seiner Schutzbefohlenen. „Nun, denn.“, grollte er, um sich der absoluten Aufmerksamkeit aller Anwesenden sicher sein zu können. „Dann werden wir diese unerfreuliche Angelegenheit nun in absoluter Ruhe und zur Zufriedenheit aller klären. Einverstanden?“ Bei dieser letzten Frage hatte er sich wieder Nereel und Aronn zugewandt und sie mit einem durchdringenden Blick bedacht. Der Zorn der zwei Männer schien vor Erfurcht wie weggeblasen und sie nickten eifrig, zum Zeichen vollster Zustimmung, mit den Köpfen. „Wie schön!“, lächelte Trahil aufrichtig. „Das versöhnt mich wieder.“ Dann fragte er betont ruhig und mit so neutraler Wortwahl wie möglich: „Jeder von euch wird nun zu Wort kommen und er wird uns alles erzählen können, was ihm in dieser Angelegenheit widerfahren ist. Also bleibt ganz ruhig. Nereel, was hat Aronn dir deiner Meinung nach unrechtmäßig weggenommen?“ „Er nimmt sich immer wieder mein Milchfass, das ich hier im kühlen Schatten an der Hauswand lagere.“, antwortete Nereel verstimmt und wies auf ein Holzfass, das direkt neben Aronns Haus stand. „Was?“, rief Aronn laut und aufgebracht. „Du stellst dein Milchfass doch immer selbst neben mein Haus. Als eine Geste der Freundschaft, dachte ich. Damit ich auch davon nehmen kann.“ Trahil runzelte die Stirn. Zum einen, weil er Aronn noch gar nicht das Wort erteilt hatte. Zum anderen, aus Verwirrung über diese zwei völlig unterschiedlichen Berichte. Aber es blieb ihm keine Zeit, um weiter darüber nachzudenken. Denn die zwei Männer gingen voller Wut wieder aufeinander los.

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