Böse Mächte. Dietrich Novak
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Böse Mächte - Dietrich Novak страница 5
Offiziell gab es den Satanismus, als eine fest strukturierte weltanschauliche Organisation mit einer Zentrale in Deutschland nicht. Allenfalls sprachen Experten von einem Satanismus-Syndrom. Das machte die Aufklärung vermeintlicher Fälle so schwierig. Es gab zu viele unterschiedliche Ausdrucksformen des Satanismus. Dazu gehörten Gruppen von Jugendlichen, die sich um Mitternacht auf Friedhöfen trafen, um dort Mutproben zu bestehen oder angeblich Schwarze Messen zu zelebrieren. Einsätze der herbeigerufenen Polizei verliefen jedoch meistens ins Leere. Gelegentlich wurden Kirchen mit Teufelssymbolen beschmiert oder Gräber geschändet, ohne dass man die Verantwortlichen fassen konnte.
Warum bekamen sie es immer mit so ungewöhnlichen Morden zu tun? Valerie beschwerte sich gedanklich oder auch offen verbal zum wiederholten Mal. Ein Mord aus Eifersucht oder Habgier war dagegen beinahe Routine.
Ihr nächstes Ziel lag ebenfalls in der Turmstraße. Auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhaus Moabit befand sich seit Dezember 2004 die Rechtsmedizin – eigentlich: Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin. Im Februar 2006 waren das Leichenschauhaus aus der Invalidenstr. 59 und die Toxikologie aus der Invalidenstr. 60 gemeinsam in das modernisierte Haus O – die ehemalige Pathologie des Krankenhauses Moabit – gezogen. Somit ließen sich die bisher auf drei Standorte verteilten Arbeitsbereiche vereinigen.
Knud Habich machte große Augen, als er Valerie sah.
»Ihr könnt es wohl wieder einmal nicht abwarten, den Obduktionsbericht zu erhalten«, sagte er.
»Eigentlich bin ich gekommen, um Tina noch einmal zu sehen«, meinte Valerie, »aber wenn ich schon einmal hier bin, kannst du mir auch etwas über das Opfer erzählen.«
»Wie schon gesagt, handelt es sich um eine Übertötung«, sagte er, »weil mehrere der dreißig Stiche in Brust und Oberbauch allein schon tödlich gewesen wären. Der oder die Täter muss unter Drogeneinfluss gestanden haben, wie das Opfer übrigens auch. Wir haben Spuren von Aconitum napellus gefunden. Der Blaue Eisenhut gilt als die giftigste Pflanze Mitteleuropas und zieht als Mordgift durch die Zeitgeschichte. Aristoteles nahm sich vermutlich mit Aconitum das Leben als man ihn anklagte, Alexander den Großen vergiftet zu haben. Medizinisch wurde die Pflanze in der Antike gegen starke Nervenschmerzen eingesetzt, später gegen Epilepsie, Lähmungen, Wassersucht, aber auch gegen Neuralgien, Gicht und Rheumatismus. Heute verwendet man es in homöopathischer Potenzierung bei Angst und Panikzuständen.«
»Heißt es nicht, es ist nur zwei bis drei Stunden nach dem Tod nachweisbar?«
»So heißt es, aber dennoch lassen sich geringe Spuren in Blut, Urin und Magen- und Darminhalt finden. Mit einem komplizierten Verfahren mittels einer Chloroformlösung ist das möglich. Aber die Unbekannte war ja noch keine drei Stunden tot. Wir haben auch Zahnabdrücke der Unbekannten genommen und eine DNA Analyse durchgeführt.«
»Gut, dann werden wir bald wissen, um wen es sich handelt. Dann hat man sie also betäubt, bevor man sie umbrachte?«
»Nicht unbedingt. Sie kann das Gift auch freiwillig genommen haben. Im Mittelalter hat man den Eisenhut auch in Hexensalben verarbeitet. Die Alkaloide der Nachtschattengewächse wirken auf das Zentralnervensystem und brachten den vermeintlichen Hexen angenehme Träume und Halluzinationen. Das Aconitin erregt zuerst die sensiblen Nervenenden in der Haut, anschließend lähmt es sie aber. Bewegungsunfähig kann sie durchaus ihren Tod miterlebt haben.«
»Dann ging es also tatsächlich um rituelle Praktiken«, sagte Valerie.
»Durchaus anzunehmen. Erst nahm man ihr die Angst und dann das Leben. Die Frau muss auch über längere Zeit gehungert haben. Dabei bildet der Körper vermehrt Aceton. Diesen stechenden Geruch, der an Nagellackentferner erinnert, konnten wir feststellen.«
»Danke, dann warten wir auf den schriftlichen Bericht. Jetzt würde ich gerne zu Tina gebracht werden.«
»Natürlich. Du nimmst mir nicht übel, wenn das eine neue Kollegin macht?«
»Was denn, gibt es etwa schon Ersatz für Tina?«
»Die ganze Arbeit muss schließlich auch zukünftig gemacht werden. Ich bin sogar froh, dass die Stelle nicht gestrichen wurde.«
Stella Kern stellte sich als eine außerordentlich hübsche und sensible Frau heraus. Ein wenig erinnerte sie Valerie sogar an die junge Tina, obwohl sie eine ganz andere Haarfarbe hatte. Kein Außenstehender hätte wohl auf Anhieb ihren Beruf erraten. Valerie geißelte sich sogleich innerlich für die Abschätzung der Gerichtsmedizinerin, aber durch den bevorstehenden, schweren Gang waren ihre Sinne geschärft, und sie nahm jede Kleinigkeit wahr.
»Guten Tag, ich bin die Neue«, sagte sie mit melodischer Stimme. »Auf gute Zusammenarbeit, Frau Hauptkommissarin.«
»Ja …«, stotterte Valerie.
»Ich lasse Sie dann mal allein«, sagte Stella Kern, nachdem sie Tinas Leiche aus dem Kühlfach gezogen und abgedeckt hatte.
Valerie sah in das blasse Gesicht von Tina und konnte ihre Tränen nicht zurückhalten.
»So muss es also mit uns zu Ende gehen«, flüsterte sie, als könne Tina sie hören. »Dabei hättest du noch viele schöne Jahre vor dir gehabt. Verzeih mir, dass ich dir nicht mehr Zeit geschenkt habe. Aber du wirst für immer in meinem Herzen bleiben.«
Wie lange Valerie in stillem Zwiegespräch verweilt hatte, hätte sie anschließend nicht sagen können. Aber irgendwann kam Stella umarmte Valerie vorsichtig und führte sie sanft weg.
»Kommen Sie, Frau Voss. Sie haben Sie sehr gemocht, nicht wahr? Ich hörte, sie war auch unter den Kollegen sehr beliebt.«
Valerie nickte stumm.
Friedrichshagen lag in tiefem Schlummer, als drei schwarz gekleidete Personen den Zaun des evangelischen Friedhofs erklommen. Sie benutzten nicht den Haupteingang in der Aßmannstrasse, sondern den in der Peter-Hille-Straße, weil der Zaun dort niedriger war.
Vidar war vor Aufregung ganz still, denn er fürchtete sich nicht nur vor der Mutprobe. Es war auch durchaus möglich, dass man sie entdeckte. Delano hatte verfügt, dass Vidar von Sirona und Finbar begleitet wurde. Da Vidar im Keltischen „Waldkrieger“ bedeutet, würde Sirona als die keltische Göttin der Jagd und des Waldes gut passen, feixte er. Nur Finbar – „Der Blonde“ oder “blondes Haupt“ – passte nicht ganz dazu. Doch der hatte nach einigem Ungehorsam etwas gutzumachen.
Zielsicher steuerten sie auf eines der frischen Gräber der letzten Tage zu. Vidar und Sirona räumten die Kränze und Gestecke beiseite, und Finbar begann, den provisorischen Erdhügel abzutragen. Dann schaufelte er tiefer, bis der Spaten dumpf auf dem Holz des Sarges aufstieß. Danach löste er die Schrauben des Deckels und klappte diesen auf.
Vidar betrachtete schaudernd das eingefallene, fahle Gesicht des alten Mannes, dessen knochige Hände über der Brust gefaltet waren. Denn er wusste, dass die Probe darin bestand, es mindestens eine Viertelstunde neben der Leiche in totaler Finsternis auszuhalten.
»So,