Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller

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Was zu beweisen wäre - Jürgen Heller

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auflegen, als sich doch jemand meldet.

      "Hotel Monte Cristallo, Sie sprechen mit Leni Hofer, was kann ich für Sie tun?"

      Carla erkennt Lenis Stimme sofort.

      "Hallo Leni, hier spricht Carla Weißensee, erinnerst du Dich? Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich wollte eigentlich nur meine Eltern sprechen aber sie sind scheinbar nicht auf dem Zimmer."

      "Ja mei, Carla, sicher erinnere ich mich, solang ist das nun auch nicht her. Freut mich, dich zu hören. Du, wo deine Eltern sind, kann ich dir gar nicht sagen. Normalerweise würden sie längst zum Essen da sein. Ich habe sie heute morgen das letzte Mal gesehen. Soweit ich weiß, wollten sie zum Gletscher hoch, ist ja auch den ganzen Tag tolles Wetter gewesen. Kann ich was ausrichten, Sollen sie zurückrufen?"

      "Das wäre ganz lieb Leni, ich bin den ganzen Abend zuhause. Sie können jederzeit anrufen."

      Sie tauschen noch ein paar Erinnerungen und liebe Grüße aus und versprechen, sich möglichst bald mal wieder zu treffen. Nachdem sie das Telefon in die Station gestellt hat, kommt ihr plötzlich der Gedanke. Es fängt ganz langsam an, aber dann erkämpft sich dieses Gefühl mehr und mehr an Raum. Kubikzentimeter um Kubikzentimeter ergreift sie eine Unruhe und in ihrem Kopf kreisen Bilder von gestürzten und verletzten Menschen. Sie hört Schreie, Stöhnen, das Rufen von Rettungskräften. Dann blendet ihre Phantasie sogar einen Rettungshubschrauber ein.

      Carla erhebt sich, schimpft sich halblaut selbst eine Idiotin, weil sie solche Gedanken zulässt, geht mit übertrieben energischen Schritten zum Eckschrank, auch ein Prachtstück von Tante Giuliana, und schenkt sich einen dreifachen Ramazotti ein.

      * * *

       Dienstag, 29. März 1955

       Die Einladung bei Prof. R.v.C. war nicht ganz so erfolgreich für mich, wie ich es erhofft hatte. Er hat aufgrund seiner Vergangenheit nicht mehr den Einfluss an der Uni, wenn ich es recht verstanden habe. Irgendwas Politisches. Er war wohl mal ein hohes Tier im DuÖAV und wurde nach dem Krieg wegen seiner angeblichen Nähe zu den Nazis mit Vorlesungsverbot belegt. Er hat mir aber die ganze Zeit zu erklären versucht, dass der Alpenverein ohnehin stramm nationalistisch orientiert war, jedenfalls die entscheidenden Sektionen. Der sogenannte Arierparagraph wurde schon weit vor der Machtergreifung durch Hitler in die Satzungen aufgenommen, usw. Ist mir auch völlig egal. Mich interessiert nur mein Studium. Er versprach mir, dass er einige Kontakte aufnehmen wolle. Ich würde von ihm hören. Bin gespannt. Allzu lange kann ich nicht warten.

      * * *

      5

      Bruno Hallstein ist gerade in Tegel ausgestiegen und auf dem Weg zu seiner Wohnung, als sein handy "in the mood" spielt. Es ist Carla. Das Gespräch dauert weniger als zwei Minuten und endet damit, dass er sauer ist. Sie hat ihre Verabredung abgesagt. Krank.

       Na gut, wenn sie dafür auf den Film verzichtet, muss sie wirklich krank sein. Aber warum will sie mich nicht sehen? Ich könnte mich doch um sie kümmern, vielleicht etwas kochen oder einfach nur da sein.

      Sie blockt ab, vertröstet ihn auf die nächsten Tage, wird sich melden. Er findet nicht mal Gelegenheit, gute Besserung zu wünschen.

       Dann eben nicht. Blöde grüne Seife...

      Er steckt das Handy weg, läuft aber nun nicht mehr zu seiner Wohnung, sondern kehrt um in Richtung Seepromenade. Die Sonne meint es für die Uhrzeit immer noch gut und er will in die "Mühle." Da kann er vielleicht noch draußen sitzen. Er geht hinüber auf die andere Straßenseite und läuft Alt-Tegel hinunter. Links und rechts wechseln sich Eisdielen mit Restaurants ab, hin und wieder ein Geschäft dazwischen. Obwohl es noch früh im Jahr ist, sitzen erstaunlich viele Menschen draußen. So etwas gab es früher nicht. Er ist in Tegel aufgewachsen und kann sich nicht an derart viele Straßencafés erinnern. Schon eher unten am Seeufer. Da war Sonntags sogar oft Tanz und es gab Cafés, wo man den eigenen Kuchen mitbringen durfte, nur der Kaffee musste bestellt werden. Er passiert die alte Dorfaue mit der Kirche und dem Kirchplatz davor. Hier sind seine Schwester und er getauft und konfirmiert worden. Die kleinen Kopfsteinpflasterstraßen sind vollgestellt mit parkenden Autos. Sie verhunzen das eigentlich wunderschöne Bild, das so gar nicht zu der großen Stadt Berlin passen will. Deshalb liebt er diesen Stadtteil auch so sehr. Er kennt keinen schöneren. Viele Menschen strömen ihm entgegen, wohl Hunderte, die wahrscheinlich allesamt mit den Fahrgastschiffen unterwegs waren und jetzt zur U-Bahn wollen.

      Normalerweise starten die weißen Flotten erstmals zu Ostern. Das wäre in drei Wochen, aber durch den vorzeitigen Frühlingseinbruch wollen sich die Reeder das Geschäft nicht entgehen lassen und sind teilweise schon jetzt unterwegs. Es ist Freitag, 16:30 Uhr und durch das schöne Wetter noch sehr hell. Er ist an der "Mühle" angekommen, doch leider ist draußen alles besetzt. Der Wirt, ein alter Jugendfreund, hat für seine Gäste diese gasbetriebenen Heizpilze aufgestellt. Seit er die besitzt, kann sein Gastgarten sogar im Winter genutzt werden. Es sind auch nur Nichtraucher, die diese Heizkörper aus Umweltgründen wieder abschaffen wollen.

      Drinnen findet Bruno einen Platz in einer etwas abseits gelegenen Ecke. Direkt gegenüber befindet sich ein alter weinroter Kachelofen, der im Winter regelmäßig beheizt wird. Jetzt ist er kalt. Es ist schon eigenartig, denkt er, drinnen wird Energie gespart und draußen verschwendet. Sekundenlang überlegt er hinauszugehen, um zu prüfen, ob es dort eventuell wärmer ist als hier drinnen, aber er belässt es bei dem Gedanken. Die Ecke ist gemütlich und als die Kellnerin an den Tisch tritt, wird ihm schlagartig warm. Er hat sie hier noch nie gesehen. Sie ist genau das, was er jetzt braucht.

      "Haben Sie schon einen Getränkewunsch?" fragt ihn der Engel und reicht ihm eine in gelbem Leder gebundene Speisekarte.

      Immerhin fragt sie in ganzen Sätzen.

      Er bestellt einen doppelten Espresso. Sie wendet sich um und geht zum Tresen. Er blickt ihr nach, soweit es geht und genießt ihren Anblick, den kurzen grauen Rock und die dazu passenden Strümpfe in der gleichen Farbe. Gut, dass sie ihre Beine nicht in Hosen versteckt. Ihr schwingender Gang erinnert ihn an diese spindeldürren Models, die man öfter im Fernsehen sieht. Die hier ist aber nicht spindeldürr, macht eher einen athletischen Eindruck. Als sie ihm den Kaffee bringt, kann er sie auch von vorn genauer betrachten. Es gefällt ihm schon sehr, auch das, was oberhalb der Gürtellinie zu sehen ist. Die oberen drei Knöpfe ihrer schwarzen Bluse sind offen und genau da, wo sich sein Blick fokussiert, glänzt ein goldenes Kettchen mit einem Kreuz.

      "Haben Sie schon etwas gefunden, Herr Hallstein?", fragt der Engel und verzieht keine Miene.

      "Woher kennen Sie meinen Namen?"

      Bruno ist überrascht.

      Sie erklärt es ihm. Sie ist die Tochter des Wirtes, seines Freundes Harry, wohnt und studiert in München und hat Semesterferien. Er erinnert sich an ein kleines, dickliches, blondes Mädchen, dass völlig gehemmt war und ihm selbst im Beisein ihrer Mutter nicht mal die Hand geben wollte. Das ist bestimmt zwanzig Jahre her. Harry ist schon 12 Jahre geschieden, hatte von seiner Tochter lange nichts gehört, bis sie vor drei Jahren hier auftauchte, um ihren Vater zu sehen. Seitdem kommt sie regelmäßig nach Berlin aber Bruno sieht sie heute zum ersten Mal. Er hätte sie auch nicht erkannt.

      "Du hast dich aber verändert, bis auf die Haarfarbe."

       Na, da ist mir ja was ganz Schlaues eingefallen.

      "Das

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