Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller
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"Darf ich Ihnen das abnehmen?"
Der junge Mann lächelt höflich, schaut etwas sparsam, als er das Dixi-Klo sieht. Er erspart sich aber jeden Kommentar und schiebt mit dem Ding ab.
"Carla, wie geht es jetzt weiter, was kann ich denn tun?"
"Bruno, lass mich erst mal sehen, wie der Stand der Dinge ist. Ich melde mich, versprochen. Und vielen Dank, dass du mich begleitet hast. Ich bin etwas durch den Wind, entschuldige bitte."
Sie gibt ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verschwindet sofort.
8
Bruno setzt sich in seinen Wagen und überlegt kurz, was er jetzt tun soll. Es ist jetzt halb Vier. Die Rückkehrer vom Gletscher werden bald die Straße verstopfen, also entschließt er sich, als erstes sein Zimmer zu beziehen. In weniger als 10 Minuten hat er den Walderhof erreicht. Der liegt zweihundert Meter von der Straße entfernt, etwas erhöht, so dass man von hier einen schönen Blick über den kleinen Ort hat. Er schnappt sich beide Koffer und steigt die paar Stufen zum Eingang hoch. Im Haus ist es sehr warm, offensichtlich ist aber niemand da. Am Schlüsselbrett hängen viele Schlüssel und bei der Nummer 22 klebt noch ein gelber Zettel mit seinem Namen. Er nimmt den Schlüssel vom Haken und schleppt seine Koffer in die zweite Etage. Das Zimmer ist offen und die Vorhänge zugezogen. Martina, das Zimmermädchen, denkt wirklich an alles. Nachmittags steht die Sonne voll auf dieser Seite und es wäre im Zimmer nicht auszuhalten, wenn man die Gardinen offen ließe. So aber ist es angenehm. Er braucht nicht sehr lange, um seine Sachen zu verstauen. Die leeren Koffer stellt er oben auf den Kleiderschrank. Dann schaut er sich die Karte auf dem Tisch an. Ein Foto mit der ganzen Familie.
"Herzlichst willkommen! Erholsame Tage auf dem Walderhof wünscht Ihnen ihre Familie Brandner."
Er wirft noch einen Blick auf das Bild und glaubt zu erinnern, dass er selber dieses Foto im letzten Jahr geschossen hat. Schmunzelnd überlegt er sich, ob er nicht Honorar verlangen sollte. Er ist gerade auf dem Weg auf den Balkon, hat schon den Vorhang zur Seite gezogen, als das Handy wieder mal "in the mood" dudelt, Carla.
Sie ist sehr ernst und ihm kommt es vor, als ob sich Welten zwischen ihnen auftun. Also der Hubschrauber ist seit heute morgen 7:00 Uhr auf der Suche nach den Verschollenen. Man hat 30 Mann der Bergrettung Neustift und Fulpmes im Einsatz, einige sind mit Hunden dabei. Die Polizei hat sämtliche Personen, die in den letzten Tagen mit dem Ehepaar Weißensee Kontakt hatten, befragt. Mann hat auch andere Stellen kontaktiert, Tankstellen, Restaurants, Polizeistationen im ganzen Tal und diverse Krankenhäuser. Der Lokalsender in Innsbruck gibt seit heute Morgen in den Nachrichten entsprechende Aufrufe an die Bevölkerung heraus. Bisher nichts, Nullkommanull. Niemand hat etwas Auffälliges beobachtet und bei ca. 8 bis 10 000 Gästen pro Tag am Gletscher ist das ein hoffnungsloses Unterfangen. Bruno traut sich nicht zu fragen, ob sie heute Abend zusammen essen wollen und von Carla kommt kein Vorschlag. Sie will früh schlafen gehen. Dr. Curtius-Moser, ein alter Freund ihrer Eltern, der zufällig auch gerade im Hotel weilt, hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.
"Gute Nacht Carla, ich komme morgen vorbei. Wenn was ist, melde dich!"
Gute Nacht ist gut, es ist gerade mal 17:00 Uhr und noch hell. Er zieht sich Schuhe an, die warme Steppjacke über, Schal, Mütze, Portmonee und schließt hinter sich ab. Irgendetwas schönes muss er heute noch erleben und wenn es ein gutes Essen und ein edler Tropfen ist. Als er nach unten kommt, sieht er durch den Türspalt zur Küche Licht. Er klopft vorsichtig an und das erste Schöne des Tages erscheint in Person der Wirtin Anna.
"Grüß dich, Bruno, da bist du ja. Ich freue mich sehr, dich zu sehen."
"Grüß dich Anna, die Freude ist auf meiner Seite."
Er hat den Eindruck, sie ist noch hübscher als beim letzten Mal. Sie strahlt ihn an und freut sich wirklich. So kann man sich nicht verstellen. Sie umarmen sich und er genießt diese vertraute Berührung.
"Magst du etwas trinken? Komm setz dich und erzähl, wie es dir ergangen ist."
Er nimmt am Küchentisch Platz. Der ist voll mit Zeitschriften, einem Notizblock, nebst Kugelschreiber, einer leeren Kaffeetasse und ein paar Krümeln. Er liebt es, ist wie zu Hause.
"Jetzt bist du wieder allein da, deine Carla werde ich wohl nie kennen lernen."
Wer mir so alles gehört? Erst ist es meine Anna, jetzt meine Carla... in Wahrheit stehe ich mit leeren Händen da.
Er erzählt die ganze Geschichte mit den verschollenen Eltern von Carla und ihrer Angst und ihrem Wunsch, ohne ihn, Bruno, sein zu wollen.
"Das sind ihre Eltern, nach denen die suchen? Das wusste ich nicht. Es gibt seit gestern kein anderes Thema im Ort. Heute war den ganzen Tag der Hubschrauber aus Innsbruck unterwegs, aber so weit ich weiß, ohne Ergebnis. Mein Gott, das ist ja schrecklich. Ich würde an ihrer Stelle genauso reagieren. Du darfst ihr das nicht übel nehmen. Stell dir nur ihre Situation vor, es sind ihre Eltern."
Anna hat Kaffee für sich und Bruno bereitet und nimmt ebenfalls am Küchentisch Platz.
"Klar ist das schrecklich, keine Frage, aber ich kann auch nicht dafür. Und außerdem wissen wir ja gar nicht, was passiert ist. Solange man sie nicht findet, muss man die Hoffnung bewahren."
"Ja, ja, das stimmt schon. Andererseits haben wir nachts noch empfindlichen Frost und wenn sie irgendwo verunglückt sind... Sie sind ja auch nicht mehr so jung, wenn ich das richtig weiß."
Bruno fühlt sich ohnmächtig. Er würde ja gerne helfen aber wie? Was soll er denn tun? Er könnte Carla höchstens Trost spenden aber auf dem Gebiet ist er auch nicht gerade ein Meister und außerdem, so wie sich Carla ihm gegenüber verhält, auch nicht besonders motiviert.
Anna greift zum Handy.
"Ich rufe Robert an. Der darf zwar beim Einsatz noch nicht mitmachen, aber vielleicht weiß er trotzdem etwas."
Robert, Annas jüngster, ist seit zwei Jahren bei der Jugendfeuerwehr Neustift. Die sitzen im selben Haus wie die Bergwacht und zum Teil sind es auch die gleichen Leute. Der weiß eventuell mehr.
Es dauert eine ganze Weile, bis Anna ihn am Telefon hat. Jetzt redet sie wieder Tiroler Kauderwelsch. Bruno hat zwar in den vielen Jahren gelernt, den Dialekt ganz gut zu verstehen, aber wenn sie dann unter sich sind und keine Rücksicht nehmen müssen, begreift er nicht ein Wort. Nach fünf Minuten ist das Gespräch beendet.
"Also, pass auf. Die Besatzung vom Hubschrauber aus Innsbruck ist sich sehr sicher, dass oben im Gletschergebiet niemand verunfallt ist. Es gibt keine Spuren, die irgendwo im Nichts enden und es hat seit einer Woche nicht geschneit. Man hat zusammen mit der Bergwacht alle infrage kommenden Stellen sehr genau untersucht. Man hat Wärmebildkameras eingesetzt und hatte auch Hunde dabei. Auch die nochmalige Befragung des Personals oben und an der Talstation hat nichts ergeben, trotz Gegenüberstellung mit mehreren Fotos der Beiden, die man offenbar von den Hotelbesitzern, der Familie Hofer, bekommen hat. Und jetzt pass auf. Es gibt einen Busfahrer, der behauptet, dass ein älteres Paar in seinen Bus Richtung Fulpmes gestiegen sind. Ihm sind die beiden deshalb aufgefallen, weil die Busse vormittags in Richtung Tal normalerweise