Was zu beweisen wäre. Jürgen Heller
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"Vielen Dank Anna, du hast mir richtig geholfen. Ich werde jetzt in den Ort fahren, wollte sowieso eine Kleinigkeit essen und dann noch mal mein Glück mit Carla versuchen. Vielleicht finden wir ja den Busfahrer. Danke für den Kaffee und bis später."
* * *
Sonntag, 17. April 1955
War gestern und heute mit zwei Freunden am Obernberger See. Sehr idyllisch in einem kleinen Seitental vom Wipptal. Paul hat ein Auto und so waren wir sehr schnell da. Mussten vom Ort noch ein ganzes Ende laufen, es war aber sehr schön. Unterwegs haben wir drei Mädchen getroffen, die auch dorthin unterwegs waren. Haben uns angefreundet, meine ist erst 17, heißt Claudia und ist die hübscheste. Sie ist auch Italienerin, aus Kaltern. Die Eltern haben ein Weingut und sind so etwas wie Grafen aber verarmt, sagt sie. Ich muss sie wiedersehen! Aber Kaltern ist weit ohne Auto. Am Mittwoch bin ich mit
Dr. Rohrmann fest verabredet. Könnte meine Glückswoche werden, erst Claudia und dann der Studienplatz.
* * *
9
Bruno sitzt mit Carla im Dorfwirt. Er hätte gar nicht damit gerechnet, dass sie wirklich mit ihm zum Essen geht, nachdem er ihr schon "Gute Nacht" gewünscht hatte. Ihr Beruhigungsmittel hat wohl nicht gewirkt.
"Was hat dir denn dein Dr. Kurz-Mahler gegeben?"
"Der heißt Dr. Curtius-Moser und ist ein hervorragender Arzt, du Schandmaul. Was hast du mir denn nun Spannendes zu berichten?"
Während sie noch lustlos in ihrem Essen herumstochert, ist er längst fertig und berichtet von seinen Neuigkeiten mit dem Busfahrer. Sie hört aufmerksam zu, aber sie findet keinen Trost oder auch nur neue Hoffnung in dieser Variante.
"Wo sollen sie denn sonst hingegangen sein? Leni schwört, dass sie zum Gletscher hoch sind. Sie hat sie in den Bus steigen sehen. Und wer soll denn der geheimnisvolle dritte Mann sein? Die von der Bergwacht wollen nur von ihrer Unzulänglichkeit ablenken. Die geben sich doch gar keine Mühe, meine Eltern zu finden. Vielleicht sind beide schon längst tot. Vielleicht haben sie sie auch schon gefunden und wollen es mir nicht sagen. Die haben doch Angst, dass ihre Unfähigkeit von mir an die große Glocke gehängt wird. Aber die werden sich noch wundern, ich habe schon unseren Familienanwalt benachrichtigt!"
Mit diesen letzten Worten, die sie wie zu sich selbst spricht, sammelt sich das Wasser in ihren Augen. Carla ist echt am Ende, sie tut ihm unendlich leid und er würde sie gerne in den Arm nehmen, doch schon bei der Begrüßung hat er ihre Verkrampfung gespürt. Sie lässt keinen an sich ran, auch nicht ihn.
"Pass auf Carla, morgen früh gehe ich zur Bergwacht, um mit dem Einsatzleiter Hermann Gleyer zu reden. Der schläft jetzt, beginnt aber morgen früh um 8:00 Uhr seinen Dienst. Von dem erfahre ich, wie und wo ich den Busfahrer finde. Dann werde ich dich benachrichtigen und wir können gemeinsam mit ihm reden. Ist das nicht das Beste?"
"Morgen, morgen, immer mehr Zeit verstreicht und wir haben keine Ahnung, nicht mal eine Spur. Weißt du, wie lange man da draußen in der Kälte überleben kann? Ich rede jetzt noch einmal mit der Polizei. Der Chef von denen wohnt auch im Hotel. Eigentlich kommt er aus Hall, will aber nicht immer hin und her fahren. Du kannst ja bis morgen warten, sind ja nicht deine Eltern."
Sie steht auf und geht grußlos.
Netter Abend. Aber die Frage ist wirklich zu beantworten, wie lange kann man da draußen aushalten? Man hört ja immer wieder davon, dass Menschen durch glückliche Umstände tagelang überlebt haben. Aber was sind schon glückliche Umstände? Haben wir die?
Er bestellt sich noch einen Espresso, einen Grappa und bittet um die Rechnung. Die junge Kellnerin schaut etwas verwundert auf Carlas Teller, von dem so gut wie nichts gegessen wurde.
"War es nicht gut?"
"Doch, keine Sorge, meiner Frau geht es nur nicht so gut, sie hat ein wenig Fieber."
Meine Frau ist gut...
Auf dem Heimweg geht ihm die Geschichte mit Carla durch den Kopf.
Wenn das hier vorbei ist, muss ich mit ihr darüber reden. So geht es jedenfalls nicht. Das ist keine Beziehung, das ist schlechter als gar nichts. Bei aller Rücksicht auf ihr Schicksal, ich bin schließlich auch noch da. Aber scheinbar bedeute ich ihr nicht wirklich etwas. Das zeigt die derzeitige Stresssituation klar und deutlich. Normalerweise müsste sie sich doch freuen, dass sie jemanden an ihrer Seite hat, der ihr helfen will. Vielleicht helfe ich auch nicht genug? Sollte ich noch heute Abend versuchen, den Busfahrer...?"
Er verwirft den Gedanken sofort wieder, erstens weiß er ja nicht wie der heißt und wo er wohnt und zweitens verspürt er keinen richtigen Antrieb. Carla glaubt doch sowieso nicht, dass das eine richtige Fährte sein könnte. Er findet einen Parkplatz direkt an der Treppe, die zum Hauseingang führt. Beim Aussteigen wirft er einen Blick in Richtung Kuhstall. Da brennt Licht, also ist Hans noch bei seinen Kühen. Er hat ihn noch gar nicht gesehen, seit er hier ist. Na vielleicht trifft man sich ja heute noch, was gleichsam bedeutet, dass er sich noch in den Aufenthaltsraum setzt.
Er geht kurz nach oben in sein Zimmer, zieht Jacke und Schuhe aus, steigt in seine Latschen und verlässt den Raum wieder. Dann geht er doch noch einmal zurück, kramt in seinem Rucksack, der noch gar nicht richtig ausgepackt ist, holt eine Flasche Chianti Riserva heraus und geht nun endlich, mit der Flasche in der Hand, wieder hinunter. Im Aufenthaltsraum, der auch Frühstücksraum ist, ist es dunkel, niemand da. Irgendwer hat aber das Radio angelassen. Er knipst das Licht an, dann sucht er und findet einen Korkenzieher. Er öffnet vorsichtig die Flasche und bindet um ihren Hals eine gefaltete weiße Serviette, um Rotweinflecken auf der Tischdecke vorzubeugen. Alte Erfahrungen mit Anna. Dann füllt er sich ein Glas ein und nimmt in seiner Lieblingsecke Platz. Es ist 20:30 Uhr und jeden Augenblick müssen Nachrichten kommen. Er ist gespannt, ob sie etwas über die Weißensees bringen werden.
Die Nachrichten gehen sogar sehr ausführlich auf den Fall ein. Allerdings gibt es für ihn nichts Neues zu hören. Auf einen Hinweis mit dem Busfahrer hofft er vergebens, kein Wort darüber. Die einzig neue Information kommt durch einen gewissen Magister Ludwig Magreiter, der sich wie ein Wahlkämpfer sehr bemüht, deutlich zu machen, mit welchem "heldenhaften und unermüdlichen Einsatz" alle Rettungskräfte ihr Möglichstes tun und noch mehr..., selbstverständlich nur auf seine persönliche Intervention hin!
Da wird ja Carla froh sein, dass es dich gibt, du Magister, du.
Er lauscht dem Wetterbericht. Es bleibt tagsüber recht mild aber etwas unbeständig und über 1500 m kann es schneien, die Nacht bleibt kalt mit Temperaturen unter –5 Grad.
10
Bruno hat sich gerade noch ein Glas eingegossen, da öffnet sich vorsichtig die Tür und Hans schaut um die Ecke.