Zwielicht Classic 13. Michael Schmidt

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Zwielicht Classic 13 - Michael Schmidt

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bezweifelte Gundi jedoch, ob sie den gestrigen Abend als gelungen bezeichnen sollte. Nicht nur ihr Kopf, sondern auch ihr Rücken schmerzte nach den Verrenkungen auf der Küchenbank, als hätte sie ein Rodeo bestritten. Und wenn sie dieses Biest sah, das Lasse von der Party mitgebracht hatte, wünschte sie, der Junge hätte den Abend vor dem heimischen Fernseher verbracht. Argwöhnisch beäugte Gundi die schwarz-orange gemusterte, etwa handtellergroße Vogelspinne, die in ihrem Terrarium hockte und pelzig wie ein Flokati aus einem Horrorkabinett aussah. Der pralle Hinterleib glich einer zuckenden Beule. Gemächlich streckte die Spinne ein borstiges Bein vor. Gundis Magen rebellierte.

      Auch Joscha betrachtete den neuen Mitbewohner mit sichtlichem Unbehagen. „Hättest du nicht vorher fragen können, ob Mama und ich mit einem Haustier einverstanden sind?“, knurrte er.

      „Aber Papa!“ Lasses Stimme bebte vor Empörung. „Pascals Mutter hat gesagt, wenn die Spinne nicht im Laufe von drei Tagen verschwunden ist, bringt sie sie um. Das hat Pascal uns gestern erzählt. Und außer mir wollte niemand das Vieh mitnehmen. Alle hatten Angst, dass es zu Hause Zoff gibt.“

      Gundi warf Joscha einen hilflosen Blick zu. Natürlich: Als überzeugte Greenpeace-Aktivisten hatten sie ihrem Kind stets eingetrichtert, allen Lebewesen mit Respekt zu begegnen. Ameisen werden nicht aus Spaß zertreten, Käfer trägt man nach draußen, statt sie zu töten, jedes Tier hat seinen Nutzen und so weiter. Die verletzte Amsel vom Spielplatz hatten sie gemeinsam mit Lasse ebenso liebevoll gepflegt wie das halbwahnsinnige Meerschweinchen, das ein Kollege von Joscha nicht mehr haben wollte. Aber hätte ihr Sohn statt einer Vogelspinne nicht ein putziges Welpchen oder Kätzchen retten können? Um ehrlich zu sein, Gundi konnte durchaus verstehen, dass Pascals Mutter dieses Ungetüm nicht tagein, tagaus um sich haben wollte. Aber solch ein Theater zu veranstalten … Das war typisch für diese Prosecco schlürfende Edelzicke! Nein, Gundi würde ihrem Grundsatz treu bleiben, dass jedes Tier, egal ob schön oder nicht, Achtung verdiente. Sie zwang sich zu einem Lächeln.

      „Hat deine neue Freundin schon einen Namen?“

      „Klar. Frau Birger. Wie unsere Sportlehrerin.“ Lasse grinste. „Weil sie genauso behaarte Beine hat.“

      Eine neue Schmerzwelle flammte durch Gundis Nacken, als sie nach der Brötchentüte griff. Nein, sie wollte jetzt keine Grundsatzdiskussion mit ihrem pubertierenden Sprössling führen – weder über Gender-Klischees, noch darüber, ob eine exotische Vogelspinne wirklich ein geeignetes Haustier für einen siebzehnjährigen Knaben war.

      Vier Wochen waren seit Frau Birgers Einzug vergangen. Angewidert betrachtete Gundi das Heimchen, das in der Pinzette zappelte. Lasse hatte ihr genau gezeigt, wie man Frau Birger fütterte, ehe er zum dreiwöchigen Schüleraustausch nach Frankreich aufgebrochen war. Gundi war dankbar, dass Spinnen bloß alle paar Wochen frische Nahrung brauchten, sodass sie diese Prozedere nur einmal durchführen musste. Noch selten hatte sie sich so geekelt. Vorsichtig schob sie die vordere Wand des Terrariums beiseite. Frau Birger, die zusammengekauert vor ihrer halbierten Kokosnussschale kauerte, spreizte die Beine. Es sah aus, als ob eine fleischige Blüte sich entfaltete. Dann schien sie plötzlich beleidigt aufzustampfen. Fussel wirbelten auf. Ein brennender Schmerz durchzuckte Gundis Hand. Sie schrie auf und ließ das Heimchen fallen. Sofort sauste es unter den Nestfarn. Frau Birger krabbelte in ihre Kokosnuss. Ihr kahler Hinterleib glänzte wie poliert. Gundi umklammerte ihr Handgelenk. Nun hatte diese Höllenkreatur sie bombardiert! Auch das hatte Lasse ihr erklärt: Wenn eine Vogelspinne sich bedroht fühlte, beschoss sie den vermeintlichen Angreifer mit Reizhaaren von ihrem Hinterleib.

      „Es ist nicht schlimmer oder gefährlicher, als eine Brennnessel anzupacken“, hatte er gesagt. „Außerdem passiert es dir bestimmt nicht. Mich hat Frau Birger noch nie bombardiert. Dazu ist sie viel zu faul.“

      Gundi presste die Lippen aufeinander. Verdammt, es gab keinen Grund, sich so anzustellen! Wenn eine Katze sie gekratzt hätte, würde sie ja auch grinsend darüber hinwegsehen. Aber die Vorstellung, dass nun winzige Spinnenborsten in ihrer Haut steckten, war mehr als widerlich.

      Aus Lasses Zimmer dröhnte Musik. Seit der Frankreich-Tour hörte der Junge dauernd Metal-CDs, die seine Austauschpartnerin ihm gebrannt hatte. Insgesamt war die Fahrt ein voller Erfolg gewesen: Mit seiner Gastfamilie hatte Lasse sich bestens verstanden und von den Wanderungen und Besichtigungstouren schwärmte er genauso enthusiastisch wie von dem Abend in der Dorfdisco. Das war mehr, als man von einem Siebzehnjährigen erwarten konnte, fand Gundi. Nun planten Lasse und seine Freunde sogar, in den Sommerferien erneut gemeinsam nach Frankreich zu fahren. Ja, der Junge wurde sehr schnell selbständig …

      Leise summend stieg Gundi die Treppe zu ihrem Büro hinab. Ein komplettes Landhaus wollte die neue Kundin mit ihrer Hilfe umbauen! Wenn ihr Architekturbüro weiter so florierte, konnte Joscha tatsächlich nächstes Jahr seine Stelle aufgeben und bei ihr einsteigen. Gundi wusste ja, wie sehr er seine jetzige Arbeit hasste! Protzige Firmen- und Regierungsgebäude entwerfen in Ländern, wo viele Menschen nicht mal ein Dach über dem Kopf hatten … Außerdem waren die ständigen Marathon-Meetings, die Reisen um den halben Erdball und die Zusammenarbeit mit einem cholerischen Chef Gift für Joschas zu hohen Blutdruck. Mochte Joscha auch weiterhin seine üblichen Scherze reißen, man bekäme eben automatisch Herzklopfen, wenn man mit einer so aufregenden Frau wie Gundi verheiratet war – sie wusste, dass seine aktuellen Blutdruck-Werte durchaus Anlass zur Sorge boten. Deswegen hoffte sie, dass sie bald gemeinsam von ihrem kleinen Familienbetrieb mit persönlichen Beratungen in entspannter Atmosphäre leben konnten.

      Gundi schloss die Tür zu ihrem Büro auf. Im nächsten Moment prallte sie entsetzt zurück. Mitten auf dem Schreibtisch stand Frau Birgers Terrarium. Der achtbeinige Krabbler lag wie ein aufgeblähter Ball direkt an der Scheibe.

      „Lasse!“ Gundi stürmte zurück in die Wohnung. Der Himmel mochte wissen, was im Kopf einer Pubertaners vorging, aber eins stand fest – das war zu viel! Sie riss die Kinderzimmertür auf. „Auch wenn du es rasend witzig findest, meine Kunden mit diesem Untier zu erschrecken, ich …“

      Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Auf der Kommode befand sich wie gewohnt das Terrarium. Gleich Tentakeln ragten Frau Birgers Beine aus der Kokosnusshöhle.

      „Gibt’s Stress?“ Lasse, der im Bett lag und in einem Comicheft blätterte, hob den Kopf.

      „Nein, ich dachte … ich … ach, egal.“

      Gundi wandte sich um und erstarrte. Unter dem Flurregal funkelte ihr das Terrarium höhnisch entgegen. Sie rang nach Luft. Dann erkannte sie, dass es sich lediglich um den Werkzeugkasten handelte.

      Benommen stolperte Gundi zurück ins Büro und schaltete mit zitternden Fingern das Licht ein. Der Schreibtisch sah aus wie immer. Hatte sie vorhin im Halbdunkel das Modell eines Penthouse-Apartments für das Terrarium gehalten? Ja, wahrscheinlich. Gundi ließ sich auf den Ledersessel plumpsen und atmete tief durch. Vermutlich waren einfach ihre Nerven überreizt. Seit sie damals Frau Birger füttern musste, hatte sie sowieso ständig Alpträume von dem vermaledeiten Vieh. Kein Wunder: Wenn Lasse und seine Kumpels ihre Frankreich-Pläne wahrmachten, stand ihr in den Sommerferien dieser Horror erneut bevor. Und gestern war ihr Sprössling mit einem Werbeprospekt für ein High-School-Jahr in den USA nach Hause gekommen. Bei der Vorstellung, dass sie womöglich zwölf Monate lang die Spinne versorgen musste, packte Gundi das kalte Grauen. Nein, eindeutig, Frau Birger musste fort!

      „Und du bist sicher, dass Alex sich gut um Frau Birger kümmert?“ Gundi beäugte die Spinne, die unruhig auf und ab marschierte. Die mächtigen Kieferwerkzeuge mahlten. Ganz egal, wie scheußlich das Tier aussah – es tat ihr leid. Klar, Spinnen hingen nicht an ihren Besitzern wie Hunde oder Katzen. Aber trotzdem, es waren lebende Wesen! Bestimmt merkte Frau Birger, dass sie ständig von einem Ort zum nächsten geschafft wurde. Ob sie so etwas wie Furcht empfand, wenn man sie fortbrachte?

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