PROJEKT KUTAMBATI. Michael Stuhr

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PROJEKT KUTAMBATI - Michael Stuhr

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So war Seidel gezwungen, dieses zweitklassige Haus zu wählen. Immerhin gab es hier aber Air-Condition und sogar einen kleinen Konferenzraum.

      "Warum kommst du nachher nicht einfach nach?" Fischer steckte den Kopf aus der offenen Autotür.

      Wallmann hob kurz die Schultern. "Ich bin einfach zu kaputt. Außerdem weiß ich nicht, wie lange das mit Seidel dauert. Bin ja mal gespannt, was der verdammte Haarspalter von mir will. Jetzt hau endlich ab, bevor er dich noch sieht!"

      "Zum Hafen!" kommandierte Pavarone vom Rücksitz aus. "Ins Paradiso!"

      Sanft setzte sich das Taxi in Bewegung.

      "Bis morgen um acht am Airport!" Fischer schlug die Tür zu und lehnte sich zurück.

      "Martin! - Du heißt doch Martin, oder?"

      "Ja."

      "Heute Nacht zeigt Papa Franco dir Mombasa! Bleib nur schön an meiner Seite, dann passiert dir auch nichts."

      Fischer lächelte still. So ganz neu war er auch nicht mehr auf der Welt, und er hatte auch schon so einige gefährliche Situationen gemeistert. In Bombay zum Beispiel war er den Knüppelschlägen und Messerstichen einer Straßenräuberbande nur dadurch entgangen, dass er seinen Verfolgern im Laufen eine Handvoll Geldscheine vor die Füße geworfen hatte.

      Und jetzt meinte Pavarone, ihn beschützen zu müssen ...

      Vorsichtig lenkte der Fahrer den großen Austin um ein paar Schlaglöcher herum. Pavarone, total übermüdet, war nach seinen letzten Worten sofort eingeschlafen und pendelte auf dem Rücksitz hin und her.

      Immer tiefer schlängelte sich das Taxi in den Stadtkern von Mombasa hinein. Von der Asphaltstraße war der Fahrer schon lange abgebogen. Das schwache, gelbliche Scheinwerferlicht schnitt immer neue Szenen aus dem abendlichen Leben der Hafenstadt. Spielende Kinder hockten auf dem trockenen Lehm der Fahrbahn. Grosse Kehrichthaufen lagen an den Straßenecken zur Abholung bereit. Ganze Familien saßen im Schein von Petroleumlampen vor den Häusern zusammen. In den Hofeingängen verrichteten Menschen aller Altersgruppen ohne jede Scheu ihre Abendwäsche. Kleine Kinder wurden in großen Zinkwannen am Straßenrand gründlich abgeschrubbt. Die Frauen hatten die am Morgen kunstvoll geflochtenen Frisuren aufgelöst und die tagsüber üblichen bunten Kittel abgelegt. In die traditionellen großen Tücher gehüllt, saßen sie in kleinen Gruppen zusammen und besprachen wohl die Ereignisse des Tages. Kleine Verkaufsstände aus rohem Holz gab es an jeder Straßenecke. Diese kleinen Shops, vollgepackt mit Waren aller Art, wurden niemals abgeräumt oder gar geschlossen. An sieben Tagen in der Woche wurde der Stand von der dazugehörenden Familie 24 Stunden lang offengehalten. Brauchte jemand um vier Uhr morgens Nescafé, Zigaretten oder eine Taschenlampe, so war das kein Problem. Er musste nur an die nächste Ecke gehen und den Verkäufer wecken.

      Überhaupt, Taschenlampen! - Ganz Mombasa war voll davon. An jedem Verkaufsstand hingen sie in dichten Trauben. Silbrig glänzten die Hülsen im Scheinwerferlicht. Die Händler beleuchteten ihre Ware selbstverständlich mit einer Taschenlampe, wenn ein Kunde kam. Fast jeder Passant suchte sich seinen Weg durch die Dunkelheit der Stadt mit einer Taschenlampe. Ob Hausfrau oder Händler, Halbwüchsiger oder Polizist, alle benutzten das gleiche verchromte Modell aus Hartplastik.

      Wo das Licht des Austin nicht hinreichte, sah es aus, als tanzten die Lichter planlos - und nur zu Fischers Belustigung - auf der Strasse herum. Sobald das Licht der Scheinwerfer die Szene erhellte, wurde jedoch offenbar, dass das nächtliche Treiben der Irrlichter durchaus zielgerichtet und sinnvoll war. Einkäufe wurden getätigt, Kinder gesucht, Verhandlungen geführt und Verwandte nach Hause gebracht.

      Hinter jeder Taschenlampe steht ein Mensch, der seinen Weg durch die Dunkelheit des Lebens sucht. Unwillkürlich grinste Fischer bei diesem Gedanken. Aber dann wurde er ernst. Die schwarzen Gesichter, die manchmal über den hellen wandernden Punkten auftauchten, gehörten ja wirklich zu menschlichen Wesen. Und das Leben hier war zweifellos sehr hart. Für kurze Zeit war aller Spott und Zynismus aus Fischers Gedanken verschwunden. Mit großer Sympathie schaute er auf die vielen Menschen auf den nächtlichen Straßen, die sich durch das vorbeifahrende Taxi nicht im Geringsten stören ließen.

      Langsam änderte sich das Bild:

      "Coca Cola" Die ersten Plastikschilder an den Häuserwänden zeigten, dass hier die heiße Meile begann. Genauso flach, genauso grau wie die meisten Wohnhäuser, waren die zunächst vereinzelt auftauchenden Kneipen. Kleine Bars ohne Namen, nur durch die schwache Innenbeleuchtung zu erkennen, wurden häufiger. Schließlich verdrängten die Vergnügungsbetriebe die anderen Gebäude völlig. Auch die Hinterhöfe waren nun matt erleuchtet, und aus einzelnen Schankstuben drang die Musik von Batterieradios. Die besseren Häuser hatten Moskitogitter vor den Fenstern. Da die Türen aber sperrangelweit aufstanden, war der Nutzeffekt denkbar gering.

      Die Besucher dieses Viertels waren um diese Zeit überwiegend von dunkler Hautfarbe. Die meisten weißen Touristen saßen zu dieser Stunde schon wieder in den kühlen Hotelbars und Lodges.

      Mit einem leichten Ruck hielt das Taxi mitten auf der Straße. Pavarone war sofort aufgewacht; stellte sich aber schlafend, bis Fischer den Fahrpreis bezahlt hatte.

      "He Franco! Aufwachen!"

      "Was ist denn?"

      "Franco, aufwachen! Wir sind da!"

      "Habe ich geschlafen?" Pavarone rieb sich umständlich die Augen.

      "Ja, komm jetzt!"

      "Ah, Martin - du bist's!"

      "Ja, ich bin´s! Los Franco, zeig mir dein Paradiso!"

      "Hetz doch nicht so! Gianna hat immer eine offene Tür für mich und meine Freunde."

      Tollpatschig kam Pavarone aus dem Auto gekrochen.

      "Hol mich um fünf aus dem Paradiso!", befahl er dem Fahrer. Der hatte inzwischen aber sowieso schon den Motor abgestellt und wartete mitten auf der Fahrbahn auf den nächsten Passagier. Sollte niemand ihn brauchen - und falls kein anderes Auto vorbei wollte - würde er auch um fünf noch hier stehen. Benzin war zu kostbar, um ohne Passagiere auch nur hundert Meter weit zu fahren.

      Pavarone steuerte den finstersten aller Hofeingänge an. Die Schwarzen, die dort plaudernd zusammenstanden, verstummten und bildeten eine schmale Gasse, um die beiden Weißen durchzulassen.

      Fischer stolperte hinter Pavarone her. Der enge Durchgang war so finster, dass er sich sofort wünschte, eine Taschenlampe dabeizuhaben.

      "Auch ich bin ein Suchender -" Da waren sie ja wieder, die lieben alten Zynismen, die ihn jedes Mal retteten, wenn er weich zu werden drohte.

      Sein Fuß trat auf etwas Weiches, das unter seinem Tritt federnd nachgab. Sofort zuckte er zurück. Aber zu spät! Ein gellender Schrei und ein paar kräftige Stöße in die Seite klärten ihn darüber auf, dass er wohl einen Schläfer in der Nachtruhe gestört hatte.

      Schnell holte er ein paar Shillinge aus der Tasche und hielt das Geld vor sich in die stockfinstere Nacht. Geschickte Finger pickten die Münzen flink aus Fischers offener Hand.

      "Martin?" Franco war zurückgekommen. "Was ist mit dir? Kannst du etwa im Dunklen nichts sehen? Wenn man schon in anderer Leute Schlafzimmer herumrennt, sollte man wenigstens nicht mitten ins Bett treten. Sei froh, dass du nicht gerade pinkeln musstest - sonst hätte man dir jetzt schon den Piephahn umgedreht."

      Fischer

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