Töchter aus Elysium. Werner Siegert

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Töchter aus Elysium - Werner Siegert

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irgendetwas hinter ihm. Blitzschnell drehte er sich um und schoss blindlings eine Salve in den hinter ihm liegenden Flur. Dann hörte man nur noch das Klicken in seiner Waffe. Das Magazin war leer. Zwei Polizisten traten von beiden Seiten aus Zimmertüren, schlugen Hugo die Waffe aus der Hand. Er taumelte und fiel hinterrücks die Treppe hinunter, Hauptkommissar Velmond mit sich reißend, den er sofort an der Gurgel zu packen versuchte. Der aber rammte sein Knie mit voller Wucht zwischen Hugos Beine. Mit einem Aufschrei ließ dieser ihn los. Ein Beamter, der sich an der Haustür bereit gehalten hatte, bekam ihn an den zappelnden Füßen zu packen und zog ihn raus auf den gepflasterten Hof. Nun allerdings klickten die Handschellen.

      „Hugo oder wie immer Sie wirklich heißen, das hätten Sie alles vermeiden können. Was in den letzten Sekunden zusammengekommen ist, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Tötungsversuche und so weiter und so weiter, jetzt wird es erst richtig schlimm für Sie! Abführen!“

      Nachdem Hugo in Gewahrsam genommen war, konzentrierten sich die Beamten auf die möglichen Waffenverstecke. Sie wurden schnell fündig. Auf dem Dachboden der Stallungen stießen sie auf ein umfangreiches Waffenarsenal, ausschließlich Kriegswaffen der deutschen Armee. Ganze Kisten mit Munition, Handgranaten, Panzerfäuste. Wenn der Blitz mal in dieses Haus eingeschlagen hätte, nicht auszudenken, was dann passiert wäre. Eine Sondereinheit wurde angefordert, um das gefährliche Gut zu bergen und abzutransportieren.

      Velmond durchsuchte in aller Eile Hugos Wohnung. Er fand in der Schublade eines alten, wackligen Küchentisches ein paar Schreibhefte und alte Kalender. Dazu ein Sparbuch - noch auf Deutsche Mark lautend. Voller Erstaunen stellte er fest, dass Hugo in fast allen Zimmern Regale voller Bücher bis an die Decke hatte.

      Das Hinterhaus wurde versiegelt. Im Haupthaus summte es wie in einem Bienenstock. Die Schießerei, die klirrenden Fensterscheiben, die in die Wände geballerten Geschosse, die Einsatzwagen, die jetzt rasch mit Blaulicht und Sirene aus dem Wald kamen, das war ja wie im Krieg. Aber so schnell, wie der Konvoi vorgefahren war, so schnell setzte er sich wieder in Bewegung. Nur eine kleine ‚Task Force’ blieb zurück. Velmond war sich dessen bewusst: Dies war erst - wie man zu sagen pflegt - die halbe Miete.

      Eigentlich empfand Velmond Mitleid mit diesem Mann, so wie er Mitleid mit den vielen, unzählig vielen Hugos in dieser Gesellschaft empfand. Mit jenen, die die Drecksarbeit verrichten und dann noch ihren Kopf dafür hinhalten mussten. Oh ja, auch er selbst fühlte sich manchmal als Hugo. Und wenn er an die Soldaten in Afghanistan dachte, waren sie nicht alle Hugos?

      Am nächsten Tag musste er ihn vernehmen, zusammen mit Elsterhorst und seiner Assistentin Möbius. Jetzt machte Hugo einen äußerst entspannten Eindruck, so als ob er froh wäre, dass nach viel zu langer Zeit eine qualvolle Epoche für ihn zu Ende gegangen wäre. Velmond übernahm die erste Runde:

      „Ihr Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Wohnsitz?“

      „Herr Hauptkommissar, mein bürgerlicher Name ist Franziskus Faller. Oder so ähnlich. Franz oder Franziskus. Jedenfalls muss das noch irgendwo registriert sein. Damit endet aber schon mein Wissen. Ich bin ein Bankert, vermutlich ein sogenanntes Pfaffenkind, Fehltritt eines Pfarrers oder Kaplans, abgeschoben in ein von Nonnen geführtes Waisenhaus. Vermutlich geboren 1948, Nachkriegskind. Einen Geburtstag habe ich nicht. Nur Namenstag. Wo ich wohne, wissen Sie ja!“

      „Wann sind Sie in das Nonnenkloster St. Agatha gekommen?“

      „Nach der Schule, also wohl mit 14. War eine Befreiung!“

      „Wieso? Welchen Schulabschluss haben Sie?“

      „Na ja, es ging sehr streng zu. Wir Pfaffenbankerts mussten wohl die Züchtigungen erleiden, die die Nonnen eigentlich unseren Erzeugern oder deren Liebchen zugedacht hatten. Es gab die unschuldigen Kindlein - und uns. Heute würde man sagen, ich habe einen Hauptschulabschluss. Ein Zeugnis habe ich nicht.“

      „Und dann, Herr Faller? Erzählen Sie mal, wie den Ihr weiteres Leben ablief!“

      „Also wissen Sie, Herr Hauptkommissar, dieses ‚Herr Faller’ klingt so, als sei da noch ein anderer Mann im Raum. Dann schon eher ‚Franz’ oder lassen Sie’s beim ‚Hugo’. Also im Kloster oder vielmehr in der Ökonomie kam ich in die Lehre beim Fridolin. Der hieß auch nicht so, wurde aber von allen so genannt. Wissen Sie, unsereins ist nicht ‚Herr Soundso’, sondern eben Fridolin oder Hugo. Fridolin war ein Kriegsheimkehrer. Er erzählte mir oft von den wirren Tagen bei Kriegsende. Ende des Krieges diente das Kloster als Lazarett. Dann war es wohl ein Fluchtort versprengter Soldaten. Als die Amis kamen, hat Frido sich in dem verlassenen Gemäuer versteckt. Die Nazis und die Soldaten waren geflohen. Er hat dann im Park, im See, in den Ställen die Waffen und den ganzen Kram aufgesammelt. Hat er mir erst viel später gezeigt.

       Früher, zu Zeiten der Nonnen, gab es ja noch Kühe, Schweine und Hühner sowie ein Pferd für den Wagen. Nachdem der Fridolin verstorben war, wurden die Tiere abgeschafft. Erst das Pferd, dann die Schweine, dann die Kühe. Jetzt gibt es nur noch meine Hühner.

       Vom Fridolin habe ich alles gelernt. Wie man Stromanschlüsse legt, Wasserleitungen repariert, undichte Dächer. Dann natürlich alles, was im Garten zu tun ist. Die Nonnen lebten ja fast nur von dem, was die Ökonomie, der Garten und der Wald so her gab. Fischen habe ich gelernt, denn freitags gab’s ja nur Fisch oder, wenn wir nicht genügend Fische gefangen hatten, auch mal gar nichts. Auch für uns nichts.

      Na ja, und dann war Fridolin auch der Totengräber .... Sie wissen ja, der Herr dort (er zeigte auf Elsterhorst) war ja mehrmals auf dem alten Friedhof. Als Fridolin starb, der war lange Zeit schwer krank, habe ich dann alles allein gemacht.“

      „2005 ist ja dann das Nonnenkloster aufgelöst worden. Wissen Sie warum? Und wie ging es dann weiter?“

      „Steht mir ja nicht zu, Herr Hauptkommissar, aber ich hätte die Nonnen schon länger zum Teufel gejagt. So ein Haufen Weiber, die nichts zu tun haben außer beten, Religionsunterricht geben, andere traktieren, streiten, mit sich selbst nicht zurecht kommen und das dann an anderen und an mir vor allem auslassen. Ein paar sind weggelaufen. Merkwürdig viele sind gestorben. Ich vermute mal, die haben sich umgebracht. Weil ich die nicht auf dem Friedhof, sondern im Wald dahinter vergraben musste, in nicht geweihtem Boden. Zwei habe ich auf dem Hof aufgekratzt. Die haben sich angeblich aus dem dritten Stock gestürzt!“

      „Wieso angeblich? Sie haben Tagebuch geführt, sagten Sie. Sind das diese Schulhefte, die ich im Küchentisch sichergestellt habe?“

      „Ob die vollständig sind, weiß ich nicht. Angeblich? Na ja, ich bin ja kein Kriminaler wie Sie, aber es könnte auch sein, dass die schon tot waren, als sie aus dem Fenster entsorgt wurden! Ich durfte ja das Haus nur zum Gottesdienst am Sonntag betreten, und nur in einer kleinen Nebenkammer. Und wenn mal wieder was kaputt war. Dann musste ich so eine Art Kutte überziehen, bodenlang. Ich wusste daher, dass im dritten Stock eigentlich keine Zellen waren. Nur ein Zimmer, eingerichtet wie ein Gästezimmer. Da habe ich mal eine Scheibe auswechseln müssen.“

      „Und wie ging es dann weiter?“

      „Eines Tages waren die Nonnen weg. Alle mit einem Bus. Das Haus war leer. Die Schlüssel lagen in der Halle auf dem Tisch. Ich dachte erst, die machen einen Ausflug. Aber die kamen nicht zurück. Ich habe mich ganz vorsichtig durchs Haus geschlichen. Niemand da. Das war vielleicht gespenstisch. In der Kapelle stand der Tabernakel offen. Das Ewige Licht flackerte noch. In den Zimmern lag noch allerhand Kram. Die Betten nicht gemacht. Also da gab es ja nur so Wolldecken. Im Keller fand ich noch Vorräte, von denen ich mich einige Zeit ernähren konnte. Die Bücher aus der Bibliothek habe ich an mich genommen, also gerettet. Sollte ja nichts wegkommen.“

      „Hat

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