Töchter aus Elysium. Werner Siegert
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Natürlich hatte Elsterhorst inzwischen seinen Kollegen Velmond über die Geschehnisse informiert, der sich auch gleich mit mehreren Beamten und Beamtinnen und der IT-Truppe in mehreren Fahrzeugen auf den Weg begeben wollte.
„Absolute Ruhe“ hatte die Ärztin dem Maurice Elsterhorst verordnet. Jetzt musste er seiner Freundin Judith per Handy berichten, er sei statt im Elysium in einem Inferno gelandet. Lag es an der leicht gestörten telefonischen Verbindung? Oder hatte er an ihrem Tonfall verspürt, dass ihr diese veränderte Situation sehr entgegenkäme? „Da wird sich Rinaldo aber freuen!“ war ihre erste Reaktion. „Natürlich mache ich mich gleich auf den Weg! Rinaldo ist ja ohne sein Herrchen völlig apathisch!“ Ehe Elsterhorst etwas entgegnen konnte, war die Verbindung abgerissen.
Hugo blieb verschollen. Dabei wäre der nach Aussagen der Bewohnerinnen der einzige, der die Telefone wieder funktionsfähig machen könne. Dass er mit den Flüchtigen unter einer Decke stecken könne, wurde heftig bezweifelt:
„Der mit der Chefin in einem Auto, sie mit einem Mann, niemals!“
Wenigstens gelang es Elsterhorst, das Küchenpersonal wieder soweit zu beruhigen, dass das Mittagessen zubereitet werden konnte. Vorräte waren noch genügend vorhanden. Zwei oder drei Tage käme man wohl über die Runden. Dann müsse man einkaufen, aber von welchem Geld?
Die Apartments der Vorstandsdamen waren doppelt verschlossen; einmal mit den alten Schlüsseln aus der Klosterzeit, sodann mit Sicherheits-Sperrriegel-Schlössern. Wollte man mit brachialer Gewalt einbrechen, müsste man immense Schäden in Kauf nehmen. Es bliebe nur, den Schlüsseldienst dieser Spezialfirma zu beauftragen. Allerdings gäbe es noch eine Chance. Um den gesetzlichen Bestimmungen nachzukommen, wäre Hugo als sogenannter Sicherheitsbeauftragter benannt worden. Der müsse laut Gesetz über Schlüssel zu allen Räumen verfügen. Wo aber war dieser Hugo? Und wo hätte er in seiner Wohnung diese Schlüssel aufbewahrt?
Inzwischen war auch Hauptkommissar Velmond mit seinem Konvoi eingetroffen. Mit Elsterhorst und Frau Möbius zogen sich alle kurz in das Chefbüro zurück, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Es wurde ein Team gebildet, das sich nur um die Verfolgung der Flüchtigen zu kümmern habe: Feststellung des Kennzeichens aus einschlägigen Akten mit Hilfe der Frau Peters, Instruktion der Grenzübergänge etcetera. Die IT-Truppe machte sich sofort ans Werk, die Telefonkabel zu reparieren, neue Modems und Laptops zu installieren, um die Internet- und E-Mail-Daten abrufen zu können. Leider kannte Frau Peters nur wenige Passwörter, so dass noch weitere Spezialisten hinzugezogen werden mussten. Man war sich sicher, hier wertvolle Spuren aufdecken zu können.
Ein anderes Team unter wechselnder Leitung der beiden Hauptkommissare sollte die Vernehmung der Frauen vornehmen, die sich noch im Hause aufhielten. Das dritte Team wurde zur Bewachung aller Ausgänge sowie des näheren Umfeldes, also des Klosterhofs und der Ökonomieräume eingesetzt. Frau Möbius sollte die Schwestern versammeln und so etwas wie einen Schwesternrat bilden, der bis auf weiteres die Koordination aller Maßnahmen bezüglich des Sanatoriums übernehmen solle.
Mit Hilfe der Chefsekretärin wurden die wichtigsten Bankverbindungen eruiert. Die Telefonate wurden allerdings meist sehr schnell abgeblockt. Warum solle man Auskunft erteilen? Die Damen seien sicherlich nur vorübergehend außer Haus. Für alle Konten seien Passwörter und besondere Erkennungsinformationen vereinbart. Ohne diese keine Auskunft. Der Hinweis auf die tätige Mordkommission verfing nicht, da ja offenbar noch kein Mord aufzuklären sei. Man bitte um Verständnis. Auch bei der Femina Bank AG, für die zur Absicherung der Finanzierung sowohl der Renovierungen als auch des Sanatorium-Traktes erstrangige Hypotheken eingetragen waren, stieß man nicht auf Kooperationsbereitschaft.
Vor den Einzelvernehmungen wurden alle Bewohnerinnen in die alte Hauskapelle gebeten, die nach Auszug der Nonnen zu einem Gemeinschaftssaal umfunktioniert worden war. Erste Hinweise, das Betreten des Hauses sei Männern nicht gestattet, man fühle sich in den satzungsgemäß festgelegten Persönlichkeitsrechten aus Schwerste beeinträchtigt, konnte Hauptkommissar Elsterhorst mit seinem Hinweis auf Ermittlungen in einem Mordfall sowie einer lebensbedrohlichen Körperverletzung ersticken.
„Es geht hier nicht um Bagatellen, meine Damen. Es geht um Mord an einer illegal beschäftigten Ausländerin und um Frau Dr. Angela Berghoff, die mit lebensgefährlichen, schwersten Verletzungen auf der Intensivstation liegt, verübt von Führungskräften des Instituts!“
Ein Raunen erfüllte den hohen, pseudogotischen Raum. Ein Stimmengewirr erhob sich:
„Was haben wir damit zu tun?“ „Davon wissen wir überhaupt nichts!“ „Undenkbar - das muss ein Irrtum sein!“ „Wer hat Ihnen denn solche Bären aufgebunden?“ „Das sind wieder so typisch männliche Gewaltphantasien! Durch nichts bewiesen!“ „Das kann doch nur dieser Hugo gewesen sein!“ „Wer nicht hören will, muss fühlen!“
Noch mal setzte Elsterhorst zu einer energischen Zurechtweisung an:
„Sollten Sie, meine Damen, nicht kooperieren, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die uns vorliegenden Informationen bereits ausreichen, um das Institut und das Haus sofort zu schließen. Für diesen Fall kümmern Sie sich schon mal um ein Notquartier. Vom Ergebnis der Einzelvernehmungen wird abhängen, ob und inwieweit es zu einer Übergangslösung kommt. Das Institut ist nach der offensichtlichen Flucht des gesamten Vorstands führungslos und in Auflösung begriffen.“
Die Einzelvernehmungen trugen allerdings nicht zur Aufhellung der mutmaßlich kriminellen Ereignisse bei. Das Prinzip „Nichts Böses sehen, nichts Böses hören, nichts Böses sagen“ bestimmte den Grundtenor aller Äußerungen. Einigen der Vernommenen diente das Haus als Frauenhaus. Sie zahlten eine relativ hohe Miete im Verhältnis zum meist dürftigen Wohnkomfort, die von den Sozialbehörden überwiesen wurde. Sie mussten dafür allfällige Arbeiten verrichten, im Haus, in der Küche, in der Wäscherei und Reinigungsarbeiten im Sanatoriums-Trakt. Andere waren halbtags irgendwo draußen tätig.
Fazit: Alle wussten von rein gar nichts. Niemand hatte angeblich in der Fluchtnacht irgendetwas gehört oder bemerkt. Was ziemlich unglaubhaft wirkte; denn wie kann eine Flucht mit derartig logistischem Aufwand, Computer- und Aktenmitnahme, dazu sicherlich auch ein Riesengepäck persönlicher Habe in vier oder maximal fünf nächtlichen Stunden leise arrangiert werden? Waren denn tatsächlich alle Hausbewohnerinnen bereits um 22 Uhr in ihren Zimmern? Saßen nicht welche im Gemeinschaftsraum, wo der Breitband-Bildschirm und das Fernsehprogramm lockten? Wurden die Chefinnen von Mitwisserinnen gedeckt?
Es gab ja einige, die überzeugt waren, es handle sich gar nicht um eine selbstinszenierte Flucht, sondern um das Werk von rachsüchtigen Männern, und die Damen, sämtlich ausgewiesene Persönlichkeiten, würden jetzt in irgendwelchen Verliesen missbraucht. Nie und nimmer würden diese über jeden Zweifel erhabenen Frauen ihr Institut freiwillig im Stich lassen. Vielleicht stecke ja hinter allem dieser unheimliche Hugo. Das bewiese ja schon, dass er bisher nicht aufgetaucht sei.
Ehe der Schlüsseldienst die erstaunlich luxuriös eingerichteten Apartments der Vorstandsdamen geöffnet hatte, wurde sogar die Hoffnung geäußert, die Frauen seien ja gar nicht weg, sondern lägen nur mit K.O.-Tropfen betäubt in ihren Betten, und die Ganoven hätten dann den von Hugo mit langer Hand vorbereiteten Raubzug in aller Ruhe durchführen können. In den Apartments aber lagen keine betäubten Frauen. Vielmehr war auch hier alles Wertvolle verschwunden. Bei Frau Dr. Frost-Breitbusch fand man in ihrem Nachttisch eine Europakarte mit rot markierten Routen in die Schweiz und nach Dänemark.
Frau Peters wusste, dass ihre Chefin einen Bruder in Australien und eine Schwester in Dänemark habe. Mit beiden habe sie regelmäßig über Skype