Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf
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und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Als er größer wird, bekommen sie in der Schule Physik, Chemie, Biologie. Die Vorgänge in der Natur werden durch die Naturgesetze erklärt. Die Welt ist nicht von einem übernatürlichen Wesen geschaffen, sondern trägt ihre eigene Ursache in sich. Es geht auf der Welt allenthalben mit natürlichen Dingen zu; und ,natürlich' heißt, dass alles in der Welt den Naturgesetzen folgt, wie sie von der Naturwissenschaft erforscht werden. Sind schon so viele natürliche Vorgänge naturgesetzlich-rational erklärbar, dann scheint auch schon alles in der Welt rational erklärbar – und alle metaphysischen Spekulationen erübrigen sich! Der wissenschaftliche Naturalismus hat sich als allein gültige Weltanschauung durchgesetzt.
Trägt die Welt aber ihre Erklärung in sich, dann trägt sie wohl auch ihren eigenen Grund in sich und es braucht keinen ,ersten Beweger' mehr. Es ist albern, zu glauben, der Kosmos um uns herum könnte durch ein einziges übernatürliches Wesen erschaffen sein!
1953 entschlüsseln Watson und Crick das Erbmolekül DNS, den molekularen Bauplan der Lebewesen einschließlich des Menschen. Die Lebewesen sind biochemische Maschinen, schreibt der Nobelpreisträger Jacques Monod und bestätigt damit Lamettries materialistische Ansicht der Maschine Mensch. Auch der menschliche Geist ist eine Funktion der Maschine – eine Maschinenfunktion – und endet mit dieser Maschine; die Seele ist die Gesamtheit der Gehirnvorgänge, und endet mit dem Tod des Gehirns. Aus dem frühesten Weltalter scheint uns nichts übriggeblieben als einige triste Formeln des Betrugs. Man muss nur die Augen aufmachen, um das zu sehen. Das ist die naturalistische Identitätstheorie im Geist-Körper-Problem, die sich wissenschaftlich durchgesetzt hat. Schon vor dem Abitur ist er überzeugter Identist: ,Sie', Ihre Freuden und Leiden, Ihre Erinnerungen, Ihre Ziele, Ihr Sinn für Ihre eigene Identität und Willensfreiheit, schreibt Francis Crick 1994, – bei alledem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen. Lewis Carrolls Alice aus dem Wunderland hätte es vielleicht so gesagt: „Sie sind nichts weiter als ein Haufen Neurone.“ Diese Hypothese ist so weit von den Vorstellungen der meisten Menschen entfernt, dass man sie wahrlich als erstaunlich bezeichnen kann. Harry weiß es schon mit neunzehn.
Alle Empfindungen von Lust und Schmerz sind chemische Vorgänge im Gehirn, auch die sexuellen. Diese besonders! Dass er seine Sexualität so überstark empfindet, lässt ihn, weil die Sexualität etwas Biologisches ist, für den Menschen als biologisches Wesen besonders empfänglich werden.
Der überwältigende Fortschritt naturwissenschaftlicher Erkenntnis bewirkt zugleich eine Entzauberung der Welt. Das Wort ist aber doppeldeutig. Auf der einen Seite wird der Mensch vom bösen Zauber übelwollender Mächte befreit, die er durch Beschwörungen und Gebete beschwichtigen zu müssen glaubte. Die Welt wird nicht von bösen Dämonen, guten oder bösen Geistern beherrscht, sondern von neutralen Naturgesetzen, die sich erforschen lassen. Das Gehirn aber, „mit dem der Mensch nun beginnt, seine eigene langwierige biologische Vergangenheit zu verstehen“, so der Anthropologe Washburn, „entwickelte sich unter Bedingungen, die längst nicht mehr gegeben sind. Dieses Gehirn entwickelte sich sowohl in seinem Umfang wie in seiner neurologischen Komplexität während einiger Jahrmillionen, und während des größten Teils dieser Zeit lebten unsere Vorfahren unter dem täglichen Zwang, auf der Grundlage von überaus begrenzten Informationen agieren und reagieren zu müssen. Ein Großteil dieser Information war darüber hinaus falsch … Doch das Gehirn … war dasselbe Gehirn, das sich heute mit den Feinheiten der modernen Mathematik und Physik auseinandersetzt.“ – Auf der anderen Seite verliert die Welt durch diese Rationalisierung aber auch ihren reizvollen romantischen Zauber. In einem gewissen Sinn sind wir alle romantiques defroqués. Harry fragt sich, ob der Gewinn des einen den Verlust des andern wohl aufwiegt. Er denkt an Hofmannsthals Chandos-Brief. Aber natürlich ist das bloß rhetorisch gemeint. Wie in dem jüdischen Witz: Wo liegt das Problem, ist der Onkel aus Amerika zu reich? Die rationale Beherrschung der Welt ist ein unschätzbarer Gewinn!
So, leidenschaftlich zwischen krassen Extremen, der kühlen Geistigkeit des Naturalismus und der verzehrenden Sinnenglut seines Blutes hin und her gerissen, könnte er das Lebensgefühl seiner Jugend nicht besser wiedergeben als der junge Lyriker Brecht in seinem Choral vom großen Baal:
Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal,
War der Himmel schon so groß und still und fahl,
Jung und nackt und ungeheuer wundersam,
Wie ihn Baal dann liebte, als Baal kam.
Und der Himmel blieb in Lust und Kummer da,
auch wenn Baal schlief, selig war und ihn nicht sah:
Nachts er violett, und trunken Baal,
Baal früh fromm, er aprikosenfahl.
Und durch Schnapsbudike, Dom, Spital
Trottet Baal mit Gleichmut und gewöhnt sich's ab.
Mag Baal müde sein, Kinder, nie sinkt Baal:
Baal nimmt seinen Himmel mit hinab.
In der Sünder schamvollem Gewimmel
Lag Baal nackt und wälzte sich voll Ruh:
Nur der Himmel, aber immer Himmel,
Deckte mächtig seine Blöße zu.
Und das große Weib Welt, das sich lachend gibt
Dem, der sich zermalmen lässt von ihren Knien,
Gab ihm einige Ekstase, die er liebt,
Aber Baal starb nicht: er sah nur hin.
Und wenn Baal nur Leichen um sich sah,
War die Wollust immer doppelt groß.
Man hat Platz, sagt Baal, es sind nicht viele da.
Man hat Platz, sagt Baal, in dieses Weibes Schoß.
Gibt ein Weib, sagt Baal, euch alles her,
Lasst es fahren, denn sie hat nicht mehr!
Fürchtet Männer nicht beim Weib, die sind egal:
Aber Kinder fürchtet sogar Baal.
Alle Laster sind zu etwas gut,
Und der Mann auch, sagt Baal, der sie tut.
Laster sind was, weiß man, was man will.
Sucht euch zwei aus: eines ist zuviel!
Seid