Heine hardcore II - Die späten Jahre. Freudhold Riesenharf
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Starke Glieder braucht man und Erfahrung auch:
Und mitunter stört ein dicker Bauch.
Zu den feisten Geiern blinzelt Baal hinauf,
Die im Sternenhimmel warten auf den Leichnam Baal.
Manchmal stellt sich Baal tot. Stürzt ein Geier drauf
Speist Baal einen Geier, stumm, zum Abendmahl.
Unter düstern Sternen in dem Jammertal
Grast Baal weite Felder schmatzend ab.
Sind sie leer, dann trottet singend Baal
In den ewigen Wald zum Schlaf hinab.
Und wenn Baal der dunkle Schoß hinunter zieht:
Was ist Welt für Baal noch? Baal ist satt.
Soviel Himmel hat Baal unterm Lid
Daß er tot noch grad gnug Himmel hat.
Als im dunklen Erdenschoße faulte Baal
War der Himmel noch so groß und still und fahl,
Jung und nackt und ungeheuer wunderbar,
Wie ihn Baal einst liebte, als Baal war.
Sein Deutschlehrer Professor Kramer – der jetzt Baumgartner heißt, und auch nicht mehr ,Professor' ist – hat sein eigenes Bild von ihm. Er, der seinen Dialog mit Natalien gelesen hat, spürt seine kreative Unruhe.
Einmal als er in der Halle geht, kommt Kramer hinter ihm drein.
„Ihr Gang“, sagt er, als er ihn eingeholt hat, „strömt eine beängstigende Freiheit aus!“
Ein andermal im Fasching, im Anschluss an eine Schüleraufführung von Oscar Wildes Bunbury zusammen mit ihm und einigen Mädchen in einer Bierstube, deutet er mit einem halb spekulativen, halb ironischen Blick auf ihn und sagt mit Blick auf die Mädchen: „Thomas Wolfe! Er wird ein Thomas Wolfe. Da muss man sich ranhalten!“
Harry ist ihm spontan dafür dankbar. Er weiß nicht, wer Thomas Wolfe ist, nimmt sich aber mit Bestimmtheit vor, nächstens etwas von ihm zu lesen. Die Mädchen müssen den Fingerzeig aber nicht verstanden haben, da keines von ihnen, auch in der Folge nicht, Anstalten trifft, ihm Folge zu leisten.
27: Tarita
Alle heilige Zeit ereignet sich eine so genannte sexuelle Revolution. Darunter versteht man laut Definition einen Wandel der öffentlichen Sexualmoral im Sinn einer enttabuisierten Sexualität. Die sexuellen Bedürfnisse und Gewohnheiten der Geschlechter werden, unabhängig von institutionell oder religiös legitimierten Zwängen, mehr und mehr akzeptiert.
Drei sexuelle Revolutionen in Europa und Amerika seit Ende des 19. Jahrhunderts sind zu erkennen: die erste sexuelle Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts, mit der Sigmund Freud bei seiner Sexualtheorie konfrontiert ist. Fasziniert verfolgt Harry die Entstehung der Psychoanalyse und wie Freud dem Vorwurf ausgesetzt ist, dass er die Bedeutung des Sexuellen für das Menschsein überschätze. Er selbst ist nicht der Meinung, dass Freud übertreibt. Die Bedeutung des Sexuellen für das Menschsein kann man ja eigentlich, wenn man ehrlich ist, gar nicht überschätzen!
Engagiert verfolgt er die Diskussion über Onanie der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung in Heft 2 von 1912. Engagiert, aber kritisch: Alles in allem vermutet er in der Psychoanalyse und Psychiatrie die fehlerhafte Tendenz, die Neigung zur sexuellen Selbstbefriedigung als etwas Pathologisches anzusehen und sie einer charakterlichen Fehlhaltung zuzuschreiben. Man unterschätzt den einfachen Umstand, dass ein Mensch mit einem angeborenen überstarken Trieb ja praktisch gar nicht anders kann, als auf die Dauer der Liebessucht zu verfallen. Wie der junge Rousseau: Mein erhitztes Blut füllte unaufhörlich mein Hirn mit Mädchen und Frauen, aber da ich keine Ahnung hatte, was man wirklich mit ihnen macht, beschäftigte ich sie in der Einbildung seltsamerweise nach meinen Phantasien, ohne zu wissen, was ich weiter mit ihnen anfangen sollte; und diese Gedanken hielten meine Sinne in einer sehr lästigen Tätigkeit.
Wie Felix Krull bei Thomas Mann: Da habe ich denn vor allem anzuführen, dass jene Angelegenheit sehr frühzeitig in meinem Leben eine Rolle zu spielen, meine Gedanken zu beschäftigen, den Inhalt meiner Träumereien und kindischen Unterhaltungen zu bilden begann: lange nämlich, bevor ich irgendeinen Namen dafür besaß oder mir auch nur von ihrer weiteren und allgemeinen Bedeutung ein Bild zu machen wusste, so dass ich die lebhafte Neigung zu gewissen Vorstellungen und das durchdringende Vergnügen daran durch geraume Zeit für eine ganz persönliche und anderen gar nicht vorstellbare Eigentümlichkeit hielt, über die ihrer Sonderbarkeit halber lieber nicht zu sprechen sei. Da es mir an einer eigentlichen Bezeichnung dafür gebrach, so fasste ich diese Empfindungen und Eingebungen bei mir selbst unter dem Namen ,Das Beste' oder ,Die große Freude' zusammen und hütete sie als ein köstliches Geheimnis … In der Tat grenzte meine Begabung zur Liebeslust ans Wunderbare; sie übertraf, wie ich noch heute glaube, das gemeine Ausmaß bei weitem.
Ihm selbst, Heine, schreibt Isidor Sadger eine überstarke Sinnlichkeit zu. Ist das aber schon bei ihnen so, dann ist es in Myriaden anderen Fällen auch nicht anders. Erkennen die Psychiater das aber an, verdienen sie nicht mehr daran. Ist das mit ein Grund für den ketzerischen Spruch, die Psychoanalyse selber sei die Krankheit, von der sie uns zu heilen verspricht? … –
Dann ist da die teils kommerziell-antiautoritäre, teils regierungsamtlich-sozialliberale Revolution der sechziger und frühen siebziger Jahre; und schließlich die so genannte Neosexuelle Revolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Letzteres ist ein unspektakulärer, weil eher unterschwellig und gleichsam hinter den Kulissen verlaufender tiefgreifender Wandel der Sexualmoral in den Ländern der westlichen Welt nach der 68-er Bewegung.
Gar für den Beginn einer neuen sexuellen Revolution hält die Zeitschrift stern den Roman Schoßgebete von Charlotte Roche, auch wenn Charlotte eigentlich bloß offen und unverblümt ausspricht, was inzwischen sowieso jeder weiß und denkt.
Genau genommen ist es sein semitischer Stammesgenosse, der ostjüdische Gummifabrikant Israel Fromm, der der sexuellen Revolution durch seine Kondom-Produktion einen entscheidenden Anstoß gibt.
Dieses Kondom ist eine dünne Hülle, zumeist aus vulkanisiertem Kautschuk, die ebenso vor der Empfängnis wie sexuell ansteckenden Krankheiten schützt. Sie wird vor dem Geschlechtsverkehr über den erigierten Penis des Mannes gestreift, der dann innerhalb ejakuliert. Zur Aufnahme des Spermas dient das so genannte Reservoir, eine Ausbuchtung an der Spitze des Gummis. Die ersten Kondome waren aus gewebtem Stoff und als solche bei der Verhütung nicht besonders brauchbar. Die ersten wirksamen Kondome wurden aus Schafsdärmen oder anderen tierischen Membranen gefertigt. Solche Formen sind auch heute noch erhältlich. Sie gelten bei manchen als sinnlicher, fühlen sich dank weniger Elastizität und Slip-Stick anders an, sind jedoch nicht so effektiv wie künstlich hergestellte. Der physikalische Stick-Slip-Effekt – Haftgleiteffekt – bezeichnet allgemein das Ruckgleiten von gegeneinander bewegten Körpern, wie beispielsweise ratternde Scheibenwischer, die am Latexluftballon oder Rand eines Trinkglases rubbelnde nasse Fingerkuppe, oder eben auch die Geschlechtsteile von Mann und Frau. Bereits Casanova benutzte Kondome, die im 18. Jahrhundert so genannten English Overcoats, zum Schutz vor der Syphilis. Laut der verbreitetsten Theorie über die Herkunft des Namens leitet er sich von Oberst Dr. Condom ab, dem Hofarzt von Charles II. von England, der zur