Wolfskinder. Klaus Melcher

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Wolfskinder - Klaus Melcher

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Brandt, das Foto war zwei Jahre alt, es gab wohl kein neueres, war tatsächlich sechzehn Jahre alt, war wieder einmal nicht zur Schule gegangen. Stolze sieben Wochen war sie dem Unterricht ferngeblieben, ohne dass eine Reaktion der Schule erfolgt wäre.

      Buchholz konnte es nicht fassen.

       War es den Lehrern gar nicht aufgefallen, dass eine ihrer Schülerinnen fehlte? Oder war man nur froh, eine, noch dazu wohl schwierige, Schülerin weniger in der Klasse zu haben?

       Und die Eltern? Bekamen die das Schwänzen ihrer Tochter gar nicht mit?

      Buchholz wusste zwar von Fällen, da hatten Schüler morgens das Haus verlassen, beladen mit Tasche, Schulbüchern und Butterbroten, hatten an der Haltestelle gewartet und waren in den entgegengesetzten Bus gestiegen, hatten ihre Tasche am Bahnhof in einem Schließfach deponiert und hatten sich dann den Tag über in der Stadt herumgetrieben.

      Das ging ein paar Tage so, vielleicht auch zwei Wochen, aber dann musste doch jemand das bemerken.

      Hier schien das Fehlen des Mädchens niemandem aufgefallen zu sein.

      Buchholz blätterte ein paar Seiten durch.

      Der Inhalt war enttäuschend. Eine Aufzählung von Versäumnissen und Schlampereien. In aller Eile zusammengetragen.

      Einmal hatte man die Eltern besucht. Von bedenklichen Familienverhältnissen war die Rede. Die Sozialprognose war ungünstig. Man nahm an, das Mädchen würde auf der Straße leben und wohl auch enden.

      Der nächste Fall, ein Junge von vierzehn Jahren, war zwei Monate nicht in der Schule erschienen und war von zu Hause abgehauen. Der Kollege Müller hatte den Jungen im alten Güterhauptbahnhof aufgespürt und zurückgeführt.

      Er betreute ihn immer noch, traf sich in regelmäßigen Abständen mit ihm.

      Buchholz blätterte weiter.

      Kapitel 2

      Sie war ihm schon gestern aufgefallen.

      Wie zufällig, ziellos schlenderte sie durch den Hauptbahnhof, blieb an den verschiedenen Imbissbuden stehen, ohne Absicht, wie es schien. Mit einem flüchtigen Blick streifte sie die Stehtische im Eingangsbereich, musterte die Pappteller, die unordentliche Gäste hatten stehen lassen.

      Hin und wieder änderte sie ihre Richtung, trat wie zufällig auf einen der Tische zu, auf denen ein Teller mit noch einem halben Brötchen lag, griff zu, füllte etwas Ketchup nach und verschwand so unauffällig wie sie gekommen war.

      Nebenan, in einer Ecke oder hinter einer der Anzeige- oder Reklametafeln, schlang sie das Brötchen in sich hinein, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, ließ den Teller hinter sich fallen und begab sich erneut auf Beutesuche.

      Das Mädchen war sechzehn Jahre alt, vielleicht einen Monat jünger oder älter, mehr ganz sicher nicht.

      Heiko Müller hatte ein Auge dafür. Ihm machte niemand etwas vor, wenn es darum ging, das Alter Jugendlicher, gleich ob Mädchen oder Junge, zu schätzen. Er hatte es in den vergangenen Jahren gelernt, und seine Trefferquote war nahezu hundertprozentig. Sie konnten sich verkleiden und schminken, wie sie wollten, er sah ihr tatsächliches Alter.

      Und deshalb saß er hier, in dem kleinen Bistro am Ende der Halle, kurz bevor man den Ausgang zum Raschplatz erreichte.

      Hier hatte er den Überblick, hier kamen die vorbei, die ihn interessierten, Mädchen wie das dort, Gestrandete ohne Bleibe, die wussten, dass sie gesucht wurden, und deshalb einen Ort bevorzugten, den sie schnell verlassen konnten und dessen Labyrinth von Gängen, dunklen Ecken und ungenutzten Räumen ihnen Schutz bot.

      Hier hinten fiel das Mädchen nicht auf.

      Die Reisenden, die zur U-Bahn wechselten, hatten es eilig, niemand wäre auf den Gedanken gekommen, das Mädchen genauer zu betrachten.

      Es störte ja auch nicht, viel weniger jedenfalls als andere, die durch den Gang wankten und Passanten um einen Euro oder eine Zigarette anbettelten.

      Müller gab der Serviererin ein Zeichen. Sie nickte, kam hinter dem Tresen hervor und stellte ein Schild auf den Tisch.

      Unmissverständlich verkündete es: Dieser Tisch war reserviert.

      Ohne Eile verließ Müller das Bistro und schlenderte auf das Mädchen zu, das ihn noch nicht bemerkt hatte.

      „Hast du Hunger?“, fragte er, als er neben ihm stand.

      Erschrocken sah sie ihn an, wollte sich wegdrehen, weglaufen, aber er hielt ihren Arm. Nicht fest umklammert, sie hätte sich befreien können, mit Leichtigkeit. Sie hätte auch schreien können. Irgendwer hätte ihr sicher geholfen, und in dem Durcheinander, das entstanden wäre, hätte sie sich verdrücken können.

      Sie tat nichts.

      Sie stand da, seine Hand an ihrem Oberarm, sah ihn an und war wie gelähmt.

      „Hast du Hunger?“, fragte er noch einmal.

      Sie nickte.

      Und schon führte er sie sanft zum Bistro, öffnete die Tür und schob sie hinein.

      „Setz dich!“, forderte er sie auf, stellte das Schild zur Seite und setzte sich auch.

      „Such dir was aus“, sagte er, als er bemerkte, wie gierig sie die kleine Speisekarte betrachtete.

      Während sie auf das Essen warteten, betrachtete Müller seinen Gast.

      Er hatte sich nicht geirrt. Auch jetzt aus der Nähe blieb er bei seinem Urteil. Sie war sechzehn Jahre alt, auch wenn sie älter aussah.

      Aber sie war unglaublich verwahrlost.

      Ihr langes dunkles Haar hing in verklebten Strähnen hinunter. Das schön geschnittene Gesicht mit seiner niedlichen Nase und seinem sinnlichen Mund, der sicher alles erreichen konnte, die traurigen dunklen, fast schwarzen Augen, all das konnte sicher jeden Mann zum Schmelzen bringen. Es musste nur gewaschen werden.

      Das galt auch für ihre Kleidung, die vor Dreck fast stand. Seit Wochen war sie mit Sicherheit nicht gewechselt worden und unterschied sich nicht von der der Stadtstreicher, die man hier und an den anderen einschlägigen Orten der Stadt antraf.

      Aber trotz dieses fast abstoßenden Eindrucks hatte Müller sofort bemerkt, man musste dieses Mädchen nur waschen und ihm saubere Kleidung geben, und man hätte eine Schönheit vor sich.

      „Komm“, sagte er, als sie aufgegessen hatte, „jetzt wollen wir dich erst einmal ein wenig wiederherstellen.“

      Sie sah ihn fragend an.

      Sie hätte sich ja denken können, dass da irgendein Haken dran war. Kein Mann spendierte einem fremden, heruntergekommenen Mädchen ein Essen, ohne sich dabei etwas zu denken. Sie hatte gegessen, jetzt hatte sie die Zeche zu bezahlen. Sie kannte einige Mädchen vom Raschplatz, die hatten es ihr erzählt.

      Nein, hämmerte es in ihrem Kopf. Sei nicht blöd!, sagte eine andere Stimme,

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