Wolfskinder. Klaus Melcher
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Glaub nicht, dass er sein Geschirr weggeräumt hätte. Das stand alles noch auf dem Küchentisch. Und die Marmelade und Margarine. Und natürlich die Bierflaschen.
‚Wenigstens das hättest du wegräumen können!’, schimpfte meine Mutter. Da hat er sie einfach stehen lassen, hat sich eine neue Flasche Bier geschnappt und ist ins Wohnzimmer gegangen.
Irgendwann hat meine Mutter gemerkt, dass er heimlich Schnaps trank. Immer Wodka, den riecht man nämlich nicht. Erst nur ein kleines Glas, dann reichte das nicht mehr, und er nahm ein größeres Glas.
Als meine Mutter eine zweite Putzstelle angenommen hatte und erst nachmittags nach Hause kam, da ging es mit ihm ganz bergab.
Er stand erst mittags auf, trank keinen Kaffee mehr, sondern gleich Bier und spülte das Frühstück mit Wodka runter. Ein Glas brauchte er schon nicht mehr. Er trank gleich aus der Flasche. Aus dem Haus ging er nur noch, um neuen Wodka zu kaufen.
Wenn ich aus der Schule kam, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten, so voll war er.
Aber rumbrüllen konnte er immer noch.
An allem hatte er rumzumeckern.
‚Kannst du nicht Ordnung halten? Was ist das hier für ein Saustall?’
Wenn er so richtig in Fahrt war, riss er die Bücher aus dem Schrank und schmiss das Geschirr auf den Boden.
‚Räum das gefälligst weg!’, brüllte er, ‚wozu bist du eigentlich nutze?’
Da bin ich erst später aus der Schule zurückgekommen, habe meine Hausaufgaben bei Freundinnen gemacht.
Wenn ich nach Hause kam, war meine Mutter schon da. Er hat immer noch getobt, aber es ging schon über in ein Lallen. Dann haben wir ihn gemeinsam ins Bett gebracht und hatten unsere Ruhe.
Vor ein paar Wochen ist er total ausgerastet. Wir wollten ihn wieder ins Bett bringen, da hat er mich geschlagen, so stark, dass ich drei Tage mit einer Gehirnerschütterung im Bett gelegen habe.
Meine Mutter konnte ihn ja nicht alleine ins Bett bringen, da hat sie ihn einfach im Wohnzimmer liegen gelassen. Seitdem schläft er immer dort.
Wenn meine Mutter nach Hause kommt, geht sie gar nicht ins Wohnzimmer. Sie macht das Essen und stellt seinen Teil beiseite. Wenn er es nimmt, ist es okay, wenn nicht, ist es auch gut.
Am Abend gehe ich manchmal zu ihr ins Schlafzimmer, und wir unterhalten uns oder sehen gemeinsam fern. Oder ich bleibe die Nacht bei einer Freundin.“
„Jetzt hast du aber lange nicht mehr bei einer Freundin geschlafen.“
Carmen sah ihn erstaunt an, und eine leichte Röte flog über ihr Gesicht.
„Ach so“, flüsterte sie und sah an sich herunter, an dem geräumigen Pullover mit den viel zu langen Ärmeln, und an ihren nackten Beinen.
„Was machen meine Klamotten?“
„Die brauchen noch, und dann müssen sie noch trocknen.“
Carmen hatte aufgehört, das Gemüse zu putzen.
Müller sah ihr an, sie hatte noch etwas, das auf ihr lastete, das sie gerne loswerden würde, das auszusprechen aber ungeheure Überwindung kosten würde.
Er hätte ihr helfen können, aber er hatte sich entschieden, es nicht zu tun, jedenfalls noch nicht jetzt.
Sie war noch nicht so weit.
Aus dem Badezimmer drang das Schleudergeräusch der Waschmaschine.
„Hilfst du mir beim Aufhängen?“, fragte Heiko.
Carmen legte das Messer aus der Hand und wusch sich die Hände.
„Gibt es einen Trockenraum, oder hast du einen Wäscheständer?“
Er ging ins Badezimmer und klappte einen Wäschetrockner auf, der an der Wand über der Badewanne befestigt war.
„Soll ich?“, fragte sie und beugte sich vor, um die Klappe der Waschmaschine zu öffnen.
Wie von selbst rutschte der viel zu weite Pullover hoch, schob sich über ihren wundervoll geformten Po, weiter über die herrliche Taille, wurde erst von dem kleinen Busen gestoppt.
Sie drehte sich um, das Wäschestück in der Hand, reckte sich, um es aufzuhängen, und der Pullover fiel wieder hinunter, bedeckte züchtig die Blöße. Immer wieder.
Und das alles geschah ohne Zweck, schien unbewusst, mit einer unvorstellbaren Anmut.
Falls sie Heikos heimliche Blicke bemerkt hatte, ließ sie sich nichts anmerken.
Carmen hatte das letzte Wäschestück aufgehängt und sah abwartend an ihm vorbei.
Was würde jetzt kommen? Würde sie jetzt bezahlen müssen?
Heiko drehte ihren Kopf, so dass sie ihn ansehen musste.
„Was dachtest du?“, fragte er.
„Dass ich jetzt mit dir schlafen muss!“, flüsterte sie.
Ganz behutsam fasste er sie beim Oberarm, wie er es schon so oft an diesem Tage gemacht hatte, und führte sie ins Wohnzimmer, vorbei an der Sitzecke, direkt zu der breiten Fensterfront. Er öffnete die Balkontür und schob Carmen vor sich auf den Balkon. Ein leichter Südwind verfing sich in ihrem Haar und ließ es um ihr Gesicht spielen.
Er zeigte mit der Hand nach unten, auf den Fluss und auf das andere Ufer, auf die Dächer von Hannover, den Turm der Markkirche, das Neue Rathaus, auf das Anzeiger Hochhaus.
„Genieße den Augenblick, solange du kannst“, sagte er und umfasste sie ganz sanft.
„Du wirst bald gehen. Morgen oder übermorgen, ich weiß es nicht. Aber es wird dein eigener Entschluss sein. Ich werfe dich nicht raus, und ich halte dich nicht fest.“
„Bei Licht muss die Stadt wunderbar aussehen“, sagte sie und sah lange auf die Georgstraße hinunter, die tief unten als schnurgerades Band sich vom Anzeiger Hochhaus bis zum Aegi zog und sich weit hinten als Hildesheimer Straße verlor.
„Du wirst sie sehen. Heute bleibst du ja hier.“
Als er ein unruhiges Flackern in Carmens Augen sah, fügte er rasch hinzu: „Keine Angst! Du schläfst auf dem Sofa.“
Kapitel 4
Der leichte Wind des Nachmittags hatte noch abgenommen, die Luft war fast sommerlich warm. Der Himmel färbte sich in dem Zipfel, den man von hier im Westen sehen konnte, tiefrot und ging in dunkles Violett-Blau über.
Die ersten Leuchtreklamen in der Innenstadt flackerten, und auf einen Schlag leuchtete die ganze Stadt.