Du sollst nicht morden!. Dietrich Novak
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Dietrich Novak
Du sollst nicht morden!
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Der Wald lag still und friedlich. Es schien beinahe, als hätte nicht nur das große Baumsterben begonnen, sondern auch das der Tiere, denn es war kein Laut zu vernehmen. Keine Eule, kein Käuzchen ließen ihre typischen Rufe verlauten, kein Flügelschlagen, nicht einmal das Rascheln kleiner Nager oder das Brechen trockener Äste hörte man. Und Menschen hielten sich schon gar nicht um diese Uhrzeit im Spandauer Forst auf, denn es hatte längst die Dämmerung eingesetzt, die alles in ein undurchdringliches Dunkelgrau tauchte, das mehr und mehr in ein tiefes Schwarz überging, sodass die zum Teil entlaubten Bäume viel weniger Durchblick erlaubten als im hellen Tageslicht. Sie bildeten eine schier undurchdringliche Wand, die alles verbarg, was für fremde Augen nicht bestimmt war. Eine geradezu ideale Voraussetzung für das grausige Geschehen, das sich in wenigen Augenblicken hier abspielen sollte.
Der junge Mann erwachte aus tiefer Bewusstlosigkeit und spürte seine Fesseln und das stramm um seinen Mund gewickelte Klebeband. Neben sich hörte er eine Bewegung und sah kurz darauf helle Sneakers, die in verwaschene Jeanshosenbeine übergingen. Gott sei Dank, man hatte ihn gefunden war sein erster Gedanke. Dann setzte seine vollständige Erinnerung wieder ein und ließ jegliche Hoffnung in ihm sterben.
Er hatte gleich so ein komisches Gefühl gehabt, als sein alter Schulkumpel ihm ein lukratives Geschäft vorschlug. Er habe eine Gruppe von Dealern beobachtet, die auf der Suche nach einem sicheren Versteck ihre Ware im Wald vergraben hätten, hieß es. Wer die Stelle kannte, konnte sich dort nach Herzenslust bedienen. Man bräuchte nur etwas zu graben, wie nach einem Schatz, und hinterher könne man so viel fortschaffen wie man tragen konnte. Ohne jedes Risiko, wenn man unbeobachtet bliebe.
Ertu war nur allzu gerne darauf eingegangen, weil er mal wieder ziemlich pleite war und sich nicht leisten konnte, bei einem Bruch erwischt zu werden, denn bei seinem Vorstrafenregister würde er diesmal für sehr lange Zeit einsitzen müssen. Unterwegs waren ihm erste Zweifel gekommen, zumal sein Begleiter in einer Tasche undefinierbares Werkzeug mit sich führte, aber außer einer Axt und einer Spitzhacke keinen Spaten. Der Boden sei zu hart, um im herkömmlichen Sinne graben zu können, war die abschmetternde Antwort gewesen.
An der bewussten Stelle angekommen, hatte er nichts entdecken können, was sich von dem übrigen Waldboden unterschied. Und dann hatte er auch schon einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, der ihm augenblicklich die Sinne raubte.
»Na, gut geschlafen?«, hörte Ertu die hämische Stimme seines Peinigers. »Wie dämlich muss man eigentlich sein, um auf jeden Mist reinzufallen? Warum hätte ich gerade dich aussuchen sollen, um mit mir zu teilen? Die größte Niete, die so leicht zu durchschauen ist? Wo ich mir doch schon in der Schule von dir nehmen konnte, was mir gefiel. Und jetzt wolltest du es mir heimzahlen, was? Bist in meine Garage eingebrochen, um meine Geldkassette zu knacken und den Zweitschlüssel für meinen Wagen herauszuholen.«
Ertu konnte nicht antworten, gab nur erstickte Laute durch das Klebeband von sich und schüttelte verneinend heftig den Kopf.
»Nein, natürlich nicht, du Unschuldsengel. Irgendwelche anderen bösen Jungs haben mein Geld geklaut, meinen Wagen zu Schrott gefahren und ihn dann abgefackelt. Du hast Pech, dass man dich beobachtet hat. Du wurdest in meinem Auto gesehen, und wie du mein Geld mit vollen Händen ausgegeben hast. So sieht’s aus. Und jetzt fragst du dich natürlich, was ich mit dir vorhabe? Ganz einfach, Dieben schneidet man die Hände, damit man auf den ersten Blick erkennt, wen man vor sich hat, wenn sie diese zum falschen Schwur erheben. Wie tief der Schnitt allerdings bei dir gehen wird, davon hast du keine Ahnung. Es wird Zeit, dass die Welt von solchen Subjekten wie dir befreit wird.«
Ertu spürte, wie sein gefesselter Körper herumgezerrt und wie bei einem Ritual in Position gebracht wurde. Für einen schrecklichen Moment dachte er, dass man ihn köpfen wollte, als er den breiten Baumstumpf vor sich sah. Dann erfasste ihn ein Strudel von Schmerz und Blut, der in eine finstere, aber gnädige Bewusstlosigkeit überging.
Kapitel 1
Valerie Voss cremte sich nach dem Abtrocknen ausgiebig mit duftender Körperlotion ein. Dann griff sie nach dem Föhn, um ihre weißblond aufgehellten, kinnlangen Haare zu trocknen. Sie ließ noch nicht lange „wachsen“, aber der neue weiblichere Look passte ausgezeichnet zu ihrer momentanen Lebenssituation. Sie war nicht nur frisch verliebt, sondern hatte sich auch endlich dazu durchgerungen, sich zu der Liebe zu ihrem Kollegen Hinnerk Lange zu bekennen. Im Präsidium des LKA Berlin hatten es schon lange die Spatzen von den Dächern gepfiffen, dass früher oder später der Funke zwischen den beiden überspringen würde. Aber Valerie hatte das immer vehement bestritten. Einmal, weil sie etwas gegen eine Liebschaft unter Kollegen hatte, zum anderen war sie in der Wahl des Geschlechts nicht festgelegt, wie eine Liaison mit der Rechtsmedizinerin Tina zeigte. Der hatte sie aber vor kurzem ziemlich vor den Kopf gestoßen, indem sie sich zu Hinnerk bekannte.
Beide lebten inzwischen im selben Haus, was nicht allzu viel besagte in einem riesigen Wohnblock wie der „Schlange“, wie die Autobahnüberbauung in der Schlangenbader Straße volkstümlich genannt wurde, denn dort gab es mehr als tausend Wohneinheiten. Valerie hatte ihr geliebtes Kreuzberg verlassen, weil man ihr vor der Haustür ihren Oldtimer, einen flaschengrünen Karmann Ghia aus den 70ern, abgefackelt hatte. Nicht etwa die Autonomen waren für die Tat verantwortlich gewesen, sondern eine gewisse Elvira Lobrecht, die kurz darauf auch noch Valeries Kater vergiftet hatte. Als Motive hatten Eifersucht und Rachegelüste gedient,