Du sollst nicht morden!. Dietrich Novak
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Für Elvira hatten die Umstände von Alex’ Tod ausgereicht, Valerie bis aufs Blut zu hassen und an ihr Rache zu nehmen. Auch hatte sich jüngst herausgestellt, dass die Frau sich berufen gefühlt hatte, Alex’ Mission, oder die seines Bruders, fortzusetzen, indem sie Menschen, die vom Glauben abgefallen waren oder gegen Gottes Gebote verstoßen hatten, kurzerhand ins Jenseits befördert hatte.
Durch die gemeinsame Bearbeitung der Fälle waren sich dann Valerie und Hinnerk näher gekommen. Dabei hatten beide sogar auf eigene Faust als Urlauber getarnt in fremden Gefilden gewildert. Valerie war Alex ins Allgäu nachgereist, um feststellen zu müssen, dass sie seinen Bruder verfolgt hatte. Ihm und seiner Mutter hilflos ausgeliefert, war sie nur knapp dem Tode entkommen und von Hinnerk mit einem Rettungshubschrauber aufgefunden worden.
Bald darauf hatte sich Valerie revanchieren können, indem sie Hinnerk nach Südtirol nachgereist war, der bis dorthin Elvira Lobrecht verfolgt hatte. Bei dieser Gelegenheit waren sie beide in die Gefangenschaft der geistig verwirrten Frau geraten, die nicht davor zurückgescheut war, ihre leibliche Mutter und ihre Großmutter zu töten. Bei einem Schusswechsel mit der italienischen Polizei war Elvira dann erschossen worden. Mit großer Wahrscheinlichkeit von ihr beabsichtigt, weil das grausame Spiel für sie verloren gewesen war.
Während Valerie im Bad ein leichtes Tages-Make-up auflegte, hörte sie Hinnerk in der Küche pfeifend den Frühstückstisch decken. Sie hatten zusammen in Valeries Wohnung übernachtet, da Valerie sich nach ihrem Kurztrip auf Minka, der kleinen von Hinnerk aus dem Tierheim besorgten Nachfolgerin des Katers, gefreut und sie nicht noch länger alleine lassen gewollt hatte. Außerdem musste Valerie sich wohl oder übel eingestehen, dass ihr die gemeinsame Übernachtung mit Hinnerk im Südtiroler Weißen Rössl gefallen hatte. Ein Umstand, an den man sich durchaus gewöhnen konnte, wie sie fand.
»Wo hast du denn die Lebensmittel her?«, fragte Valerie, als sie angezogen ins Wohnzimmer kam, »warst du in aller Herrgottsfrühe schon einkaufen?«
»Das war nicht nötig«, antwortete Hinnerk lächelnd. »Dein Kühlschrank hat sich als wahre Fundgrube erwiesen.«
»Das muss meine Mutter in weiser Voraussicht gewesen sein. Ich darf nicht vergessen, mich dafür bei ihr zu bedanken. Eigentlich hatte ich sie nur gebeten, die Katze zu versorgen, aber sie meinte wohl, dass auch ich es nötig habe.«
»Wie geht’s ihr denn, besser?«
Hinnerk spielte auf einen Vorfall an, der Valerie ziemlich beunruhigt hatte. Karen Voss war von ihr bewusstlos in ihrer Wohnung aufgefunden worden, weil sie einen gefährlichen Mix aus Alkohol und Beruhigungsmitteln zu sich genommen hatte. Sie bestritt zwar, dass es sich um einen Suizidversuch gehandelt habe, aber Valerie sah das anders. Karen wurde nämlich nicht damit fertig, von ihrem Mann Christoph wegen einer Jüngeren verlassen worden zu sein.
»Ja, du hast doch mitbekommen, dass sie neulich hier war, als wir telefoniert haben.«
»Telefoniert ist etwas hochgestapelt, so kurz angebunden wie du warst.«
»Schließlich hatte mir kurz zuvor das halbnackte, rote Gift in deiner Wohnung erklärt, mit dir verlobt zu sein … falls du dich erinnerst«
»Und weil du grundsätzlich alles glaubst, was man dir erzählt, Frau Kommissarin, hast du mir nicht vertraut.«
»Keine leichte Aufgabe, wenn man von Natur aus misstrauisch ist, Herr Kommissar.«
»Kann sein, dass unsere beruflichen Titel bald Geschichte sind, wenn der Alte erst erfährt, was in Südtirol passiert ist«, meinte Hinnerk scherzhaft, aber durchaus mit ernstem Unterton.
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass er uns beide rausschmeißt, weil wir während seines Urlaubs ungefragt in Südtirol ermittelt haben?«
»Weiß man’s? Kommt drauf an, was die Presse draus macht. Zwei Berliner Kommissare ermitteln undercover im Ausland, und am Ende gibt es drei Tote. Das ist der Stoff, aus dem die Sensationsschlagzeilen gemacht werden.«
»Und wenn schon. Bei dieser Gelegenheit sind vier Morde aufgeklärt worden, das heiligt die Mittel. Und schließlich haben wir nicht geschossen.«
»Du schon. Wenn auch nicht gezielt auf die Täterin.«
»Die mit deiner Dienstwaffe geballert hat…«
»Eben. Aber was soll’s? Ändern können wir es nicht mehr. Passiert ist eben passiert. Vielleicht bringt der Alte so viel gute Laune aus dem Urlaub mit, dass er ein Auge zudrückt.«
»Jetzt hast du mich unsicher gemacht«, sagte Valerie kleinlaut, »so habe ich es bisher nicht betrachtet.«
Harald Glaseck liebte es, mit seinem Jagdhund Kalle durch den Spandauer Forst zu streifen, denn die Bewegung und die viele frische Luft taten ihnen beiden gut. Seit den siebziger Jahren hatte sich dort ein reichhaltiger Bestand an Pflanzen und Tieren entwickelt. So bot das Gebiet neben einem weitläufigen Laubwald, aus Birken, Eichen, Eschen und Ulmen bestehend, auch durch die Gewässer und Moore Lebensräume für Säugetiere wie Iltisse, Wildschweine, Dachse und sogar Waschbären, Biber und Fischotter. Man konnte Vögel wie Eisvogel, Habicht, Waldschnepfe und Zwergtaucher beobachten und verschiedene Insekten wie zum Beispiel den gefährdeten Hirschkäfer.
Kalle war ein braver Hund, der normalerweise aufs Wort reagierte, wenn auch nicht immer aufs erste. Trotzdem machte sich Glaseck keine Sorgen, denn bisher war ihnen noch nie ein Wildschwein zunahe gekommen, das für den Jagdhund durchaus gefährlich werden konnte. Als er an diesem Tag unverhofft auf Entdeckungstour ging, vermutete sein Herrchen, er sei hinter einem wilden Kaninchen her, aber schon bald fand er ihn eifrig in laubbedeckter Erde scharrend vor. Objekt der Begierde war nicht etwa eine Ringelnatter, sondern etwas ungleich Größeres, Breiteres. Schwanzwedelnd apportierte der Hund kurz darauf stolz und ließ seine Beute vor Glasecks Füße fallen.
Harald Glaseck stellten sich die Nackenhaare senkrecht auf. Zunächst meinte er, in dem seltsamen Gegenstand einen dieser geschmacklosen Faschingsartikel zu erkennen. Einer von denen, bei dem das Kunstblut besonders verschwenderisch verwendet worden war, aber bei intensiverer Betrachtung erkannte er, dass es sich um eine reale abgetrennte Hand handelte. Der Größe und der Form nach, die eines Mannes. Sie musste einmal einem jungen Menschen gehört haben, denn sie war noch nicht faltig und wies keine sogenannten Altersflecke auf. Dafür umso mehr dunkles, verkrustetes Blut an der Schnittstelle, die viel zu glatt verlief, um vermuten zu lassen, dass die Hand womöglich abgerissen worden war.
Glaseck überlegte, was zu tun sei. Sollte er sich auf die Suche nach dem restlichen Körper machen? Etwas in ihm widersetzte sich dagegen. Er war nicht unbedingt darauf aus, eine in Verwesung übergegangene Leiche betrachten zu müssen. Ganz zu schweigen von den vielen Fragen, die man ihm stellen würde. Hatte er den Toten wirklich nicht gekannt? Was hatte er ausgerechnet an dieser Stelle gemacht?, usw. Sollte er anonyme Meldung machen? Auch keine gute Idee. In Filmen sah man immer wieder, wie mittels Stimmerkennungsprogrammen Personen identifiziert wurden. Und wenn er erst einmal in die Mühlen der Justiz geraten würde …
Glaseck schuf beherzt mit seiner Schuhspitze eine Vertiefung im Boden,