Die Geisterbande Dekalogie. Dennis Weis
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„Gott hat dich zu früh von uns genommen. Wir halten dich ewig in unseren Herzen.“
Ich sah das Foto, welches direkt an das Kreuz gestellt war und es ließ mich erschaudern! Das war doch der Junge von der Toilette?! Ich schaute auf das Geburtsdatum und das Sterbedatum und rechnete. Er wäre knapp sechs Jahre alt gewesen. Kann das sein?
Meine Mutter nutzte die nächste Lücke und wir bewegten uns weiter. Es dauerte etwa eine viertel Stunde, ehe wir uns mit angemessener Geschwindigkeit auf der Autobahn bewegen konnten. Der Junge aber ging mir nicht aus dem Kopf. Immer wieder verglich ich das Foto mit der Begegnung auf dem Klo und er kam mir jedes Mal noch ähnlicher vor. Und jedes Mal wurde mir mulmiger bei dem Gefühl, dass es stimmen könnte. Daher schlich sich bei mir der Gedanke ein, dass es alles nur Zufall sein konnte. Wir sind ja hier nicht bei „Sixth Sense“.
Mitten in der Nacht kamen wir in Neumonster an. Eine hässliche Stadt. Selbst in der Nacht. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich müde war und dass ich einfach nicht hier sein wollte.
Wir fuhren in eine Gegend, die etwas abgeschieden war, in einen Stadtteil namens Brachenfeld. Als wir am Tor vorbeifuhren, konnte ich von weitem das beleuchtete Schlösschen sehen. Ringsherum waren Bäume, die keine Blätter mehr trugen, mitten im Juli! Das gesamte Gelände schien nicht gerade einen Nährboden zu haben. Mit der Dunkelheit wirkte es gruselig, aber ich hatte keine Angst, denn ich war zu müde.
Warum musste es ein Schloss sein? Und wie kommen Normalsterbliche zu solch einem Besitz, fragt ihr euch? Nun ja, meine Eltern waren schon immer alternativ, schon weit vor den Neunzigern. Meine Mutter ist Tierärztin und mein Vater im Vorstand eines Elektrofachhandel- Riesen. Da verdient man so Einiges und als sie im Internet gelesen hatten, dass man das Alte Schloss abreißen wollte, haben sie es sich gekauft und modernisiert.
So einfach ist das!
Ich hatte keinen Bock auf so ein Dekadent- Alternativ- Leben, aber ich hatte keine Wahl. Ich sah wie ein Mann, gekleidet wie ein Butler und eine Frau, die wie ein Dienstmädchen aussah, auf uns warteten.
„Wer sind die denn?“ fragte ich mit leicht genervtem Ton, den ich wollte keine Sklaven, die für mich arbeiteten.
„Das sind Heinrich und Isabell“, verriet Mama, „er ist unser Diener und sie Hauswirtschafterin.“
„Wieso das?“ wollte ich wissen und regte mich schon mehr auf.
„Der Oberbürgermeister, Herr Taunus, hatte darum gebeten, der sie hatten schon für die Familie gedient, welche hier früher einmal gelebt hat“, antwortete meine Mutter.
Erst jetzt sah ich, wie alt die beiden waren- das war mir aus der Ferne gar nicht aufgefallen. Merkwürdig. Ich beschloss, die beiden wie Menschen zu behandeln und sie als erstes zu begrüßen.
„Hallo“, sagte ich und mir fiel ehrlich gesagt auch nicht mehr ein.
„Moin“, entgegnete mir Heinrich.
„Es ist Nacht, nicht Morgen“, korrigierte ich und wollte aber nicht unhöflich sein und senkte meinen Kopf nach unten, da ich mich etwas schämte, denn ich wollte den Mann wie einen Menschen behandeln und dann verbessere ich ihn als zweite Handlung.
„Dat heest och net Morgn, sonnern Moin“, lachte Heinrich, „dat is Plattdütsch.“
„Heinrich, verwirr‘ den Jungen nicht“, maßregelte Isabell Heinrich, „entschuldigen Sie bitte“, sagte sie dann zu mir und machte einen Knicks, „er vergisst manchmal seine Manieren. Ich bin Isabella. Zu Ihren Diensten.“
Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen sollte, war ich doch keiner, der blaues Blut in sich trug. Daher gab ich ihr die Hand. Dies wiederum irritierte sie, aber die gab mir die Hand. Heinrich nahm indes unsere Koffer und die anderen Dinge, die wir mitgebracht hatten.
„Ist das Schloss etwa bezugsfertig?“ fragte mein Vater und man vernahm ein Erstaunen in seiner Stimme.
„Gewiss doch, mein Herr“, bestätigte Heinrich und verneigte sich.
„Lassen Sie diese vornehmen Gepflogenheiten“, verlangte Papa und machte mit seiner Hand eine Bewegung als wolle er das Benehmen entfernen.
„Wie Sie wünschen“, sagte Heinrich, „aber wir sind zum Dienen verspflichtet und müssen uns den Vorschriften der Dienerschaft unterwerfen, bitte habt Verständnis.“
„Gut“, sprach mein Vater, „geht in Ordnung. Können wir jetzt in unser Heim?“
Heinrich nickte und führte die beiden und mich natürlich auch zum Eingang. Isabell öffnete die großen, mit Blumen und Drachen verzierten Türen und wir gingen hinein.
„Es ist unglaublich“, zeigte sich Mama begeistert und stürmte in den Saal, der mit Kronenleuchtern, alten Bildern von Landschaften, etlichen Verzierungen, einen roten Teppich und anderem Schnickschnack bestückt war.
Mein Vater war sprachlos, was gleichzusetzen war mit Erstaunen. Er konnte seine Freude allerdings nicht mit der Außenwelt teilen.
„Gut, junger Mann“, sagte meine Mutter plötzlich, „du machst dich jetzt bettfertig und dann wird geschlafen.“
Auf einmal fiel mir wieder Cavegame ein und ich hatte einen Plan. Ich würde mich waschen, Zähne putzen und den Spintendo heimlich in einer Steckdose zum Aufladen anschließen, sodass ich heute Nacht weiterzocken kann.
Ich wusch mich besonders gründlich und meine Zähne würden bei meiner Mühe selbst im Dunkeln funkeln, sodass Mama keine Beanstandung hatte, mich nochmals zum Bettfertigmachen zu schicken.
„Das war aber sorgfältig“, lobte meine Mutter mich, ehe sie mir einen Kuss auf die Wange gab.
„Nacht“, sagte mein Vater kurz und knapp, aber das war in Ordnung- Männer machen das untereinander so.
Eigentlich würde ich mich von meiner Mutter nicht mehr abschmatzen lassen, aber Papa sagte mal, dass sie sonst traurig wäre und das wollte ich natürlich nicht. Und solange es keiner meiner Freunde mitbekam, war es okay.
Ich stürmte nach oben und wollte in mein Zimmer. Auf dem Flur begegnete ich Isabell. Sie lächelte.
„Guten Nacht, junger Mann“, sprach sie.
„Gute Nacht“, entgegnete ich, aber war in Gedanken schon bei Cavegame.
Mein Zimmer sah aus wie aus einem Museum, das Dinge ausstellt aus dem 17. Oder 18. Jahrhundert. Ich hatte es kurz betreten als ich vorhin den Spintendo aufladen wollte, aber nicht weiter beachtet. Mir war nur wichtig, dass eine Steckdose vorhanden war- mehr nicht.
Ich schmiss mich auf das Bett und griff nach unten, wo ich die Steckdose vermutete, aber da war nichts. Gut, die Steckdose schon, aber kein Spintendo! Ich schaute nach, um mich abzusichern, aber das noch immer nichts. Jetzt guckte sich unter dem Bett nach- Nichts! Wie kann das sein?
Es öffnete sich die Tür meiner Zimmers und ich erschrak etwas. Ich sah unter dem Bett hindurch und eine Person bewegte sich, mit langsamen Schritten auf knarzenden Boden, auf mich zu. Als ich umdrehte, sah ich sie:
„Mama?“