Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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Wind. Sie tastete über ihren Bauch. Überprüfte, ob der Leinenbeutel festsaß.

      Gestern war Lichtmess gewesen. Da hatte sie ihren Lohn bekommen. In diesem Jahr war es noch viel weniger als sonst. Denn nach alter Tradition hatte ihr die Bäuerin als Teil der Entlohnung ein Paar neue Winterschuhe spendiert. Geld war ihr zwar immer lieber gewesen als Naturalien, aber in ihrer Lage waren die derben Schuhe mit dem groben Profil ein wahrer Segen. Die mageren Ersparnisse der vergangenen zehn Jahre steckten nun zusammen mit ihren Ausweispapieren und dem Dienstbüchlein in dem Beutel, den sie sich mit zwei starken Bändern um den Leib gebunden hatte.

      Sie schloss kurz die Augen. Dann atmete sie tief ein, blies die Kerze aus und öffnete vorsichtig die Tür. Angestrengt lauschte sie. Aber nichts war zu hören. Das ganze Haus lag in tiefstem Schlummer. Leise machte sie die Tür wieder zu und klemmte die Lehne des Stuhls unter die Klinke. Nur für den Fall, dass der Bauer heute Nacht schon die Idee hatte, zu ihr in die Kammer zu kommen. Die Fensterflügel öffneten sich vollkommen lautlos. Gut, dass sie gestern die Beschläge noch mit Schweineschmalz eingeschmiert hatte. Sie warf ihr Bündel hinaus und kletterte, durch die vielen Kleidungsschichten behindert, ungelenk hinterher. Ehe sie das Fenster zuschob, nahm sie noch den Knochen mit, den sie am Mittag aus der Küche mitgenommen und auf dem Fensterbrett deponiert hatte. Der war für Harras, den wilden Hofhund. Nachts wurde er aus dem Zwinger gelassen und seine Kette an einem Drahtseil befestigt, das vom Haus quer über den Hof zur Scheune gespannt war. Hatte er einmal angefangen zu kläffen, konnte ihn nur der Großknecht zum Schweigen bringen. Oder aber ein Mitbringsel. Hinter dem Birnbaum, der gleich neben ihrem Kammerfenster wuchs, hatte sie einen Reisigbesen versteckt. Im Rückwärtsgehen verwischte sie sehr sorgfältig ihre Spuren im frischen Schnee. Die weißen Flocken segelten zwar sacht vom nächtlichen Himmel und würden bald alles zudecken. Aber über ihrer Kammer schlief die Großmagd. Falls diese aus irgendeinem Grund in der nächsten halben Stunde zum Fenster heraus schaute, würde sie die Fußspuren sicher entdecken.

      Die Kette klirrte leise. Harras war auf sie aufmerksam geworden.

      „Psst! Ganz ruhig! Ich hab‘ hier was ganz Feines für dich“, flüsterte sie in die Dunkelheit hinein. Ein drohendes Knurren war die Antwort.

      Mit aller Kraft warf sie den Knochen in die Richtung, in der sie Harras vermutete. Ein leises Jaulen erklang. Dann war nur noch das kratzende Geräusch der scharfen Zähne zu hören, die am Knochen nagten. Einen Fuß hinter den anderen setzend überquerte sie den Hof. Endlich war sie so weit entfernt, dass die Spuren ihrer Schuhe im Schnee vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnten. Energisch schleuderte sie den Reisigbesen über den windschiefen Zaun. So viele Jahre war er ihr steter Begleiter gewesen. Im Stall, im Hof, im Hausflur, in der Küche, überall hatte sie mit ihm und seinen unzähligen Vorgängern gefegt. Tagein, tagaus. Winters wie Sommers. Aber damit war jetzt Schluss! Mochte sich doch jetzt die Großmagd mit ihm plagen. Für sie begann ein neues Leben.

      Als sie den Schutz des Gehöfts verließ, pfiff ihr der eisige Wind mit aller Macht ins Gesicht. Er zerrte an ihren Röcken und dem Kopftuch. Aber zuversichtliche Vorfreude erfüllte sie ganz und gar und wärmte sie von innen heraus. Sie nickte vor sich hin, als sie den Fahrweg erreichte und energisch ausschritt. Ja, sie tat das Richtige! Ganz sicher!

      In einer der nächsten Nächte, vielleicht sogar schon heute Nacht, wäre der Bauer in ihre Kammer gekommen. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Zu eindeutig waren seine anzüglichen Worte und Gesten in den letzten Wochen gewesen. Anna, eine Kleinmagd genau wie sie selbst, war vor sechs Wochen von heute auf morgen vom Hof verschwunden. Anna schlief in der Kammer neben ihr. Manche Nacht hatte sie die eindeutigen Geräusche gehört, die von der Anwesenheit des Bauern zeugten. Sie wusste, dass Anna den Bauern nicht freiwillig in ihre Kammer gelassen hatte. Er hatte sie gezwungen. Wie schon so viele Mägde vor ihr. Und sie war genauso verschwunden wie schon so viele Mägde vor ihr. Allesamt hatte der Bauer geschwängert. Selbstverständlich wusste die Bäuerin davon. Sie tat jedoch nichts dagegen, denn auf diese Weise kam der Bauer nicht zu ihr ins Bett und sie hatte ihre Ruhe. Aber die Klausner-Bäuerin hatte all den unglücklichen Frauen eine andere Anstellung besorgt und ihnen sogar stets ein bisschen Geld mitgegeben.

      Nun wäre die Reihe an ihr gewesen. Aber daraus würde nun nichts werden. Zu gerne hätte sie das Gesicht des Bauern gesehen, wenn er im Nachthemd zu ihr geschlichen kam und sah, dass der Vogel ausgeflogen war.

      Ja, sie tat das Richtige! Sie fand sich nicht mehr mit dem armseligen Leben ab, das schon so viele Frauen ihrer Familie geführt hatten. Unzählige Generationen hindurch waren ihre Vorfahren Inwohner gewesen. Immer so arm, dass sie nicht einmal in der Lage gewesen waren, die traurigen Hütten zu kaufen, in denen sie hausten. Erst ihr Urgroßvater war zu einem Häusler aufgestiegen. Er hatte es geschafft, einem Bauern eine halb verfallene Kate und ein wenig Grund abzukaufen. Die Parzelle war jedoch so winzig, dass es nur zum Anbau von ein paar wenigen Reihen Kartoffeln reichte. Also mussten sich er, seine Frau und auch die fünf Kinder weiterhin als Knechte und Mägde verdingen. Und so war es auch bei ihren Großeltern und deren Kindern gewesen. Ihr eigener Vater war mit noch nicht einmal vierzig Jahren beim Holzmachen von einem Baum erschlagen worden. Die Mutter war ihm nur fünf Jahre später nachgefolgt. Abgehärmt und entkräftet durch die jahrelange Unterernährung, war sie an Lungenentzündung gestorben, nachdem sie sechs ihrer sieben Kinder bereits im Säuglingsalter begraben hatte.

      Dieses armselige Schicksal hatte sie wie ein furchterregendes Schreckgespenst stets vor Augen gehabt. Deshalb hatte sie an dem Tag, als die Kleinmagd Anna verschwand, einen Entschluss gefasst. Sie, Agnes Pangerl, vierundzwanzig Jahre alt, aus Depoltowitz im Böhmerwald, Untertanin von Franz Josef dem Ersten, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich und König von Ungarn und Böhmen, würde alles hinter sich lassen!

      Hoffnungsfroh stapfte sie durch den tiefen Schnee Schritt für Schritt ihrem neuen Leben entgegen. Zum Schutz vor der beißenden Kälte und dem schneidenden Wind zog sie das Kopftuch vor das Gesicht. Nur noch die Augen lugten heraus. Trotz des dichten Schneefalls hatte Agnes kein Problem sich zurechtzufinden. Der Weg war links und rechts mit Hecken gesäumt. Außerdem war sie die sechs Kilometer nach Neuern in ihrem Leben schon so oft gegangen, dass sie jeden Baum, jeden Strauch, ja beinahe jeden Grashalm kannte. In der Scheune des Neuerner Fuhrmanns konnte sie bis zum Morgen Unterschlupf finden. Kurz nach Sonnenaufgang würden nach und nach die sechzehn anderen jungen Leute eintreffen. Zwölf Männer und vier Frauen. Dann würden sie gemeinsam ihre abenteuerliche Reise beginnen.

      ‚Was hält dich denn hier? Komm doch einfach mit‘ hatte ihr Mariele, die Magd des Gruber-Bauern aus Deschenitz auf dem Heimweg von der Christmette in Neuern ins Ohr geflüstert.

      ‚Am vierten Februar bei Sonnenaufgang. Wir treffen uns beim Fuhrmann. Und dann heißt es Böhmerwald leb wohl! Amerika, wir kommen! ‘

      Sechs Wochen lang hatte Agnes diese tollkühne Idee wieder und wieder durchdacht. Die Vorteile aufgezählt und die Nachteile dagegen gerechnet. Um dann schließlich zu dem Ergebnis zu kommen, dass es nichts Schlimmeres geben konnte, als das hoffnungslose Dasein, das sie hier auf dem Hof des Klausner-Bauern fristete. Sie wusste nicht, was das ferne unbekannte Land Amerika für sie bereithalten würde. Aber was ihr blühen würde, wenn sie hier im Böhmerwald bliebe, das wusste sie nur zu gut. Entweder würde sie im Bett des Bauern landen und früher oder später mit einem unehelichen Kind am Hals davon gejagt werden. Oder aber sie würde mit ein wenig Glück einen ehrlichen anständigen Mann finden. Genauso bettelarm wie sie selbst. Und gemeinsam würden sie dann als Häusler ihr Dasein fristen. Ihr Leben lang hätten sie zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Agnes war nicht so naiv, zu glauben, dass einer armen Frau in Amerika etwas geschenkt wurde. Aber wenn man fleißig war und sich vor keiner schweren Arbeit scheute, konnte man es in dem Land jenseits des großen Ozeans zu etwas bringen. Davon war sie fest überzeugt. Und hart arbeiten konnte Agnes. Das stand fest.

      Agnes presste ihr Ohr an das hölzerne Scheunentor. Leises Gemurmel war zu hören. Vorsichtig schob sie die schwere Tür

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