Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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Tellern löffeln.“

      „Bestimmt“, lachte Agnes und stieß ihrer Freundin den Ellenbogen in die Rippen. „Wir werden einen Haufen Diener haben, die wir herum kommandieren können. Und eine eigene Zofe, die uns beim Anziehen unserer Seidenkleider hilft.“

      Sehnsüchtig starrten sie auf den Horizont. Ach, wenn es doch bloß schon so weit wäre!

      Als am nächsten Vormittag die New Yorker Hafenanlagen aus dem Nebel auftauchten, standen die beiden Frauen in der Kombüse und schälten gerade die unvermeidlichen Kartoffeln.

      „Agnes, Mariele! Kommt schnell!“, schallte der Ruf vom Deck des Frachters. Die halb geschälten Kartoffeln flogen in hohem Bogen in den Suppentopf. Die langen Röcke bis über die Knie hoch gerafft, jagten Agnes und Mariele die schmale Treppe zum Oberdeck hinauf. Ihre sechs Kameraden standen an der Reling. Sie hatten sich gegenseitig die Arme über die Schultern gelegt. Stumm, beinahe andächtig starrten die Männer in die Ferne. Die beiden Frauen stellten sich daneben. Mit zusammengekniffenen Augen suchte Agnes den Horizont ab. Dann sah sie es auch. Umrisse gigantischer, grauer Häuser, noch viel größer und höher als die Backstein-Lagerhäuser in Hamburg. Keuchend stieß sie die Luft aus, die sie vor Aufregung angehalten hatte.

      „Wir haben es geschafft“, flüsterte sie. Und dann schrie sie ihre Begeisterung laut hinaus: „Ja! Ja! Ja!“

      Sie riss Mariele von der Reling weg, fasste sie um die Taille und begann sich mit ihr im Kreis zu drehen.

      „Wir sind in Amerika! Wir sind in Amerika!“, sang sie fröhlich zu einer selbst erfunden Melodie.

      Die Burschen drehten sich zu den Frauen um und begannen zu Agnes‘ lustigem Lied rhythmisch zu klatschen. Laut hallte der fröhliche Chor quer über das Deck der Atlantica. „Wir sind in Amerika! Wir sind in Amerika!“

      Schließlich musste der Kapitän dem ausgelassenen Treiben Einhalt gebieten. Natürlich hatte er Verständnis für die überschäumende Freude der Auswanderer. Aber der Kessel heizte sich schließlich nicht von alleine und die Kartoffeln schälten sich auch nicht von selbst. Nur sehr widerwillig nahmen sie ihre Arbeit unter Deck wieder auf. Keiner von ihnen wollte das Einlaufen in den Hafen von New York versäumen.

      Der Kapitän war kein Unmensch und hatte am Ende doch ein Einsehen. Da er mit ihrer Arbeit während der Überfahrt mehr als zufrieden gewesen war, wollte er ihnen den Augenblick der Ankunft in der neuen Heimat nicht verderben. Als es soweit war, beorderte er sie nach oben. Eng umschlungen standen Agnes und Mariele an der Reling. Die nicht enden wollende Häuserfront der Halbinsel Manhattan glitt langsam an ihnen vorbei, als die Atlantica in die Mündung des East River einfuhr. Endlich erreichten sie den richtigen Pier.

      Mit den klaren Befehlen des Kapitäns war das Anlegen ein Kinderspiel. Alle Hilfsmatrosen aus dem Böhmerwald legten mit Hand an. Als sie die Atlantica fest vertäut hatten, verließ der Kapitän das Schiff um das Hafenbüro aufzusuchen und seine Fracht anzumelden. Die Auswanderer würden noch beim Löschen der kostbaren Ladung behilflich sein. Sollten sie es tatsächlich schaffen, die Kisten unbeschädigt in das angegebene Lagerhaus zu bringen, würde es noch eine kleine Prämie geben.

      Auch das erledigten sie zur Zufriedenheit des Kapitäns. Als sie sich von ihm verabschiedeten, drückte er jedem von ihnen ein paar Scheine der unbekannten, neuen Währung in die Hand und erklärte ihnen den Weg zum Castle Clinton, der Anlaufstelle für alle Einwanderungswillige. Dort mussten sich alle Neuankömmlinge registrieren. Nur mit einer Registrierungsbescheinigung würde es ihnen möglich sein, eine legale Arbeit auszuüben. Ein kurzes Winken zum Abschied. Dann machten sich die acht Böhmerwäldler auf, den unbekannten Kontinent für sich zu erobern.

      20. Januar 1871

      Das wollene Kopftuch tief ins Gesicht gezogen eilte Agnes die vereiste Mulberry Street entlang. Ein schneidend kalter Wind pfiff durch die Häuserschluchten. Die Hand, die das Tuch unter dem Kinn zusammenhielt, war rot vor Kälte. Aber so spürte sie wenigstens nicht mehr die brennenden Schmerzen. Vom stundenlangen Schrubben in der scharfen Waschlauge, war die Haut ihrer Finger aufgesprungen und rissig. Die Fingerknöchel waren seit Monaten so wund, dass sie überhaupt nicht mehr heilten. Der Rücken schmerzte unerträglich. Täglich stand sie zwölf Stunden über Tröge mit fast kochend heißer, beißender Lauge gebeugt und rubbelte Hemden und Laken aus grobem Leinen und Arbeitshosen aus derber Baumwolle auf metallenen Waschbrettern sauber.

      Jetzt war sie auf dem Weg von der Wäscherei in Chinatown nach Little Italy. Im größten Bordell des italienischen Viertels arbeitete sie zusätzlich noch von sieben Uhr abends bis nach Mitternacht als Kellnerin. So sah Agnes‘ Alltag aus, seit sie vor über neun Monaten in New York angekommen war.

      Nichts, wirklich gar nichts, war so geworden, wie sie und Mariele es sich erträumt hatten. Schmerzlich hatten sie erfahren müssen, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten arme Leute genauso ausgebeutet wurden wie in der alten Heimat jenseits des großen Ozeans. Der Arbeitsmarkt wurde von einigen wenigen mächtigen Banden beherrscht. Iren, Italiener und Chinesen hatten Manhattan unter sich aufgeteilt. Grundsätzlich bedeutete die Registrierung durch die Einwanderungsbehörde, dass man die Erlaubnis hatte in den Vereinigten Staaten zu leben und zu arbeiten. Aber nur auf dem Papier. Nahezu alle Arbeitsplätze, die in New York zur Verfügung standen, wurden über kriminelle Gangs vergeben. Die irischen Whyos und die italienische Five Points Gang hielten die arbeitsuchenden Einwanderer in ihren unbarmherzigen Klauen. An jede noch so unbedeutende Aushilfsarbeit kam man nur über eine der beiden Banden. Sie bestimmten wer bei wem arbeiten durfte und wie hoch der Lohn war.

      Für die Arbeit in der Wäscherei bekam Agnes vom chinesischen Besitzer einen Dollar am Tag. Gab sie nicht acht und beschädigte ein Wäschestück, musste sie es umgehend flicken. Zusätzlich wurde noch der Lohn für drei Tage gestrichen. Die Chinesen kannten keinen Sonntag. Bei ihnen wurde sieben Tage in der Woche gearbeitet. Morgens um sechs Uhr ertönte ein Gong. Wer dann nicht an seinem Platz stand, wurde umgehend ersetzt. Die Schlange der Arbeitssuchenden, die draußen vor der Tür warteten, wurde nie kürzer. Freie Tage gab es nicht. Wenn alles gut lief, und Agnes kein Kleidungsstück zerriss, konnte sie so dreißig Dollar pro Monat verdienen. Die schäbige, wanzenverseuchte Kammer, die sie sich mit Mariele teilte, lag im Zentrum der Five Points. Sie kostete vierzig Dollar im Monat. Für jede von ihnen zwanzig. Einen Dollar extra in der Woche wollte die Hauswirtin noch von jeder Bewohnerin als Schutzgeld haben, um aufdringliche Männer fern zu halten. Dafür gab es aber auch jeden zweiten Tag einen Eimer sauberes Wasser. Selbstverständlich nicht für Beide, sondern nur pro Zimmer. Zum Leben blieben Agnes also bestenfalls sechs Dollar im Monat.

      Mariele hatte im italienischen Viertel eine Putzstelle in einem Hotel ergattert. Bereits am ersten Abend wurde ihr klar, dass es sich beim Hotel Rosaria um ein Bordell handelte. Vier Wochen putzte Mariele Fenster, wischte Böden, lehrte Spucknäpfe und Nachttöpfe aus. Dann wurde eine der Bardamen im Verlauf einer wilden Schlägerei von einer Flasche getroffen. Eine fünfzehn Zentimeter lange wulstige Narbe verunzierte von nun an ihr Gesicht. Sie taugt nicht mehr dafür, hinter der Bar zu stehen und Gäste zum Trinken zu animieren. Also tauschte sie die Bordellmutter kurzerhand gegen Mariele aus. Von da an stand Mariele hinter der Bar im Salon im Erdgeschoss des Freudenhauses. Anstatt um sechs Uhr morgens begann ihr Arbeitstag um sechs Uhr abends. In der Regel kam sie am Morgen erst nach Hause, wenn Agnes schon wieder in der Wäscherei war.

      Sie war es auch, die Agnes die Stelle als Kellnerin verschafft hatte. Eines der Serviermädchen hatte einem zudringlichen Gast eine Ohrfeige verpasst und war umgehend von der Puffmutter hinaus geworfen worden. Die Hintertür hatte sich noch nicht richtig hinter der unglücklichen Frau geschlossen, da stand Mariele schon parat und sagte, sie hätte eine bestens geeignete Ersatzkraft bei der Hand. Als Agnes am nächsten Abend bei der Bordellwirtin vorsprach, wurde sie

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