Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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sich auf der Galerie, die sich oberhalb des Salons an allen vier Seiten entlang zog. Rote Samtvorhänge hielten dort neugierige Blicke fern. Genau wie Mariele trug Agnes zum Arbeiten ein blutrotes Korsett mit schwarzen Spitzen, das ihre schlanke Taille bestens zur Geltung brachte und ihren Busen nur notdürftig bedeckte. Unter dem schwarzen, knielangen Tellerrock lugte der Spitzenvolant des roten Taftunterrocks hervor. Schwarze Netzstrümpfe und knöchelhohe Schnürstiefel komplettierten ihre Arbeitskleidung. Zum Glück hatte sie die Kleidung nicht selbst besorgen müssen. Sie wurde von der Bordellmutter zur Verfügung gestellt. Pro Abend erhielt sie fünfzig Cent. Und sie durfte die Hälfte des Trinkgeldes behalten, das ihr von den Gästen zugesteckt wurde. Mariele hatte sie gewarnt, keinesfalls zu versuchen, Trinkgelder vor der Bordellmutter zu verstecken. Die zwei Türsteher, die für Ordnung sorgten, betrunkene Gäste hinaus beförderten oder ungebetene Gäste schon am Eingang abwimmelten, hatten ihre Augen überall. Ihnen entging Nichts. Sobald einer der Gäste Agnes Geld zusteckte, signalisierten sie es der Bordellmutter. Sie trat augenblicklich auf den Plan und knöpfte ihr das Geld wieder ab. Wenn ab Mitternacht nur noch an der Bar ausgeschenkt wurde, um die Gäste endlich von den Tischen weg in die Betten der Freudenmädchen zu bringen, war Agnes‘ Arbeit zu Ende. In einer winzigen Kammer zog sie wieder ihre normalen Kleider an. Danach bekam sie im Büro der Bordellwirtin den kargen Lohn und ihren Anteil am Trinkgeld ausbezahlt. Im italienischen Viertel wurde am Sonntag nicht gearbeitet. Das bedeutete sechs Arbeitstage pro Woche. In guten Wochen verdiente sie so sechs Dollar. Aber sehr oft blieben ihr für dreißig Stunden Arbeit als Kellnerin am Ende der Woche gerade einmal drei Dollar. Aber ohne dieses zusätzliche Geld wäre sie schon längst verhungert.

      Bei Mariele verhielt es sich ein wenig anders. Sie bekam zwar pro Nacht, also in der Regel für zwölf Stunden Arbeit, auch nur einen Dollar Lohn. Aber sie war am Umsatz beteiligt. Je mehr Schnaps sie verkaufte, desto mehr verdiente sie. Trotzdem blieben auch ihr nicht mehr als fünfzehn Dollar im Monat zum Leben. Immerhin konnte sie hin und wieder Essensreste aus der Küche des Bordells mit nach Hause nehmen. An solchen Tagen konnten die beiden Frauen ihren Ersparnissen wieder ein paar Cent hinzu fügen. Unter Marieles eisernem Bettgestell hatten sie um einen Ziegelstein herum den Mörtel aus der Wand gekratzt. Hinter dem losen Stein steckte ein Leinenbeutel. Sie hüteten ihn wie ihren Augapfel. Er enthielt ihr so mühsam zusammen gekratztes Geld. In den neun Monaten war es ihnen gelungen durch eiserne Sparsamkeit fünf Dollar zur Seite zu legen. Am Sonntagabend, wenn Agnes aus der Wäscherei heimkam, setzten sie sich nebeneinander auf Marieles Bett, zählten die Münzen aus dem Beutel immer und immer wieder und machten Pläne, was sie mit dem Geld tun würden, wenn sie genügend gespart hätten.

      Endlich hatte Agnes das Hotel Rosaria erreicht. Sie war vollkommen durchgefroren und ihre Zähne klapperten vor Kälte. Wie stets war sie froh das in der feuchten Hitze der Wäscherei völlig durchgeschwitzte Arbeitskleid ausziehen zu können. Zum Glück war es im Bordell immer schön mollig warm. Je wärmer es den Männern war, desto durstiger wurden sie. Und die Mädchen konnten in ihrer dünnen durchsichtigen Unterwäsche umherlaufen und die Männer zum Mitkommen animieren, ohne krank zu werden.

      Als Agnes den Salon betrat, hallte ihr die fröhliche Stimme ihrer Freundin entgegen. Mariele stand schon seit einer Stunde hinter der Bar. Um diese Uhrzeit waren noch nicht viele Gäste im Salon. Sie hatten alle nebeneinander am Tresen Platz. Einen Fuß auf dem umlaufenden Messingholm abgestellt, damit genügend Platz für die unabdingbaren Spucknäpfe war, lachten sie anerkennend über Marieles anzügliche Scherze. Schnell hatte sie gelernt, worüber Männer nach getaner Arbeit gerne redeten und lachten. Mariele hatte sich deren derbe Sprache angeeignet und kannte die ordinärsten Witze. Die wüstesten irischen und italienischen Flüche kamen ihr wie selbstverständlich über die Lippen. Und während sie die Männer so bei Laune hielt, goss sie unentwegt die Gläser voll. Rosaria Tonelli, die Puffmutter, stand oben auf der Galerie und beobachtete Mariele mit großem Wohlwollen. Seit die hübsche junge Frau hinter dem Tresen stand, hatte sich der Whiskey Konsum beinahe verdoppelt. Früher hatten die Männer hauptsächlich über ihre Arbeit gesprochen, wenn sie das Etablissement nach Feierabend betraten, und kaum etwas getrunken. Jetzt standen sie an der Bar, amüsierten sich über Mariele und sprachen schon am frühen Abend mit großer Begeisterung dem Schnaps zu.

      La Rosaria, wie sie von Allen im Bordell ehrfürchtig genannt wurde, besaß eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Sie hatte sofort erkannt, dass es die reinste Verschwendung wäre, Mariele den Boden schrubben zu lassen. Ihr hübsches Gesicht in Verbindung mit ihrer natürlichen Schlagfertigkeit war die ideale Kombination. Sie schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie genügend Italienisch gelernt, um sich mit den Männern ohne Problem unterhalten zu können. Genau so jemanden hatte La Rosaria für die Bar immer gesucht. Auch an der neuen Kellnerin, die ihr Mariele vermittelt hatte, gab es nichts auszusetzen. Sie arbeitete flink und mit großer Umsicht. Hatte stets alle ihre Tische im Blick. Nie saßen Gäste länger als nur ein paar Minuten auf dem Trockenen. Auch wenn sie Tabletts voller Gläser zu den Séparées hinauftragen musste, geschah das schnell, diskret und sicher. Sie verschüttete so gut wie nie etwas. Selbst die aufdringlichsten Gäste wurden von ihr freundlich und charmant bedient. So etwas sprach sich schnell herum. Ja, die beiden Frauen waren ein echter Gewinn für ihr Haus. Jetzt konnte sich La Rosaria nicht nur rühmen die hübschesten Freudenmädchen zu beschäftigen, sondern auch die beliebteste Bar in ganz Little Italy zu führen.

      Anfänglich war es Agnes von Herzen zuwider gewesen, ständig von den Männern betatscht zu werden. Es hatte all ihre Selbstbeherrschung erfordert, nicht um sich zu schlagen. Inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt, dass die Männer ihre Hände nicht bei sich behalten konnten, wenn sie sich zwischen ihnen hindurch zwängte um Getränke zu den Tischen zu bringen. Solange sie ihr Scheine in den Ausschnitt steckten, durften sie im Gegenzug auch ihren Busen begrapschen. Wenn sie ihr unter den Rock fassten und die Hand über die Höhe des Strumpfbandes hinauf wanderte, befreite sie sich mit einer koketten Hüftbewegung von den aufdringlichen Fingern. Stets begleitete sie die Zurückweisung mit einem spitzbübischen Lächeln und verwies die Männer an die sehr viel hübscheren Mädchen in den oberen Stockwerken. Auf diese Weise waren die Kunden nicht beleidigt und sie hatte wieder für eine Weile Ruhe vor den Zudringlichkeiten.

      Ihr ganzes Leben lang, hatte Agnes getan was getan werden musste. Sie war noch keine drei Jahre alt gewesen, als ihre Mutter sie mit einem Napf voller Küchenabfälle hinter das Haus geschickt hatte um die Hühner zu füttern. Seit diesem Tag hatte sich nie jemand darum geschert, ob sie ihre Arbeit gerne machte, ob sie müde oder krank war. Es wurde erwartet, dass sie funktionierte. Und das seit über zwanzig Jahren. Aber diese unglaublich harte, mitunter sogar grausame Schule, durch sie gegangen war, half ihr nun jegliche Arbeit zu erledigen, die von ihr verlangt wurde.

      Ein fröhliches Lächeln im Gesicht, einen munteren Spruch auf den Lippen, so zwängte sie sich zwischen den Männern an der Bar hindurch, lud die Gläser auf ihr Tablett und trug sie zur Galerie hinauf. Vor jedem der Séparées blieb sie stehen, hüstelte vernehmlich und fragte ob Getränke gewünscht wurden. Kam das Animiermädchen heraus und nahm das Gewünschte in Empfang, vermerkte Agnes die Bestellung mit einem Bleistift auf einem Zettel, der neben dem Vorhang angebracht war. Hatte sie nicht das passende Getränk dabei, speicherte sie die Wünsche im Gedächtnis um es beim nächsten Mal mitzubringen. Blieb es hinter dem Vorhang still, ging Agnes diskret weiter. Bei ihrem nächsten Rundgang auf der Galerie würde sie wieder fragen.

      Langsam füllte sich der Salon. Italiener, Iren, Polen, Deutsche, Spanier, Schweden, Russen – halb Europa war vertreten. Genau wie Mariele hatte sich Agnes im Laufe der Monate einen enormen Wortschatz angeeignet. Sehr stark irisch eingefärbtes Englisch sprach sie nahezu fließend, Italienisch ganz leidlich. Die Spanier verstand sie recht gut. Aber mit dem Sprechen tat sie sich noch schwer. Auch ein paar Brocken Schwedisch hatte sie schon aufgeschnappt. Es reichte zumindest aus, um die Bestellung der durstigen Männer zu verstehen. Nur mit den Polen und den Russen hatte sie ihre Probleme. Aber mit einem fröhlichen Lachen und ein bisschen Zeichensprache, kam sie auch mit diesen Kunden klar. An diesem Abend überwogen die Italiener. Die Werftarbeiter hatten ihren Wochenlohn bekommen. Das musste gefeiert werden! Viele von ihnen hatten eine Frau und einen ganzen

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