Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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Die einzige Hoffnung war, so schnell wie nur irgend möglich wieder eine Mitbewohnerin aufzutreiben. All das ging ihr durch den Kopf, während sie zusah, wie die Männer das Grab zu schaufelten. Als sie fertig waren klopften sie mit den Schaufeln noch den Grabhügel fest. Dann traten sie vor Agnes hin und hielten die Hände auf. Sie gab jedem von ihnen die versprochenen fünfzig Cent. Als sie Father Gregory die zwei Dollar für den Sarg und das Holzkreuz gab, fragte er:

      „Was soll ich auf das Kreuz schreiben?“

      „Marie Leschinger. Geboren 1845 in Deschenitz im Böhmerwald. Gestorben 1871 auf der Straße in Five Points.“

      „Soll ich das wirklich so schreiben? Auf der Straße?“

      „Ja! Es soll jeder wissen, was Five Points für ein grausiger Ort ist.“

      „Gut, dann schreibe ich das so.“

      Mit diesen Worten verschwand Father Gregory in der Sakristei. Auch die beiden Frauen waren schon gegangen. Andächtig steckte Agnes den Papierblumenstrauß in die Erde des Grabhügels und klopfte sie rundherum schön fest, damit nicht der nächste Windstoß die Blumen fort wehte. Dann stand sie auf, wischte sich die Erde von den Händen und machte sich auf den Weg zu La Rosaria.

      April 1871

      Agnes quetschte sich mit ihrem Tablett zwischen den dicht gedrängt stehenden Gästen hindurch. Die Hände der Männer waren einfach überall. An ihrem nackten Hals, an der Taille, auf ihrem Hintern und an ihrem Busen. Da es aber so viele waren, machte es keinen Sinn, irgendeinen von ihnen zurechtzuweisen. Inzwischen machte es ihr auch nichts mehr aus. Sie hatte gelernt, die obszönen Berührungen ebenso zu ignorieren, wie die unflätigen Kommentare der betrunkenen Männer. Also schob sie sich einfach an ihnen vorbei. Lediglich darauf bedacht, ihre Gläser heil nach oben zu den Séparées zu bringen. Als sie mit dem leeren Tablett die Treppe wieder herunter kam, fiel ihr ein Gesicht auf, von dem sie niemals auch nur im Entferntesten erwartet hatte, es hier zu sehen. Ein Glas Whiskey in der Hand stand Father Gregory zwischen den irischen Hafenarbeiter und unterhielt sich mit ihnen. Ein katholischer Priester aus Irland in einem italienischen Bordell! Sie hatte schon viel erlebt, seit sie in New York war, aber das war ja wirklich etwas Einmaliges. Zum Zeichen, dass auch er sie entdeckt hatte, hob er den Arm und winkte ihr zu. Da Agnes während der Arbeit nicht längere Zeit mit den Gästen plaudern durfte, zwinkerte sie ihm nur zu und zwängte sich dann weiter in Richtung Tresen.

      Kurz vor Mitternacht verschwanden die Männer nach und nach mit den Mädchen nach oben in die Zimmer. Jetzt konnte Agnes mit dem Aufräumen beginnen. Während sie die Tische abputzte gesellte sich Father Gregory zu ihr.

      „Ich bin sehr überrascht, Sie hier im Hotel Rosaria zu sehen Father“, sagte Agnes.

      „Nun, wenn die Schafe nicht zum Hirten kommen, muss der Hirt zu den Schafen gehen“, antwortete Father Gregory.

      Mit einem fröhlichen Grinsen hob er sein leeres Glas.

      „Meine ziemlich stürmische Jugend im Hafenviertel von Dublin hilft mir heute dabei von den trinkfesten Iren und Italienern ernst genommen zu werden.“

      „Soll ich Ihnen noch Nachschub holen?“, fragte Agnes lachend.

      „Nein danke. Für heute reicht es. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht nur wegen der gottlosen Hafenarbeiter hier. Ich wollte sehen wie es dir geht und ein bisschen mit dir plaudern.“

      Überrascht sah Agnes den Priester an. Seit sie in New York war, war Father Gregory die erste Person, die sich für sie interessierte und nicht für ihre Arbeitskraft oder für ihr Geld.

      „Ich muss erst noch aufräumen. Danach habe ich ein bisschen Zeit. Das heißt wenn es nicht zu lange dauert. Morgen früh muss ich wieder um fünf Uhr aufstehen.“

      „Ich helfe dir, dann geht es schneller.“

      Ehe Agnes widersprechen konnte hatte sich Father Gregory ihr Tablett geschnappt, ging von Tisch zu Tisch und sammelte die leeren Gläser ein. La Rosaria, die seit Marieles Tod wieder selbst hinter der Bar stand, begrüßte ihn mit einem ironischen Lächeln, als er das Tablett zum Tresen brachte.

      „Father Gregory, geht das Geschäft mit den verlorenen Seelen so schlecht, dass Sie einen Nebenjob brauchen?“

      „Guten Abend Signora Tonelli. Nur wenn Sie gut zahlen. Meine Gemeinde hat immer Geldsorgen.“

      „Aber, aber Father. Ich dachte, Sie arbeiten um Gottes Lohn“, lachte die Puffmutter. Dann zeigte sie ihm wo er die Gläser abspülen konnte.

      Wie jeden Abend verließ Agnes das Hotel durch den Hinterausgang. Father Gregory wartete schon auf sie. Langsam gingen sie durch die verlassenen Straßen. Für April war es eine erstaunlich milde Nacht. Sie setzten sich auf die Stufen der St. Anthony Church.

      „Nun Father, worüber wollen Sie mit mir reden?“, begann Agnes nach ein paar Minuten.

      Der Priester sah sie von der Seite an. „Wie geht es dir?“

      „Ich lebe noch“, war die kurze, fast barsche Antwort.

      „Das sehe ich. Mich interessiert, wie du alleine zurechtkommst.“

      Agnes überlegte. Seit Marieles Beerdigung hatte sie den Priester nicht mehr gesehen. Im Grunde genommen war er ein Fremder für sie. Warum also sollte sie ihm von ihren Sorgen erzählen? Warum ihm ihr Herz ausschütten? Gut, er war heute Abend in das Bordell gekommen. Um mit ihr zu plaudern, wie er gesagt hatte. Aber interessierte er sich wirklich für sie? Oder war er vielleicht nur gekommen, um zu schauen, ob sie nicht doch als Freudenmädchen arbeitete? Andererseits hatte er ihr in der Nacht, in der Mariele gestorben war, ohne zu zögern geholfen. Vielleicht meinte er es ja tatsächlich gut mit ihr.

      „Wie ich zurechtkomme? Mehr recht als schlecht“, begann sie. „Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Ich habe noch Niemanden gefunden, der sich mit mir das Zimmer teilen möchte. Die Nächstbeste, die auf der Straße wartet, will ich nicht fragen. Sie würde mir wahrscheinlich bei der ersten Gelegenheit den Garaus machen, um an meine dürftige Habe zu kommen. Die Frauen in der Wäscherei haben alle Familie. Und La Rosarias Mädchen brauchen keine Unterkunft. Sie wohnen alle im Hotel Rosaria. Ansonsten kenne ich Keinen. Ich arbeite jeden Tag siebzehn Stunden, da habe ich keine Zeit Bekanntschaften zu schließen. Für die Aprilmiete musste ich schon ein bisschen was von unserem Ersparten nehmen. Nun ist schon mehr als die Hälfte des Monats vorbei und mir fehlen immer noch fünfzehn Dollar für die nächste Miete. Wenn es so weiter geht, werde ich wieder auf die Reserve zurückgreifen müssen. Für Essen kann ich so gut wie nichts erübrigen. Wenn ich aus dem Bordell keine Essensreste mitnehmen kann, habe ich kaum mehr als eine Scheibe Brot am Tag. Ich bin nicht am Verhungern, aber ich gehe oft mit knurrendem Magen ins Bett.“

      Sie machte eine kurze Pause und sah den Priester von der Seite an.

      „Bis jetzt ist es mir gelungen, ehrlich zu bleiben. Ich musste weder stehlen um zu überleben, noch meinen Körper verkaufen. Wie lange ich das noch durchhalte, weiß ich nicht. Aber hey! Sind nicht Sie es, der für einen Verein arbeitet, der an Wunder glaubt?“

      Beim letzten Satz stieß sie Father Gregory mit dem Ellbogen leicht in die Rippen und lachte.

      „Allerdings. Und wer weiß. Vielleicht ist das Wunder ja schon eingetreten.“ „Was meinen Sie damit?“

      „Es gibt

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