Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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ihm in das Gotteshaus. Vorsichtig legte Father Gregory die tote Frau auf die Altarstufen. Er holte Zündhölzer aus der Tasche seiner Soutane und zündete die Kerzen am Hochaltar an. Agnes kniete sich neben ihre tote Freundin, strich ihr die Haare aus dem Gesicht, richtete ihren Rock und faltete ihre Hände.

      „Können Sie mir helfen sie ordentlich zu begraben, Father?“ Fragend sah sie den Priester an.

      Father Gregory schenkte der unglücklichen Frau, die vor ihm auf dem Steinboden kauerte, ein mitfühlendes Lächeln. „Ich nehme an, dass deine Freundin getauft ist.“

      Als Agnes nickte, fuhr er fort: „Zur Kirche gehört ein kleiner Gottesacker. Dort könnten wir sie beerdigen. Hast du Geld?“

      „Wie viel wird es denn kosten?“

      „Zwei Männer aus meiner Gemeinde würden für fünfzig Cent das Grab ausheben. Einen einfachen Sarg und ein hölzernes Kreuz bekomme ich für zwei Dollar. Hast du so viel?“

      „Ja. Seit wir hier sind haben Mariele und ich jeden Cent gespart, den wir übrig hatten.“

      „Du hast gesagt, dass ihr vom Hotel Rosaria gekommen seid. Arbeitest du dort?“

      Agnes nickte.

      „Aha“, brummte Father Gregory. Röte schoss Agnes ins Gesicht.

      „Nicht was Sie denken, Father“, stammelte sie. „Mariele steht…ich meine sie stand hinter der Bar. Ich arbeite als Kellnerin. Wir verkaufen Getränke, nicht unseren Körper. Ich kann die Beerdigung mit ehrlich verdientem Geld bezahlen.“

      Flammender Zorn kochte in Father Gregorys aufbrausender irischer Seele hoch. Zorn auf die rivalisierenden Banden und ihre Anführer. Zorn auf den korrupten Stadtrat, der ihrem Treiben keinen Einhalt gebot. Zorn auf den ganzen verkommenen Moloch New York, der arme Frauen in die Fänge von skrupellosen Geschäftemachern wie Rosaria Tonelli trieb.

      „Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen. Ich weiß, wie es draußen zugeht. Korruption, Gewalt und Ausbeutung sind die drei Gottheiten, denen in diesem neuen Sodom gehuldigt wird. Und wenn ihr Beide es trotzdem geschafft habt ehrbar zu bleiben, ist das mehr, als man von den Meisten sagen kann.“

      „Sie sehen ja, was Mariele ihre Ehrbarkeit eingebracht hat. La Rosarias Freudenmädchen mussten an so einem Abend das sichere Hotel nicht verlassen. Sie wurden nicht auf die Straße geschickt und die Tür hinter ihnen verriegelt. Sie liegen jetzt sicher und warm in ihren Betten. Nicht tot auf den kalten Steinen. Mariele war anständig bis zu ihrem letzten Atemzug. Trotzdem hat ER sie sterben lassen.“

      Bitterkeit lag in Agnes‘ Stimme und Anklage in ihren Augen, als sie mit dem Finger zu dem Kreuz über dem Hochaltar zeigte. Father Gregory umschloss Agnes‘ eisige Finger mit seiner warmen Hand.

      „Der Tod wartet auf jeden von uns. Wir wissen nicht, wann er vor der Tür steht und klopft. Das Einzige was wir tun können ist vorbereitet zu sein, wenn er kommt. Du sagst, dass deine Freundin ein anständiges Leben geführt hat. Dann wird der Herr sie mit ausgebreiteten Armen erwarten.“

      „Sie sagen das nicht nur so? Sie glauben das wirklich, oder?“ Fragend sah sie ihn an.

      „Ja.“

      Ergeben senkte Agnes den Kopf. „Dann will ich es auch glauben. Dann will ich glauben, dass Mariele jetzt in einer besseren Welt ist.“

      Sie entzog ihre Hand dem Griff des Priesters, stand auf und straffte die Schultern.

      „Wann wollen wir sie beerdigen?“, fragte sie mit fester Stimme.

      Father Gregory dachte kurz nach, ehe er antwortete.

      „Ich denke morgen Nachmittag. Bis dahin haben die Männer das Grab ausgehoben und ich habe den Sarg abgeholt. Vielleicht um fünf Uhr?“

      Agnes nickte. „Wenn ich eine Stunde früher in der Wäscherei anfange, bin ich bis dahin fertig.“

      „In welcher Wäscherei? Ich dachte du arbeitest im Hotel Rosaria?“

      Ein bitteres Lachen entfuhr Agnes. „Von morgens um sechs bis abends um sechs arbeite ich in einer Wäscherei in Chinatown. Erst danach gehe ich zu La Rosaria. Üblicherweise bis Mitternacht. Bis ich in meinem Bett bin, ist es meistens ein Uhr. Um fünf stehe ich wieder auf und die Tretmühle beginnt von vorn. Aber nur so reicht der Verdienst zum Überleben.“

      Erstaunt nahm Father Gregory zur Kenntnis, dass zwar Bitterkeit aus den Worten der jungen Frau sprach, sie aber nicht auf Mitleid aus war. Sie war nicht zufrieden mit ihrem Los, keineswegs. Aber sie tat, was getan werden musste. Ohne Jammern, ohne Klagen. Tagaus, tagein nahm sie ihr Kreuz auf sich. So wie ER es einst von seinen Jüngern gefordert hatte. Obwohl Father Gregory sie noch nie in der Kirche gesehen hatte, war sie vielleicht eine bessere Christin, als Viele, die jeden Sonntag kamen.

      „Wenn du möchtest, lasse ich dich jetzt mit deiner Freundin allein. Dann kannst du dich in Ruhe von ihr verabschieden.“

      „Danke, Father. Aber das ist nicht nötig. Wie Sie gesagt haben: ER wird sie mit offenen Armen empfangen. Das ist alles was zählt.“

      Sie kniete sich neben Mariele auf die Altarstufen, küsste sie auf die Stirn und flüsterte: „Danke für Alles! Ich werde dich nie vergessen!“

      Als sie sich erhob, nickte sie Father Gregory zu: „Wir sehen uns morgen.“

      Langsam schritt sie den Mittelgang der Kirche entlang. Am Eingangsportal warf sie noch einen letzten Blick zurück. Father Gregory hatte sich vor den Altar gekniet und betete mit gesenktem Kopf. Im schwachen Licht der flackernden Kerzen war Marieles Blut besudeltes Kleid nicht zu erkennen. Ruhig und friedlich lag sie da. So als würde sie schlafen.

      Pünktlich um fünf Uhr betrat Agnes am nächsten Nachmittag wieder die St. Anthony Church. Sie hatte kein schwarzes Kleid. In der Wäscherei hatte sie sich von einem schwarzen Putzlumpen einen Streifen abgerissen und ihn wie eine Rosette an das Oberteil ihres derben grauen Arbeitskleides genäht. Als die anderen Waschfrauen von Marieles Schicksal erfuhren, legten sie zusammen und kauften bei einem chinesischen Händler in der Nachbarschaft für zehn Cent einen Strauß aus weißen Papierblumen für das Grab. Mit diesem Strauß in der Hand stellte sie sich neben die einfache Holzkiste, die nun die sterblichen Überreste ihrer Freundin vor den Augen der Welt verbarg. Außer ihr waren noch zwei alte Frauen da, die vermutlich zu jeder Beerdigung kamen, weil sie sonst nichts Besseres zu tun hatten.

      Kaum hatte Father Gregory sein letztes Amen gesprochen, kamen zwei Männer mit einem einfachen Handkarren zur Seitentür herein. Sie luden den Sarg auf und zogen ihn in den kleinen Friedhof hinaus, der neben der Kirche lag. Father Gregory, Agnes und die beiden alten Frauen gingen schweigend hinterher. Als der Sarg langsam in die ausgehobene Grube hinunter gelassen wurde, konnte Agnes die Tränen nicht mehr zurück halten. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte nicht zu weinen, flossen sie unablässig über ihre Wangen. Mariele war so mutig und voller Lebensfreude gewesen. Nun würde sie unter einer vier Fuß dicken Erdschicht begraben liegen. Und mit ihr alle Träume von einer besseren Zukunft in einer besseren Welt.

      Agnes weinte nicht nur um die tote Freundin. Sie weinte auch, weil sie nur so die schreckliche Angst verdrängen konnte, die seit dem gestrigen Abend wie ein dicker, hässlicher Kloß in ihrem Magen hockte. Die Angst davor, was die Zukunft bringen würde. Ohne Marieles Verdienst konnte sie die Miete für das elende Zimmer nur gerade so aufbringen. Zum Leben blieb dann kaum noch etwas übrig. Geriet sie

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