Die Frau vom Schwarzen See. Anna-Irene Spindler

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Die Frau vom Schwarzen See - Anna-Irene Spindler

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Schrotflinten dabei hatten. Unaufhaltsam rückten die Whyos vor.

      „Kill ´em! Kill ´em!“, ertönte es jetzt in unmittelbarer Nähe der beiden Frauen. Verzweifelt versuchte Agnes ihre Freundin zurück in die Gasse zu zerren. Aber Mariele wand sich aus ihrem Griff. Die Neugier war stärker als die Vernunft. Mit angehaltenem Atem stand sie an die Mauer des Eckhauses gepresst und verfolgte fasziniert, wie die aufgebrachten Männer auf einander los gingen.

      Laut brüllend, ihre behelfsmäßigen Waffen schwingend stürmten die italienischen Bandenmitglieder wie wild gewordene Stiere auf ihre Gegner los. Die Iren wichen keinen Millimeter zurück. Als die Männer der Five Points Gang nur noch fünf Meter von der ersten Reihe der Whyos entfernt waren, hoben diese ihre Waffen und feuerten. Wie das Donnern von Kanonen hallte das Krachen der Schüsse durch die enge Straßenschlucht der Anthony Street. Grenzenlose Panik erfasste Agnes. Wieder versuchte sie Mariele mit Gewalt in den Schutz der Gasse zu zerren. Aber ihre Freundin stand wie versteinert und starrte mit weit aufgerissen Augen auf die blutüberströmten Körper der niedergemetzelten Italiener. Gestern erst hatte sie mit einigen von ihnen an der Bar geschäkert. Jetzt lagen sie mit grotesk verzerrten Gliedern auf dem schmutzigen Pflaster.

      Plötzlich kam es Mariele so vor, als würden sich die Ereignisse vor ihren Augen unnatürlich verlangsamen. Mit erschreckender Klarheit beobachtete sie, wie einer der Iren seine Schrotflinte hob und auf einen anstürmenden Italiener zielte. Dieser schwang seine Axt und schlug damit den Lauf der Flinte zur Seite. In diesem Augenblick drückte der Mann den Abzug. Mariele sah Mündungsfeuer im Lauf aufblitzen und eine kleine Rauchwolke aufsteigen. Dann traf sie die volle Wucht der Schrotladung in den Bauch und schleuderte sie zwei Meter rückwärts an die Hauswand.

      „Mariele!“

      Agnes panischer Schrei war das Letzte, was Mariele hörte. Dann schwappte eine Welle unsäglichen Schmerzes über sie hinweg und löschte jegliches Denken in ihrem Kopf aus. Ehe ihr Körper zu Boden sackte war Agnes bei ihr. Ihr eigener Arm umfasste Marieles Taille. Den Arm der Freundin zog sie über ihre Schultern. Dann schleppte sie die Verletzte zum nahe gelegenen Eingang der St. Anthony Church. Die große hölzerne Tür war zurück versetzt. So waren die Frauen vor dem vorüber stürmenden Mob wenigstens notdürftig geschützt. Vorsichtig ließ Agnes ihre Freundin auf die Stufen der Kirche sinken und lehnte sie mit dem Rücken an die Tür.

      „Mariele! Mariele! Bitte sag doch was!“, flehte Agnes.

      Sie riss sich ihr dickes Umhängetuch von der Schulter und drückte es mit aller Kraft auf die riesige Wunde in Marieles Bauch. Unablässig pulsierte Blut in beängstigenden Stößen heraus. In kürzester Zeit war das Tuch rot durchtränkt.

      „Hilfe! Hilfe!“, schrie sie aus Leibeskräften. Aber die wütende, aufgestachelte Menge achtete nicht auf sie, sondern schob sich unaufhaltsam weiter.

      „Bitte! So helft uns doch!“ Wieder und wieder tönten ihre verzweifelten Rufe durch die nun vollkommen verlassen da liegende Anthony Street.

      „Mariele! Mariele! Hörst du mich? Nicht aufgeben!“

      Marieles Atem ging so flach, dass sich ihr Brustkorb kaum noch hob. Angstvoll beugte Agnes sich über den leicht geöffneten Mund der Freundin. Ganz zart spürte sie den Hauch auf ihrer Wange. Noch war sie am Leben. Agnes hämmerte mit der Faust an die Kirchentür.

      „Hilfe! Hilfe! Bitte, in Gottes Namen! Wir brauchen Hilfe!“, schrie sie ihre ganze Verzweiflung in die Dunkelheit hinaus.

      „Agnes!“ Das Flüstern war so leise, dass Agnes es beinahe überhört hätte.

      „Ich bin hier, Liebes.“ Zärtlich streichelte sie Marieles eiskalte Wange.

      Die Lippen bewegten sich. Agnes hielt ihr Ohr direkt an den Mund. „Du…musst…hier…raus.“ Die Worte waren kaum zu verstehen.

      „Schscht. Nicht reden. Du darfst dich nicht anstrengen“, sagte Agnes. Tränen rannen über ihre Wangen. Sie tropften auf Marieles Gesicht. „Das…spielt…jetzt…keine…Rolle…mehr…mit…mir…ist…es…vorbei.“

      Die Pausen zwischen den Worten wurden immer länger.

      „Was redest du denn da? Du wirst wieder gesund und wir werden beide diese Hölle hier hinter uns lassen.“

      „Versprich…mir…“

      „Alles, Mariele! Ich verspreche dir was du willst. Aber du musst durchhalten! Du darfst nicht aufgeben!“, bettelte Agnes.

      „Du…musst…das…Glück…festhalten…wenn…es…dir…begegnet.“

      Ein qualvolles Stöhnen entrang sich ihrer Kehle, als der Schmerz wieder wie ein feuriges Messer durch ihren Leib jagte. Nur noch ein leises Röcheln war zu hören.

      „Mariele, bitte lass mich nicht allein! Was soll ich denn ohne dich nur anfangen?“, schluchzte Agnes.

      Ihre Lider zitterten, als Mariele unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte die Augen öffnete. „Du…musst…für…mich…mit…glücklich…werden.“

      Ein dünner Blutfaden sickerte aus dem Mundwinkel, als sich Marieles Lippen zu einem letzten leisen Lächeln verzogen.

      Mariele Leschinger aus Deschenitz im Böhmerwald war tot. Gestorben auf dem Pflaster einer dreckigen Straße in den Five Points in New York.

      Agnes kniete neben dem Körper ihrer Freundin. Ihre blutverschmierten Hände im Schoß gefaltet. Unablässig liefen Tränen über ihre Wangen. Mit versteinerter Miene starrte sie in Marieles tote Augen. Sie nahm nichts von dem wahr, was um sie herum passierte. Weder registrierte sie, dass die Kirchentür aufgerissen wurde, noch dass ein Priester heraustrat und sich sofort über Mariele beugte. Father Gegory O’Byrne musste Agnes mehrfach an der Schulter rütteln, ehe sie den Kopf hob und ihn aus leeren Augen heraus verständnislos anstarrte.

      „Was ist passiert?“, wollte er wissen. Er erhielt keine Antwort.

      Agnes wendete ihren Blick ab und sah wieder auf Marieles nun so ruhiges Gesicht. Da hob Father Gregory das einfache Kreuz, das an einer langen Kette an seiner Brust baumelte. Leise murmelte er die Sterbegebete der Kirche. Als er begann das Vater Unser zu beten, erwachte Agnes aus ihrer Erstarrung. Erstaunt sah sie erst den Priester an, dann wieder Mariele. Schließlich betete sie mit. Zuerst mit kaum vernehmbarer Stimme, dann immer lauter. Father Gregory wollte gerade das Ave Maria beginnen. Da legte ihm Agnes die Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Ganz langsam, wie eine uralte Frau, rappelte sie sich auf, stellte sich vor Mariele hin und stimmte das ‚Hail Mary‘ an, das die irischen Frauen, die mit ihr in der Wäscherei arbeiteten, immer während der Arbeit sangen. Am Anfang klang es dünn und unsicher. Aber nach und nach wurde ihre Stimme fester und lauter. Schließlich hallte das Lied zur Ehre der Gottesmutter durch die ganze Straßenschlucht, so wie vorher das Gebrüll der kämpfenden Banden.

      Father Gregory wartete bis das letzte Amen zwischen den Häusern verhallt war, dann fragte er Agnes noch einmal: „Was ist passiert?“

      Ihren Blick starr auf Marieles leblosen Körper gerichtet, erzählte sie ihm, was geschehen war. Aufmerksam hörte er zu.

      Als sie fertig war, sah sie ihn flehend an. „Was soll ich denn jetzt machen? Ich kann sie doch nicht hier liegen lassen.“

      „Das musst du auch nicht“, sagte er. „Halte mir die Tür auf. Ich werde sie in die Kirche bringen.“

      Father

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